Millionen-Coup im Computer-Werk

von Bericht: Stephan Wels

JOACHIM WAGNER:

Als im Januar 1995 ein Erdbeben die japanische Stadt Kobe zerstörte, wurde zugleich die Chip-Industrie des Landes weitgehend lahmgelegt. Durch den Produktionsausfall stiegen weltweit die Chip-Preise - für Kriminelle ein lukrativer Anreiz, statt Geld und Juwelen Chips zu klauen. Vor allem in den USA und England begann eine Serie von Chip-Diebstählen. Auf dem Schwarzmarkt werden jährlich Chips im Wert von einigen hundert Millionen Dollar verschoben, vor allem in Richtung Osteuropa und Südostasien. Jetzt hat dieses neue Kriminalitätsphänomen die Bundesrepublik erreicht. Über die ersten spektakulären Fälle berichtet Stephan Wels.

KOMMENTAR:

Vor ein paar Monaten liefen diese Bilder im britischen Fernsehen. Einbrecher live bei der Arbeit. Sie sind bei einer Computerfirma. Nicht um Schmuck oder Geld geht es hier, der Einbruch gilt einem völlig neuen Diebesgut, erzählt die Reporterin.

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REPORTERIN: (Übersetzung)

"Jetzt haben die immer geschäftstüchtigen britischen Einbrecher etwas entdeckt, das vom Gewicht her mehr wert ist als Gold oder Kokain: den Computerchip."

KOMMENTAR:

Solche Fälle sind für die Bobbys in Manchester Alltag geworden. Einneues Kriminalitätsphänomen: Chip-Diebstahl. Teilweise sind die Chip-Hersteller selbst betroffen, zu einem anderen Teil geht es um ganz normale Firmen, deren EDV-Anlagen regelrecht ausgeweidet werden.

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CHIP-HERSTELLER: (Übersetzung)

"Auf was die Diebe aus sind, sind nicht die Computer, sondern diese winzigen Chips."

KOMMENTAR:

In Deutschland waren Fälle von Chip-Klau bisher kaum bekannt, bis Polizei und Staatsanwaltschaft Stuttgart vor einem halben Jahr begannen hier bei der Firma Hewlett Packard in Böblingen zu ermitteln. Der amerikanische Computerhersteller, berühmt für freundliches Arbeitsklima und freien Kaffee für alle, wurde von drei Zeitarbeitern regelrecht ausgeplündert. Im Juli wurden sie verhaftet.

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KARL-HEINZ ENGSTLER:

(Staatsanwaltschaft Stuttgart)

"Es handelt sich um drei Beschäftigte bei Hewlett Packard, die sich zusammengetan haben und haben da also wöchentlich in mehreren Fällen praktisch kiloweise diese Chips hinaustragen können. Also der Umfang ist sehr erheblich, die genaue Schadenssumme ist derzeit noch nicht bekannt. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, daß der Schaden sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag beläuft."

KOMMENTAR:

Um diese Speichertyps für Großcomputer geht es, eine solche Platine kostet schon mehrere hundert Mark. Zentnerweise von den drei Mitarbeitern gestohlen. 40 bis 50 Millionen Mark ist die Beute nach PANORAMA-Recherchen wert. Tatort war Gebäude 5 bei Hewlett Packard, neuerdings mit einem Gitter abgesperrt. Vor Monaten war das noch anders. Die Chips waren für jeden zugänglich. Banaler Klau am Arbeitsplatz wurde zum Millionencoup.

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INTERVIEWER:

"Wie ist es überhaupt vorstellbar, daß drei Beschäftigte kiloweise Chips aus der Firma heraustragen?"

KARL-HEINZ ENGSTLER:

"Also, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, da müssen Sie die Verantwortlichen der Firma Hewlett Packard fragen. Es war auf jeden Fall nicht schwer."

KOMMENTAR:

Heute hängen solche Überwachungskameras in Gebäude 5 und dokumentieren jede Bewegung in den sensiblen Bereichen. Hätte die Kamera die Chip-Montage schon vor Monaten beobachtet, hätten die Bilder vermutlich so ausgesehen. Drei Mitarbeiter stopfen sich Rucksäcke und Taschen mit Chips voll und verlassen ungerührt und unbehelligt mit der Beute die Fabrik. So haben es die Diebe bereits gestanden. Sicherheitsmaßnahmen wie Sperrgitter und Taschenkontrollen: glatte Fehlanzeige.

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KLAUS HIERONYMI:

(Bereichsleiter Sicherheit, Hewlett Packard)

"Wir haben sicherlich Fehler gemacht, daß wir das Risiko, das Diebstahlsrisiko dieser speziellen Teile als zu niedrig eingeschätzt haben. Nur - wir wissen, daß Kriminelle uns Sicherheitsleuten immer eine Nasenlänge voraus sind, zumindest für einen gewissen Zeitraum, und den haben wir jetzt aufgeholt."

KOMMENTAR:

Eingefädelt wurde der Millionendeal über eine simple Annonce in einem Anzeigenblatt. Unter solchen Rubriken suchte ein Düsseldorfer Chip-Händler Hardware aller Art. Auf die Annonce meldeten sich Hewlett-Packarad-Arbeiter. Fortan wurde auf Bestellung geklaut.

Die Wohnung des Düsseldorfer Händlers. Aber seit Wochen ist der Mann nicht mehr anzutreffen, mit zig Millionen soll er sich ins Ausland abgesetzt haben. Die geklauten Industrie-Chips, so zeigt eine Grafik der Ermittlungen, ließ der Düsseldorfer von den Platinen ablöten beim sogenannten Dismanteling Service und verwandelte sie damit in leichtverkäufliche PC-Bauteile. Ein großer Teil ging nach Taiwan, aber das war wohl nur eine Durchgangsstation.

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KLAUS HIERONYMI:

Bereichsleiter Sicherheit, Hewlett Packard)

"Ein Teil der Chips, die bei uns verlustiggegangen sind, werden sicherlich sich in dem einen oder anderen PC bei unseren Zuschauern wiederfinden."

KOMMENTAR:

Probleme wie Hewlett Packard hat die gesamte Branche. Siemens Nixdorf bei Augsburg. Hier gibt es eine Taschenkontrolle. Dennoch kam es auch bei Nixdorf zu Diebstählen. In der Abteilung für Festplatten ließen Werksangehörige kürzlich Bauteile im Wert von zwei Millionen Mark mitgehen. Zuvor hatte eine Gang geplant, eine ganze Lagerhalle leerzuräumen.

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JÖRG HILLINGER:

(Staatsanwaltschaft Augsburg)

"Vor einiger Zeit hat eine Tätergruppe von außen versucht, in die Firma hineinzukommen. Sie wollten dort Lagerhallen ausräumen. Es hat sich dabei auch um Computer-Bauteile gehandelt. Der von ihnen angestrebte Schaden wäre beträchtlich gewesen, er hätte sich sicherlich so auf 20 Millionen belaufen."

KOMMENTAR:

Wertvolle Bauteile werden bei Nixdorf jetzt in Stahlkäfigen transportiert. Eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen. Aber noch immer fehlt zum Beispiel eine Kennzeichnung etwa von Speicherchips. um Diebesgut wiederzufinden. Und dringend wünscht sich die Industrie, daß statt örtlicher Polizeien das Bundeskriminalamt aktiv wird. 0-Ton

KLAUS HIERONYMI:

(Bereichsleiter Sicherheit, Hewlett Packard)

"Da es sich bei der Computer-Kriminalität um ein deutschlandweites, wenn nicht gar internationales Phänomen handelt, sehe ich die Zuständigkeit eindeutig beim BKA."

KOMMENTAR:

Denn welche Ausmaße der Chip-Raub annehmen kann, zeigen diese Bilder aus Kalifornien. Dort verhaftete die Polizei kürzlich eine Bande, die Computer-Hersteller brutal mit Waffengewalt überfiel. Bei Raubüberfällen waren schon erste Tote unter den Mitarbeitern der Computer-Firmen zu beklagen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.08.1996 | 21:00 Uhr