Milliardengeschäft geplatzt - Deutsche Atomgeheimnisse vom CIA geklaut?

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER

Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstexperte. © pa picture alliance

Ohne jede Scham forderte US-Präsident Bill Clinton letztes Jahr die CIA auf, mehr Wirtschaftsspionage zu betreiben, und zwar auch bei befreundeten Nationen wie Japan oder Deutschland. Nach monatelangen Recherchen stieß PANORAMA auf einen brisanten Verdacht: daß nämlich der amerikanische Geheimdienst während der UN-Inspektionen im Irak die europäische Gasultrazentrifugen-Technologie ausgespäht hat und dadurch ein Milliaradengeschäft geplatzt ist. Dieser Verdacht ist politisch offenbar so explosiv, daß sich kein Informant vor die Kamera traute.

Wirtschaftsspionage - Atomgeheimnisse von der CIA geklaut?
Bei der Inspektion von illegalen Atomfabriken wird der Leiter verdächtigt, Infos an die CIA weitergegeben zu haben.

Meine Kollegen Volker Steinhoff und Stephan Wels haben zusammen mit mir recherchiert.

KOMMENTAR:

Kurz nach dem Golfkrieg 1991. UNO-Inspektoren brechen auf, um Saddam Husseins Atomanlagen aufzuspüren. Die Mission: eine beispiellose Erfolgsgeschichte, so heißt es kurz darauf weltweit in den Medien. Alle atomaren Fabriken seien entdeckt worden, darunter auch Zentrifugen zur Produktion von Bombenuran.

0-Ton (Übersetzung)

DAVID KAY: (UNO-Einsatzleiter 1991)

"Jetzt wissen wir, daß die Iraker sich Bauteile für über 20.000 Zentrifugen beschafft hatten. Mit der tertigen Anlage hätten die Iraker leicht zwanzig Hiroshima-Bomben pro Jahr produzieren können."

KOMMENTAR:

Zünder für die Bombe. Feixend posierte Saddam Hussein noch 1990 mit solchen Bauteilen auf einer Pressekonferenz, um Eindruck bei den arabischen Brüdern zu schinden. Aus seinen Atomplänen hat er nie ein Hehl gemacht.

Willige Helfer fand der Potentat in der deutschen Provinz im Allgäu, der Ingenieur Karl Heinz Schaab zum Beispiel. Er soll Saddam umfangreiche Atompläne geliefert haben. Schaab ist flüchtig, gegen ihn wird wegen Landesverrat ermittelt. Denn er verriet ein deutsches Staatsgeheimnis. Diese Kohlefaserbauteile sind das Herzstück der sogenannten Gasultrazentrifuge. Kisten dieser Technik fanden die UNO-Inspektoren im Irak - High-tech aus Deutschland. Die Zentrifugen dienen dazu, angereichertes Uran zu produzieren, für Kernkraftwerke wie Atombomben.

Dazu ist es im Irak nie gekommen - Saddams Atomträume ausgeträumt. Die Fabriken gesprengt, Pläne und Bauteile konfisziert. Die UNO-Mission im Irak eine reine Refolgsgeschichte?. - Nicht ganz, ergaben PANORAMA-Recherchen. Die Operation, die die Weitergab von Atomtechnik verhindern sollte, hatte möglicherweise einen unerwünschten Nebeneffekt.

München-Pullach, der Bundesnachrichtendienst. 1994 schlägt er in einem vertraulichen Bericht Alarm. Die UNO-Kontrollen werden erstmals als Gefahrenquelle für Spionage benannt. Die Inspektionen, so heißt es wörtlich, haben die Zentrifugen-Technologie "einem breiten Personenkreis zur Kenntnis gebracht".

Der breite Personenkreis: Inspektoren aus insgesamt 38 Ländern sowie deren Dolmetscher, Fahrer und Mitarbeiter. Der Hersteller der Zentrifugen, die Firma Urenco, an der außer den Deutschen auch Holländer und Engländer beteiligt sind, ist verärgert.

0-Ton

KLAUS MESSER: (Vorstandsvors. Urenco)

"Wir finden es nicht gut, daß zu viele, sehr viele Leute, zu viele Leute, gleich welcher Nation, dadurch Zugang zu einem Teil unserer Technik kriegen."

0-Ton (Übersetzung)

PROF. MAURIZIO ZIFFERERO:

"Wenn es um die Untersuchung von Atomwaffenplänen geht, dürfen nur Inspektoren aus den fünf Ländern teilnehmen, die auch offiziell Atomwaffen haben."

KOMMENTAR:

Doch ein UNO-Inspektor berichtet PANORAMA am Telefon vertraulich etwas ganz anderes:

"In der Anfangszeit der Irak-Inspektion lief das nie so. Die ganze Situation war chaotisch. Jeder Inspektor hatte überall Zutritt."

Bilder aus dem Irak. Was wie eine Entrümpelungsaktion aussieht, ist in Wahrheit eine Inspektion. UNO-Mitarbeiter bei einer Überraschungsdurchsuchung. Tatsächlich finden sie hier unerwartet streng geheime Atompläne. Jeder der 44 Mitarbeiter wühlt sich durch die Unterlagen, so gut er kann, an feste Regeln ist hier nicht mehr zu denken.

Die Wiener UNO-Behörde zur Atomkontrolle, die IAEO - gegründet, um zu verhindern, daß etwa durch Spionage Atomwaffentechnik in unbefugte Hände fällt, ist die Behörde seit langem jedoch auch Operationsgebiet von Spionen. Denn hier lagern Atomgeheimnisse aus allen Ländern der Welt.

0-Ton

ERICH SCHMIDT-EENBOHM: (Geheimdienstexperte)

"Sie werden von den Wiener Abwehrbehörden laut und offen hören, welche GRU- oder KGB-Offiziere in den achtziger Jahren in der IAEO gearbeitet haben, und nur hinter vorgehaltener Hand, daß auch die westlichen Nachrichtendienste in derselben Weise aktiv sind, voran der amerikanische Auslandsnachrichtendienst CIA."

KOMMENTAR:

Ganz unten, im Keller der Behörde. Hier lagern die Schätze aus dem Orient: die Unterlagen aus Saddam Husseins Zentrifugenprogramm. Nach einem Gutachten des Herstellers Urenco geben diese Pläne "einen weitgehenden Aufschluß über moderne Gasultrazentrifugen-Technologie". Interessant ist solches Know-how nicht nur für größenwahnsinnige Diktaroren, sondern auch für westliche Nationen, denn Urananreicherung, etwa für Kernkraftwerke, ist ein milliardenschweres Geschäft.

0-Ton

KLAUS MESSER: (Vorstandsvors. Urenco)

"Niemand könnte damit zunächst Zentrifugen bauen und eine Anlage bauen. Aber wer ohnehin ein F- und E-Programm, ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm, laufen hat, der kann damit Zeit und Geld sparen."

INTERVIEWER:

"Können Sie das vielleicht konkretisieren, wieviel Jahre und wieviel Geld?"

KLAUS MESSER:

"Schwer, aber dennoch, ich sag' mal einfach, er kann damit vielleicht zwei Jahre einsparen, vielleicht ein paar Hundert Millionen Mark einsparen."

KOMMENTAR:

Die Vereinigten Staaten, eine Urananreicherungsanlage, allerdings völlig veraltet. Jahrelang blieb die Entwicklung einer eigenen modernen Zentrifuge ohne Erfolg, trotz milliardenschwerer Investitionen. Deshalb gingen amerikanische Stromkonzerne 1989 ein Joint Venture mit der Urenco ein. Viel Jubel in Louisiana, dort sollte über eine Milliarde Mark für eine Zentrifugenfabrik inverstiert werden, die Anlage 1996 in Betrieb gehen. Aber statt der riesigen Fabrik gibts heute nur dieses kleine Büro. Seit 1993 haben die Amerikaner plötzlich das Interesse verloren - merkwürdigerweise zwei Jahre nach dem Beginn der UNO-Inspektion.

Bagdad 1991. Zum ersten Mal finden UNO-Inspektoren brisante Unterlagen über die Zentrifugen. Einsatzleiter Kay weiß genau, wonach er sucht.

0-Ton (Übersetzung)

DAVID KAY:

"Das Gebäude war voll von Dokumenten, wir konnten mit 44 Inspektoren natürlich nicht alles durchsehen, aber wir waren vorbereitet, mit Schlüsselbegriffen und Beschreibungen."

KOMMENTAR:

Der gut informierte David Kay, Chef der UNO-Inspektion, von den Irakern schnell als Geheimdienstmann geschmäht.

0-Ton (Übersetzung)

TARIK ASIS: (Stellv. Ministerpräsident Irak)

"Das ist ein Spionageunternehmen, es hat nichts mit den UNO-Geschäften zu tun, es ist ein CIA-Geschäft. Dieser Mann sammelt Informationen nicht für die UNO, sondern für den Geheimdienst, für den er arbeitet."

KOMMENTAR:

Kay ein CIA-Mann? Was damals als plumpe irakische Propaganda wirkte, haben UNO-Inspektoren gegenüber PANORAMA als glaubwürdig bestätigt. Tatsächlich: Kay ist merkwürdigerweise nicht Atomphysiker, sondern Soziologe und wurde auf massiven Druck der amerikanischen Regierung zum Einsatz vor Ort geschickt. Kaum waren die Zentrifugenakten gefunden, informierte er Washington per Telefon und dann erst die UNO - gegen alle Regeln. Wirtschaftsspionage?

Viel spricht dafür. So hat ein US-Team hier in Wien alle im Irak gefundenen Atompläne auf Computer-CD kopiert. Laut Wiener Behörde seien alle kommerziell interessanten Papiere aber vorher von Urenco-Mitarbeitern aussortiert worden.

0-Ton (Übersetzung)

PROF. MAURIZIO ZIFFERERO: (Chef UNO-Inspektionen)

"Ja, ja, das stimmt, einige Dokumente über die Zentrifugen sind elektronisch kopiert worden, aber nur solche, die kommerziell nicht interessant waren. Das geschah mit Hilfe eines Teams von US-Experten."

KOMMENTAR:

Doch nach weiteren Recherchen räumt Zifferero seit heute ein,daß auch brisante Ureco-Papiere kopiert wurden, man habe sie aber wieder gelöscht - wenig glaubhaft.

0-Ton

ERIACH SCHMIDT-EENBOHM: (Geheimdienstexperte)

"Nachrichtendienste nutzen jeden nachrichtendienstlichen Zugang, um ihre Aufklärungsprioritäten zu erfüllen. Und die Amerikaner haben eine starke Priorität, was die deutsche Nukleartechnik betrifft, sowohl aus militärpolitischen Gründen wie natürlich aus dem Aspekt heraus, daß man immer versucht, Schlüsseltechnologien eines konkurrierenden Landes nachhaltig auszuforschen."

KOMMENTAR:

Die Firma Urenco in Deutschland, eines der renommiertesten High-tech-Unternehmen - nun Opfer einer Spionageopperation? Der Urenco-Boss streitet das offiziell ab. Das Ausscheren der Amerikaner aus dem Joint-Venture habe andere Gründe.

0-Ton

KLAUS MESSER:

(Vorstandsvors. Urenco) "Ich glaube nicht,daß die Inspektionen im Irak damit zu tun haben, das hat rein kommerzielle Gründe.

KOMMENTAR:

Aber trotz solcher Dementis vor der Kamera, hinter verschlossenen Türen berichten Urenco-Experten anders, etwa dieser Mann, Horst Pütter. Er hat für die Urenco an den UNO-Inspektionen im Irak teilgenommen. Mit uns darf er über die Inspektion nicht reden. Geredet hat er aber beim Bundesnachrichtendienst, beim Zollkriminalamt und im Wirtschaftsministerium. Seine Einschätzungen werden dort im Kern geteilt.

Diese Behörden hüllen sich offizell in Schweigen, vertraulich am Telefon bestätigen Mitarbeiter aber den Verdacht auf Spionage.

Im Ressortkreis Außenwirtschaft der Bundesregierung ist offen darüber gesprochen worden, daß während der UNO-Inspektionen wesentliches Wissen abgeflossen sei und Urenco deshalb ums Überleben kämpfe. Es gehe um 300 Millionen Mark Schaden.

Doch Urenco möchte einen öffentlichen Konflikt mit den USA um jeden Preis verhindern - aus kommerziellen wie politischen Gründen.

0-Ton

ERICH SCHMIDT-EENBOHM: (Geheimdienstexperte)

"Wir erleben es als Regelfall, daß deutsche Konzerne, wenn sie Opfer von Wirtschaftsspionage werden, schweigen, und das tun sie aus zwei Gründen: einmal aus Scham, weil es dem Image nicht dient, wenn man Opfer einer solchen Aktion geworden ist, und zum anderen natürlich, weil man mit dem Täterland auch weiterhin wirtschaftliche Beziehungen auf Dauer unterhalten möchte."

Abmoderation

JOACHIM WAGNER:

Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Die UNO-Sonderinspektion im Irak war notwendig und sinnvoll, um die Weiterverbreitung von Atombomben-Technologie zu verhindern. Allerdings sollte man angesichts der aufgezeigten Gefahren künftig noch genauer als bisher darauf achten, daß solche Kontrollen nicht zur Wirtschaftsspionage mißbraucht werden.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.11.1996 | 21:00 Uhr