Durchsuchungen und Verhaftungen - Ermittler knacken bundesweiten Ring von Umweltsündern

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER

Hände in Handschellen gelegt © Fotolia.com Foto: Gina Sanders

Guten Abend, meine Damen und Herren, seit heute morgen 9.30 Uhr läuft die größte Razzia gegen Umweltsünder in der Geschichte der Bundesrepublik. 550 Polizisten und 10 Staatsanwälte haben 118 Objekte in 14 Bundesländern durchsucht. Die Frankfurter Staatsanwälte gehen von einer ökologischen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes aus. Über die Spektakuläre Aktion und ihren Hintergrund eine Gemeinschaftsproduktion der PANORAMA-Redaktion.

Altöl, Gift, Korruption - Razzia gegen Umweltsünder
Bei der Durchsuchung von insgesamt 118 Firmen in 14 Bundesländern kam es zu zahlreichen Verhaftungen.

KOMMENTAR:

Heute morgen, Syke, 9 Uhr 30. Die Sondermüll-Firma STA erhält überraschenden Besuch von Staatsanwälten und Polizisten. Die Ermittler kommen mit Durchsuchungs- und Haftbefehlen im Gepäck. Ihr Vorwurf: Die Firma soll Sondermüll illegal beseitigt haben. Auftakt zu einer Großrazzia gegen Umweltkriminelle.

Zeitgleich durchsuchen rund 600 Polizisten heute vormittag Entsorgungsfirmen im ganzen Bundesgebiet, die unter Verdacht stehen, illegale Geschäfte mit Sondermüll zu machen. Die größte Razzia gegen Umweltsünder in der Geschichte der Bundesrepublik. In 14 Bundesländern werden 118 Objekte durchsucht, 7 Festnahmen, tonnenweise wird belastendes Material rausgeschleppt. Der Schlag richtet sich gegen einen bundesweiten Ring krimineller Entsorgungsfirmen.

Ein Beispiel: Diese Hamburger Firmengruppe. Sie firmiert als Recycler von Altöl. Eigentlich eine gute Visitenkarte. Gilt Recycling doch als besonders umweltfreundlich. Doch tatsächlich soll die Firma hochgiftige Industrieschlämme übernommen haben, für die eigentlich teure Entsorgung soll sie viel Geld kassiert haben. Die Giftschlämme seien dann mit gefälschten Papieren zu harmlosem Altöl umdeklariert worden. Aus Sonderschlämmen und Altöl soll die Firma regelrechte Giftcocktails gepanscht haben. Da werden sich manche Verbraucher wie zum Beispiel Hobbygärtner oder Bauherren noch wundern. Denn die Giftbrühe soll unter anderem in Blumenerde eingemischt, mit Bausand vermengt oder anderen Baustoffen für den Straßenbau beigegeben worden sein. Die Profite solcher Giftmüllschiebereien sind extrem hoch.

O-Ton

LOTHAR BERGMANN

(Wasserschutzpolizei Bereich Umwelt, Hamburg) "Ja, in der Tat, es ist natürlich typisch für nahezu alle diese größeren Deliktsfelder, daß sie über die illegale Handlung nicht Gewinne machen, sondern einfach kassieren wie beim Lotto, als hätten sie einen Lottogewinn. Sie machen was Hochkriminelles und sind in der Lage, Millionenbeträge im Extremfall daran zu verdienen, wie man das also mit Betäubungsmittelhandel, mit Waffenhandel, mit Menschenhandel auch tut."

KOMMENTAR:

Die mutmaßlich führenden Köpfe des aufgeflogen Giftmüllrings. Lüdecke Willenbruch heute vormittag bei seiner Festnahme im niedersächsischen Syke.

Ansgar Junghuelsing, heut früh in Frankfurt, wenige Stunden vor seiner Festnahme. Besonders skurril: Junghuelsing brachte offenbar nicht nur Sondermüll, er brachte auch Leichen unter die Erde. Der eine Zweig seines Firmengeflechts: Entsorgungsfirmen für flüssige Sonderschlämme und Altöl. Der andere Zweig: Bestattungsunternehmen. Einige will Junghuelsing angeblich verkauft haben.

Die Bestattungsfirmen des Müllschiebers brachten Ermittler auf den makaberen Verdacht, daß Junghuelsing nicht nur Leichen, sondern auch Müll in Särge packt und unter die Erde bringt. Es klingt abwegig, aber schon in der Vergangenheit sind Firmen aufgeflogen, die Müll in Särgen beerdigten.

Bezeichnend immerhin, daß die Bestatter offenbar in Panik ihre Pforten schlossen, als die Durchsuchung in den Sondermüllfirmen begann.

Auf welchen Wegen auch immer die kriminellen Entsorger ihren Sondermüll los wurden, eines steht fest:

Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchten heute nicht nur die Privaträume der mutmaßlichen Haupttäter, sondern auch Amtsstuben in süddeutschen Behörden. Der Verdacht lautet: Korruption.

Die Müllmafia brauchte offenbar Beamte, die sich bestechen ließen. Vor allem Begleitpapiere mußten massenweise gefälscht werden.

Ein Beispiel: Die Müllschieber sollen hochgiftige Sonderschlämme aus Fabriken übernommen haben. Offenbar noch während der Fahrt wurden die Begleitpapiere gefälscht, der Sonderschlamm zu Altöl umdeklariert. Diese gefälschten Papiere soll der Entsorger an die zentrale Umweltbehörde weitergeleitet haben. Parallel jedoch gab die Fabrik die richtigen Papiere auch an lokale Behörden weiter. Dort, so der Verdacht, sollen Beamte bestochen worden sein.

Auch hier sollen Papiere umdeklariert und an die zentrale Umweltbehörde geschickt worden sein. Der Sonderschlamm tauchte nirgends mehr auf. Die mutmaßlichen Müllschieber konnten den Schlamm, für dessen teure Entsorgung sie viel Geld kassiert haben, auf billige Art und Weise loswerden.

0-Ton

LOTHAR BERGMANN (Wasserschutzpolizei Bereich Umwelt, Hamburg)

"Was mich wirklich verbittert, ist: Angesichts insbesondere der ja gesellschaftlich allgemein in Konsens befindlichen Umweltschutzidee, daß es immer noch - und gerade dann in Behörden - Leute gibt, die für ein paar Mark solche schwerwiegenden Folgen für die Umwelt in Kauf nehmen. Aber das ist Fakt, ja, in Einzelfällen ist das so."

KOMMENTAR:

Der bedarf an Kartons für beschlagnahmtes Beweismaterial reißt nicht ab. Die heute aufgeflogenen Giftschlammschiebereien, heißt es bei Staatsanwälten, stellen eine ökologische Katastrophe bisher nicht gekannten Ausmaßes dar. Die Schäden sollen im dreistelligen Millionenbereich liegen. Staatsanwälte in Frankfurt und vor Ort blieben heute allerdings noch wortkarg.

O-Ton INTERVIEWER:

"Was haben Sie gesucht?"

STAATSANWALT:

"Unterlagen."

INTERVIEWER:

"Und was haben Sie gefunden?"

STAATSANWALT:

"Unterlagen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.10.1996 | 21:00 Uhr