Bohrschlamm verseucht Nordsee - Britische Ölgesellschaften wollen Förderinseln ins Meer kippen

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER

Bohr- und Förderinsel © dpa

Wenn bei Hoechst ein Chemie-Unfall passiert, kommen Anwohner, Presse oder Behörden heute meist schnell dahinter. Wenn sich dagegen auf den Ölplattformen in der Nordsee Unfälle ereignen, dann fällt es meist niemandem auf. Riesige Ölteppiche auf dem Wasser nach Produktionspannen und Gebirge mit ölhaltigem Bohrschlamm auf dem Meeresgrund sind bisher kaum wahrgenommen worden. Dabei ist die jahrelange Verschmutzung der Nordsee durch ölige Bohrschlämme wesentlich gefährlicher für die Umwelt als zum Beispiel leckgeschlagene Supertanker - mit bisher kaum beachteten Folgen für die weitere Entsorgung von Bohrinseln. Eine Recherche von Dethlev Cordts.

Hunderte Unfälle: Bohrschlamm verseucht Nordsee
Durch Unfälle auf Ölbohrinseln fließen jährlich hunderttausende Tonnen Chemikalien und Öl durch Bohrschlamm ins Meer.

KOMMENTAR:.

Die deutsche Nordseeküste im Herbst `96. Der Wind pfeift übers Watt, und immer wieder bücken sich die Urlauber nach diesen kleinen schwarzen Kügelchen. Tarballs, wie die Fachleute sagen: Teerbälle - das sind die Rückstände der Ölindustrie in der Nordsee. Schwarze Füße gehören hier zum Erkennungszeichen.

Riesige Ölteppiche auf dem Wasser stammen nicht nur von Schiffen oder Tankerunfällen - dieser kommt von einer Bohrinsel. Hunderte solcher Unfälle hat es hier draußen gegeben, und die Öffentlichkeit erfährt nichts davon, weil die Bohrtürme zu weit weg im Meer liegen. Öffentliche Kontrolle und Strafverfolgung gibt es nicht. Eine typische Aufgabe für Greenpeace.

0-Ton

CHRISTIAN BUSSAU: (Greenpeace)

"Allein 1992 sind durch die Ölindustrie 100.000 Tonnen Chemikalien und 14.000 Tonnen Öl in die Nordsee eingeleitet worden. Das sind also riesige Mengen von Chemikalien und Öl. Der Öleintrag kommt einerseits durch das Öl, was im Produktionswasser enthalten ist, andererseits ist das Öl, was in den Bohrschlämmen enthalten ist, und außerdem Öleinträge durch Unfälle, die leider immer wieder passieren."

KOMMENTAR:

Besuch auf einer Bohrplattform im britischen Teil der Nordsee. Hier steht eine Insel neben der anderen - ein ganzes Industriegebiet mitten im Meer.

Der Bau ist spartanisch: Stahlgitter 60 Meter über dem Meer. Zusammen mit dem Öl wird Wasser gefördert, Produktionswasser, Abfall. Gereinigt, aber noch immer mit Öl vermischt, kippen die Ölfirmen den Dreck einfach ins Meer.

Überall das gleiche Bild, und je leerer die Ölquelle wird, umso mehr ölhaltiges Wasser verschmutzt das Meer: 6.000 Tonnen jedes Jahr.

Zwei bis drei Millionen Mark bringt so eine Förderplattform täglich ein. Rund um die Uhr wühlen sich die Bohrer in den felsigen Untergrund, und damit sie nicht heißlaufen, kühlt man sie mit Chemikalien. Pro Bohrloch braucht man 1.500 Tonnen. Nur so kommt das Gesteinsmehl nach oben, nur so bleiben Rohre und Bohrkopf unbeschädigt.

Bohrschlämme, das sind hochgiftige Mischungen aus Öl, Schwermetallen, Chemie und Gestein. Nach einem einfachen Recycling bleibt nur noch giftiger Sondermüll zurück. Auch der wird einfach ins Meer gekippt - und das ist auch noch legal.

0-Ton (Übersetzung).

JONATHAN WILLS: (Journalist, Shetland Inseln)

"Normalerweise ist Dieselöl drin, und jahrelang haben sie ihre ölhaltigen Schlämme einfach über Bord gekippt. Auf dem Meeresboden um die Anlagen herum hat sich ein richtiger Teppich gebildet. Jede Bohrinsel darauf steht in mehreren Hektar ihres eigenen Drecks."

KOMMENTAR:

An der Wasseroberfläche ist nichts zu sehen, das Drama spielt sich 200 Meter tiefer ab. Die giftigen Bohrschlämme breiten sich kilometerweit aus.

Und so sieht die Müllhalde aus der Sicht der Unterwasserkamera aus: keine Schnecken, keine Muscheln, keine Seesterne - alles ist tot. Nur hier und da weiterer Müll aus der Ölförderung.

Eine Greenpeace-Aktion: Ein hochseetaugliches Schiff fährt raus zu den Ölfeldern, um die schmutzigen Entsorgungspraktiken nachzuweisen. Nicht einfach, denn niemand darf sich den Bohrinseln nähern: 500 Meter Sperrzone - aus Sicherheitsgründen, wie es heißt.

Der Greifbagger von Greenpeace wird gespannt. Mit ihm sollen auch hier, in 500 Meter Abstand, noch ölige Bohrschlämme nachgewiesen werden. Langsam gleitet er in die Tiefe. Unter der Plattform North-West-Hutton vermuten Wissenschaftler 25.000 Tonnen ölhaltiger Bohrschlämme - ein ganzes Gebirge.

Als der Bagger geschlossen aus 200 Meter Tiefe vom Meeresboden nach oben kommt, steigt die Spannung. Es stinkt nach Öl, als die Klappe geöffnet wird, und drin ist nicht etwa Sand, sondern schwarzbrauner Bohrschlamm unter einer trüben Wasserschicht.

An der Universität Oslo erforscht der im Irak geborene Chemieprofessor Mahamed Abdallah die Auswirkungen der Bohrschlammverklappung.

0-Ton (Übersetzung)

MAHAMED ABDALLAH: (Universität Oslo)

"Zuerst einmal erstickt alles. Das ist so, als wenn man große Mengen an Schlamm auf den Meeresboden kippt. Die Tiere werden verschüttet und ersticken. Das ist der erste Effekt. Und dann beginnen sich die Verunreinigungen aus dem Bohrschlamm zu lösen und gehen ins Meerwasser über. Diese Substanzen aber sind schädlich, das sind giftige Schwermetalle, und die gelangen auf diesem Wege ins Ökosystem."

KOMMENTAR:

Wichtigster Hinweis auf die Qualität des Meeresbodens ist der Schlangenseestern.

0-Ton (Übersetzung)

DR. FRODE OSGARD: (Universität Oslo)

"Den finden wir nicht mehr bei den Plattformen bis zu einem Abstand von einigen Kilometern. Das heißt, daß ein Gebiet von etwa 10 Quadratmetern um die Plattformen praktisch frei von Seesternen ist. Normalerweise wären da 1.000 Stück pro Quadratmeter, hier aber sind wir bei Null."

KOMMENTAR:

Und noch ein Ergebnis der Forscher in Oslo ist erschreckend: Verglichen mit der Bohrschlammverklappung sind Tankerunfälle fast schon harmlos.

0-Ton (Übersetzung)

DR. FRODE OLSGARD:

"Wenn man Bohrschlämme verklappt, versenkt man das Öl zusammen mit dem Gestein im Meer, denn es klebt am schweren Gestein fest und sinkt auf den Boden. Das Öl bleibt nicht an der Wasseroberfläche, und daher sind die negativen Auswirkungen hier viel größer als bei einem Tankerunglück."

KOMMENTAR:

5 bis 8.000 Quadratkilometer Meeresgrund - ein Gebiet zwei bis dreimal so groß wie das Saarland - sind heute schon verseucht. Alle 400 Plattformen sollen nach Betriebsende an Land verschrottet werden, so fordert es die Nordseeschutzkonferenz. Das aber wollen die britischen Ölgesellschaften nicht - mit dem zynischen Hinweis auf drohende Umweltschäden.

0-Ton (Übersetzung)

ERIC C. FAULDS: (Shell, Großbritannien)

"Die Situation wird kompliziert durch die Bohrschlämme, die auf dem Meeresboden liegen. Vielleicht zeige ich das mal in der Zeichnung: Einige Bohrtürme sind an diesem Punkt hier mit den Förderrohren verbunden. Und darüber liegen die ölkontaminierten Bohrschlämme aus dem Bohrprozeß. Diese Verbindung zu lösen, ist mit viel Tauch- und Baggerarbeit verbunden, und das ist problematisch für die Umwelt. Man schafft größere Probleme, wenn man das aufwühlt, als wenn man es so läßt."

KOMMENTAR:

Zu dem Müllberg am Boden kommt also noch der Schrott der Anlage. Nach den Entsorgungsplänen für die britische Nordsee sollen ganze Bohrinseln an Ort und Stelle umgekippt werden: Schrott zu Bohrschlamm, Müll zu Müll.

0-Ton (Übersetzung)

MICHAEL CLOUGHLEY: (Int. Verband der Öl- und Gasförderer)

"Wir müssen nach der Umwelt schauen, nach der Sicherheit, nach der technischen Machbarkeit und auch nach den Kosten. Es ist die Frage nach der Balance zwischen diesen Faktoren, die sich auch widersprechen. Und es kann dann sein, daß die Versenkung auf See unter Berücksichtigung aller Faktoren tatsächlich die beste verfügbare Lösung ist."

KOMMENTAR:

Und die billigste Lösung für das "Industriegebiet Nordsee" ist es natürlich auch. Während die Verbraucher ihren Müll sortieren und für die Verschrottung ihres Autos zahlen müssen, möchten britische Mineralölkonzerne die Nordsee weiter als Müllkippe nutzen - auch nach dem Debakel mit "Brent Spar".

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.10.1996 | 21:00 Uhr