Stand: 12.05.20 19:11 Uhr

Zur Cum-Ex-Berichterstattung

Das Logo des Bankhauses M.M.Warburg & CO ist in großen Lettern über dem Haupteingang in Hamburg befestigt. © dpa

Gegen Verantwortliche der Hamburger Warburg Bank wird wegen illegaler Cum-Ex-Steuerdeals ermittelt.

"Panorama" und "Die Zeit" haben am 13. Februar 2020 zum Thema "Hamburger Warburg Bank im Cum-Ex-Skandal" berichtet. In den darauffolgenden Tagen gab es zum Teil erhebliche Vorwürfe zu den Veröffentlichungen. So wurde kritisiert, "Panorama" und "Die Zeit" hätten mit der Berichterstattung Einfluss auf den Wahlkampf genommen. Kritiker betonen außerdem, die Politiker hätten keinen Einfluss auf die Hamburger Finanzbehörden genommen. Und "Panorama" habe ein Zitat mutwillig falsch wiedergegeben. Am Montag, den 24. Februar, erklärte Bürgermeister Peter Tschentscher, der NDR habe "kräftig mitgemischt im Wahlkampf".

Daher hat die Redaktion den Sachverhalt im Einzelnen noch einmal aufbereitet:  

Kritikpunkt: Berichterstattung kurz vor den Bürgerschaftswahlen 

Auslöser der Recherchen für den Bericht am 13. Februar waren aktuelle Ereignisse in dem derzeit laufenden Cum-Ex-Prozess vor dem Bonner Landgericht, der vom NDR wegen möglicher Verwicklungen der Warburg Bank von Anfang an intensiv beobachtet wird. Die Rechercheure gingen der Frage nach, was es mit einem Steuerbescheid auf sich hatte, der in dem Verfahren im November 2019 zur Sprache kam und in dem es um 47 Millionen Euro ging. Hierzu sprachen sie mit Quellen, sammelten auf üblichen Recherchewegen Informationen.

Am 31. Januar 2020 wurde durch Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) bekannt, dass die Warburg Bank mit der Hamburger Finanzbehörde offenbar kurz vor einer Einigung stehen solle. Mit dieser Einigung hätten sich die Zahlungsverpflichtungen der Warburg Bank unter Umständen deutlich reduziert.

Kurz nach der SZ-Berichterstattung gab der Vorsitzende Richter im Verfahren vor dem Landgericht Bonn am 5. Februar 2020 eine mehr als einstündige Stellungnahme ab. Der Richter machte in dieser extra einberufenen Sitzung deutlich, unter welchen juristischen Voraussetzungen er die Steuerschuld der Warburg Bank vollumfänglich abschöpfen kann und offenbar gewillt ist, das zu tun.

Die Stellungnahme des Gerichts war so eindringlich, dass die möglichen Verbindungen zwischen Hamburger Finanzbehörden und der Warburg Bank in den Fokus der Recherchen rückten. Alle notwendigen Informationen für eine Berichterstattung lagen der Redaktion in der zweiten Februarwoche vor.

Die journalistische Sorgfalt gebietet es, Rechercheergebnisse von öffentlichem Interesse nicht bewusst zurückzuhalten, sodass eine Berichterstattung am 13. Februar 2020 - Sendetag von "Panorama" ("Panorama" sendet alle drei Wochen) - geboten war. Zu demselben Schluss kam unser Kooperationspartner, die Wochenzeitung "Die Zeit", die ebenfalls an diesem Tag publizierte.

Kritikpunkt: Mutwillig verkürztes Zitat 

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung wurde "Panorama" vorgeworfen, ein Zitat aus dem Tagebuch von Herrn Olearius zu einem Treffen mit dem damaligen Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg, Olaf Scholz, im November 2017 mutwillig verkürzt zu haben, um einen falschen Eindruck zu erwecken. "Panorama" hatte über das Treffen von Herrn Scholz und Herrn Olearius am 13. Februar 2020 bei "Panorama" wie folgt berichtet:

"Im November 2017 etwa notiert Olearius ein Treffen im Hamburger Rathaus. Er habe sich mit Bürgermeister Scholz über den 'Sachstand bei Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft' beraten. Und er interpretiert Scholz so, dass er und die Bank sich 'keine Sorgen zu machen brauchen'."

Am 19. Februar 2020 warfen Anwälte der Warburg Bank "Panorama" vor, Wahlkampfbeeinflussung betreiben zu wollen, den Tagebucheintrag verkürzt und dadurch verfälscht wiedergegeben zu haben, und veröffentlichten einen erweiterten Tagebucheintrag. Das "Abendblatt" titelte "Tagebuch-Eintrag entlastet Scholz", die "Bild" veröffentlichte einen Artikel mit demselben Tenor.

Demnach lautete der Eintrag im Tagebuch von Herrn Olearius:

"Ich meine, sein(e) zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen." 

Hätte die Formulierung "sein zurückhaltendes Verhalten" also von "Panorama" nicht der Vollständigkeit halber erwähnt werden müssen? 

Die Redaktion hat hier aus Ermittlungsakten zitiert. In diesem Fall gilt der § 353d Strafgesetzbuch. Der §353d legt auch Journalist*innen auf, nur etwas aus Ermittlungsakten zu zitieren, wenn es unbedingt im öffentlichen Interesse ist und dann auch nur so kurz wie möglich - sonst macht man sich strafbar.

Auf dieser Basis musste die Zitierung möglichst sparsam ausfallen. 

Der Redaktion lag zum damaligen Zeitpunkt der mittlerweile öffentliche, vollständige Tagebucheintrag vor. Der lautet:   

"Ich bin mit Bürgermeister Scholz verabredet. Pünktlich treffen wir um 17:00 Uhr in seinem Bürgermeister-Amtszimmer zusammen. Jetzt mit hellem Blauteppich ausgelegt. Kein Schreibtisch. Erst Plaudern. Ich erzähle von Neue Heimat, Hamb. Stadtwerke, (unleserlich). Dann berichte ich vom Sachstand bei Finanzbehörde, Staatsanwaltschaft. Ich meine,sein(e) zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Die Deutsche Bank werde wohl geschont. Meine Interpretation - cui bono - auf uns abzulenken, sei wahrscheinlich. Das Spiegel-Gespräch sollte ich führen, mich aber maßvoll äußern. In Szene setzen in…"

Aus Sicht der Redaktion hat die Zitierung in "Panorama" den Kern des Tagebucheintrages daher zutreffend zusammengefasst und wiedergegeben. 

In Anbetracht des zwischenzeitlich entstandenen Missverständnisses ist die Redaktion allerdings heute der Auffassung, dass es besser gewesen wäre, den Textauszug aus den Ermittlungsakten trotz einer möglichen Strafbarkeit zumindest sinngemäß vollständig wiederzugeben.

Kritikpunkt: Keine Beweise für unzulässige Einflussnahme der Politik auf die Finanzbehörden

Für eine direkte unzulässige Einflussnahme gibt es keinerlei Beweise. Das hat "Panorama" auch nicht behauptet, hätte es aber in der Berichterstattung deutlich machen sollen.

Allein rein zeitlich ist eine Einflussnahme bzgl. der Rückforderung der 47 Millionen Euro auch nicht möglich. Die Verjährung trat bereits 2016 ein, während das berichtete Treffen Scholz-Olearius erst 2017 stattfand.

Was passierte 2016?

Im Jahr 2016 informierten Ermittler und das Bundesfinanzministerium (BMF) die Hamburger Finanzbehörde darüber, dass sich Warburg aus Cum-Ex-Geschäften im Steuerjahr 2009 rund 47 Millionen Euro offenbar unberechtigt verschafft hatte. Eine Forderung, die Ende 2016 in die steuerrechtliche Verjährung zu laufen drohte. Es war nicht das einzige Warnsignal: Anfang 2016 hatte die Staatsanwaltschaft Köln die Geschäftsräume der Warburg Bank durchsuchen lassen - wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung. Auch Hamburger Behörden änderten nun ihre Meinung und erkannten eine Steuerschuld von Warburg. Doch am Ende des Jahres 2016 kam es zu einem weiteren Schwenk: Die Rückforderung an Warburg unterblieb, angeblich, weil man das Risiko eines Rechtsstreits mit Warburg nicht tragen wollte.

Was passierte 2017?

Offenbar weil sein Hinweis 2016 an Hamburg folgenlos geblieben war, wies das BMF die Hamburger Finanzbehörde 2017 nunmehr für das noch nicht verjährte Steuerjahr 2010 an, weitere 43 Millionen Euro von Warburg zurückzufordern und dieses Geld nicht, wie im Jahr zuvor, in die steuerrechtliche Verjährung laufen zu lassen. Die Treffen mit SPD-Spitzenpolitikern fielen in den gleichen Zeitraum.

In den Tagebuchaufzeichnungen heißt es auch, dass sich Olearius Anfang Dezember 2017 mit dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, traf. Kurz zuvor hatte das Bundesfinanzministerium die Hamburger Finanzbehörde angewiesen, die weiteren Cum-Ex-Steuererstattungen für das Steuerjahr 2010 zurückzufordern. In den Aufzeichnungen heißt es, Kahrs habe sich in dem Gespräch dazu bereit erklärt, sich "in Berlin einen Durchblick" zu verschaffen. Er wolle sich der Frage annehmen: "Was treibt das Ministerium?"

Auch wenn die Redaktion an keiner Stelle behauptet hat, dass es eine direkte unzulässige Einflussnahme durch die Politik gegeben hat, sieht sich die Redaktion aufgrund der nachfolgenden Berichterstattung veranlasst, zu betonen, dass derzeit keine Beweise für eine unzulässige politische Einflussnahme auf die Finanzbehörden vorliegen. 

Allerdings bleibt es dabei, dass sich damalige Hamburger Spitzenpolitiker mit dem der schweren Steuerhinterziehung verdächtigen Herrn Olearius über dessen Steuer- und Strafverfahren ausgetauscht haben. Ferner dokumentieren die Recherchen einen - im Vergleich zu anderen Behörden - zurückhaltenden Umgang der Hamburger Steuerbehörden mit der Warburg Bank, die den Staat mit Cum-Ex-Geschäften um mehrere Hundert Millionen Euro Steuergelder erleichtert haben soll.

Korrekturen online

Eine Bildunterschrift auf Panorama.de war missverständlich. Die Verjährung und das Treffen Scholz-Olearius wurden nebeneinander gestellt, ohne die zeitliche Differenz deutlich zu machen. Dadurch konnte auf einen direkten Zusammenhang geschlossen werden. Die Bildunterschrift wurde geändert.

An einer Stelle hieß es in einem Online-Text, Scholz habe ein Treffen mit Herrn Olearius bestritten. Dieses Treffen hatte aber nicht Olaf Scholz bestritten, sondern der Senat hatte auf eine kleine Anfrage der Linken bzgl. Treffen von Senatsmitgliedern zum Thema Cum-Ex und steuerrechtlichen Verfahren verneint, dass es Treffen gegeben habe. Diese Stelle wurde online korrigiert. In der Fernsehausstrahlung hatten wir diesen Sachverhalt korrekt berichtet.

Diese Stelle wurde korrigiert.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste 13.02.2020 | 21:45 Uhr