Kommentar

Stand: 23.09.13 08:28 Uhr

Vertreibung der Polit-Vampire - Triumph für Teflon-Angie

von Christoph Lütgert
Zu Beginn der Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt in Berlin: Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (r) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (beide FDP). © dpa-Bildfunk Foto: Wolfgang Kumm

Die Verlierer des Abends: Philipp Rösler und Rainer Brüderle.

Fangen wir mit dem Haupt-Verlierer an: der FDP. Wir brauchen ihr keine Träne nachzuweinen. Sie machte sich selbst komplett überflüssig, war eine "kompetenzfreie Zone", wie es ARD-Zahlenguru Schönenborn formulierte. Die Freien Demokraten bettelten würdelos nur noch um die Zweitstimmen von Unionswählern, hatten nichts Eigenes mehr im Angebot. Die ehemals liberale Bürgerrechtspartei als Ansammlung von Polit-Vampiren, die sich an den Christdemokraten festsaugen wollten. Rösler, Brüderle, Westerwelle, Niebel und Consorten machten das eigene Überleben zum einzigen Wahlziel.

Die große Siegerin - trotz allem

Angela Merkel auf einer Bühne auf Borkum. © picture alliance / dpa Foto: Joerg Sarbach

Hat auch weiterhin gut Lachen: Angela Merkel.

Und nun zur großen Siegerin: Angela Merkel. Ihrer Person ist das triumphale Ergebnis für die Union zu verdanken. Sie ist in des Wortes wahrer Bedeutung ein Phänomen. Denn was hat sie so unwiderstehlich gemacht? Charisma? Bestimmt nicht! Und dass das von ihr geführte Chaos-Kabinett die beste Regierung seit der Wiedervereinigung war, glaubte sie - die Unterstellung sei erlaubt - gewiss selbst nicht. Hatten Koalitionäre sich nicht gegenseitig als "Gurkentruppe" und "Wildsäue" beschimpft? Musste die angeblich so starke Kanzlerin nicht den familienpolitischen Blödsinn der Herdprämie durchwinken, weil die CSU es partout wollte? Gab es nicht personale Flops in Serie? Erzwungene Ministerrücktritte und gleich zwei erwiesenermaßen ungeeignete Bundespräsidenten, die die Kanzlerin Angela Merkel mit Brachialgewalt gegen bessere Kandidaten durchgedrückt hatte? War und ist sie nicht erschreckend passiv in der skandalösen Ausspäh-Affäre? Nichts davon wurde und wird ihr angelastet. Alles tropft an ihr ab. Die Teflon-Kanzlerin wird von ihren Wählern königinnengleich verehrt. "Lieb Vaterland, magst ruhig sein" ... das wollen viele, und deshalb wollen sie Angela Merkel.

Totalschaden für Rot-Grün

Rot-Grün hat einen Totalschaden erlitten, ist weiter denn je von einer Neuauflage entfernt. Die SPD hatte den falschen Spitzenkandidaten, hat einen sprunghaften Parteivorsitzenden und eine Generalsekretärin, die sich im Bundestag mit Pippi-Langstrumpf-Liedern blamiert. Nach ihrem jämmerlichen Zugewinn ist sie noch immer keine Volkspartei. Jetzt stehen die Sozialdemokraten vor der entscheidenden Frage, ob sie wieder in eine große Koalition mit der Union sollen. Beim vorigen Mal war ihnen das dermaßen schlecht bekommen, dass für den Wiederholungsfall innere Zerreißproben drohen. Wenn die SPD für die Zukunft überhaupt noch eine Machtoption auf die eigene Kanzlerschaft haben will, muss sie ihr Verhältnis zur "Linken" klären und neu definieren. Mit so viel Widerwillen wie sozialdemokratische Spitzenleute heute der Gysi-Truppe begegnen, hatte die SPD vor Jahrzehnten über die Grünen geredet. Da hatte sie sich mit ihrer Aversion schon einmal den Wiederaufstieg zur Regierungspartei verbaut. Und die Schmuddelkinder von damals sind heute die Wunschpartner. Nur dass es mit denen nicht mehr reicht.

Die Grünen: die anderen ganz großen Verlierer. Die Suche nach den Gründen für das wahrhaft historische Debakel kann heftigen Zoff auslösen. Hatten auch sie die falschen Spitzenkandidaten? Haben sie, wie Winfried Kretschmann jammerte, bei den Steuern "Maß und Mitte" verloren? Machten sie sich mit dem „Veggi-Day“ zur Bevormundungspartei? Wurde die scheußliche Pädophilie-Vergangenheit richtig und rechtzeitig aufgearbeitet? Rechnerisch wäre eine schwarz-grüne Koalition möglich. Auf dem Weg dorthin aber würde sich die Partei vollends und restlos zerlegen.

Die AfD? Erschreckend!

Erschrecken müssen sämtliche Bundestagsparteien über das Abschneiden der AfD. Wenn es eine offen europafeindliche Partei aus dem Stand beinahe in den Bundestag geschafft hätte, muss in der Euro-Krise furchtbar viel schief gelaufen sein. Vor allem die nächste Regierung ist gefordert: Sie muss den Menschen überzeugender, transparenter und ehrlich vermitteln, dass Europa viel mehr Segen als Fluch bedeutet.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.07.2010 | 22:00 Uhr