Stand: 30.01.20 15:58 Uhr

UNO-Flüchtlingswerk schließt Flüchtlingslager in Libyen

von Stefan Buchen, Johannes Edelhoff, Nadia Kailouli, Jonas Schreijäg

Das UNO-Flüchtlingswerk (UNHCR) zieht sich aus dem einzigen EU-finanzierten Flüchtlingslager in der libyschen Hauptstadt Tripolis zurück. Man könne die Sicherheit der Flüchtlinge und der Mitarbeiter vor Ort, wegen des kriegerischen Konflikts in Tripolis, nicht mehr sicherstellen, heißt es vom UNHCR. Einige besonders "verletzliche" Flüchtlinge würden an "sicherere Orte" gebracht. Ein großer Teil der Flüchtlinge bekommt finanzielle Unterstützung, muss aber in Tripolis mehr oder weniger allein zurechtkommen. "Man unterstütze Flüchtlinge dabei sich in der Stadt niederzulassen", heißt es vom UNHCR. Dort ist es besonders für Menschen, die aus den Staaten südlich der Sahara kommen, aber gefährlich. Laut EU-Berichten werden sie dort verschleppt und gefoltert. Das Lager, die so genannte Gathering and Departure Facility (GDF) war erst im Dezember 2018 gegründet worden, um Flüchtlinge auf einem sicheren Weg nach West- und Ostafrika oder nach Europa weg aus Libyen zu bringen.

Panorama hatte vergangene Woche berichtet, dass sich die Situation dort immer weiter zuspitzt. Anfang Januar waren Mörsergeschosse unmittelbar neben dem GDF eingeschlagen. Besonders die Europäische Union hatte große Hoffnung in die Unterkunft gesteckt.

Panorama berichtete über die desolaten Zustände

"Wir sind nicht länger in der Lage, minimale Sicherheitsstandards für die Flüchtlinge zu garantieren", bestätigte der UNHCR-Sprecher für Libyen, Charlie Yaxley, gegenüber Panorama. Flüchtlinge aus dem Camp berichteten, dass viele dort an Krankheiten leiden und medizinisch schlecht versorgt werden. Es fehle in der so genannten "Gathering and Departure Facility" (GDF) an Essen und einfachen Hygieneartikeln wie Seife. Das Lager wurde in Kooperation mit der libyschen Regierung betrieben.

EU-Politik: Weniger Flüchtlinge hier, mehr Leid in Libyen
Ein EU-finanziertes Auffanglager in Libyen sollte eine "Alternative" zu den libyschen Haft -und Folterlagern für Flüchtlinge werden. Doch die Zustände dort sind desolat.

Das mit EU-Geldern finanzierte Lager in Tripolis wurde im Dezember 2018 eröffnet und war Teil eines EU-Deals mit dem Regime in Libyen. Ziel des Lagers war es, Flüchtlinge von dort aus auf geordnetem Weg nach Europa oder in ihre Herkunftsländer zu verteilen.

EU und UNHCR hatten große Hoffnungen in das Lager gesteckt.  Es sollte eine "Alternative" zu den libyschen Haftlagern sein, in denen Flüchtlinge nach übereinstimmenden Berichten regelmäßig gefoltert werden.

Verdreckte Toiletten, wenig Essen

Charlie Yaxley, UNHCR-Sprecher für Libyen © NDR

Man sei nicht mehr in der Lage, minimale Sicherheitsstandards für die Flüchtlinge zu garantieren, erklärt Charlie Yaxley, UNHCR-Sprecher für Libyen, gegenüber Panorama.

Panorama war es gelungen, Kontakt zu mehreren Flüchtlingen aus dem Lager aufzunehmen. Die Reporter konnten verifizieren, dass sich die Flüchtlinge tatsächlich in der Unterkunft in Tripolis aufhalten. Auf Videos von ihnen sind verdreckte Toiletten und Duschen zu sehen, außerdem berichteten sie von menschenunwürdigen Zuständen. Im Interview sagte ein Flüchtling aus dem Sudan: "Wenn es Essen gibt, kommt es zu Gedränge. Wer zu spät kommt, geht leer aus. Viele Leute haben solche Magenprobleme, dass sie gar nicht mehr essen können." Aus Angst vor Repressionen wollte er nicht, dass sein Name genannt wird. Sobald er etwas Geld hätte, würde er sich ein Stück Seife kaufen. Und er berichtet, dass immer wieder Kriminelle ins Lager kämen, um andere Flüchtlinge als Prostituierte oder Drogenhändler anzuwerben.

Das Lager sei überfüllt, weil man auch Flüchtlinge aus den Haftlagern des libyschen Staates aufgenommen habe, sagte UNHCR-Sprecher Yaxley. Das war unter anderem nötig geworden, weil ein von der libyschen Regierung geführtes Lager bombardiert worden war. Bei dem Angriff im Juni 2019 starben mindestens 50 Menschen. Die Überlebenden wurden in eben dieses EU-kofinanzierte Lager gebracht. In einem anderen libyschen Lager waren die Nahrungsmittel ausgegangen - die Flüchtlinge suchten daraufhin Schutz im Lager.

Das UNHCR versuchte wegen der Überfüllung, Flüchtlinge aus dem Lager zu vertreiben. Das Essen sollte an bestimmte Flüchtlinge nicht mehr ausgegeben werden. Stattdessen wurde den unerwünschten Flüchtlingen ein sogenanntes "Hilfspaket" angeboten, es beinhaltete vor allem eine kleine Summe Bargeld, etwa 280 Euro, die derjenige erhielt, der das Lager verließ.

Libyen-Strategie der EU gescheitert

Experten galt diese Maßnahme als Offenbarungseid, denn in Libyen herrscht Bürgerkrieg. Flüchtlinge, die allein auf der Straße unterwegs sind, können jederzeit inhaftiert werden, und ihnen droht Folter und Erpressung. "Rund um die Uhr hört man Maschinengewehre und Bomben", berichtete der Flüchtling aus dem von der EU mit finanzierten Lager: "In der Stadt habe ich Angst, festgenommen zu werden. Das ist das allerschlimmste. Da schlagen sie dich." Deshalb wolle er das Hilfspaket nicht annehmen. UNHCR-Sprecher Charlie Yaxley sagt, er verstehe den Frust der Flüchtlinge, aber es gebe keine Alternative, als das überfüllte Lager teilweise zu räumen.

Die Libyen-Strategie der EU und auch der Bundesregierung ist damit gescheitert. Bislang hat die EU mehr als 320 Millionen Euro nach Libyen geschickt. Um Flüchtlinge aufzuhalten, hat man auf eine Kooperation mit einem Regime gesetzt, das Menschenrechte regelmäßig verletzt, wie die EU selbst weiß. Die libysche Regierung unternehme "keinerlei Schritte", um gegen die Folter in den Lagern vorzugehen, heißt es in einem geheimen Papier des Rates der Europäischen Union. Wohl auch weil libysche Regierungsmitglieder selbst darin verwickelt sein könnten.

Zusammenarbeit mit libyscher Küstenwache geht wohl weiter

Werbefoto des UNO-Flüchtlingshilfswerks für das Lager in Tripolis © NDR

Vor gut einem Jahr wurde das Lager noch so präsentiert, mittlerweile sind Zustände desolat.

Der EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagt: "Wir unterstützen alle UN-Organisationen, die sich für die Migranten in Libyen einsetzen, mit finanziellen Mitteln." Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärte: "Es wird dort anscheinend zu wenig Geld bereitgestellt, um die Flüchtlinge vernünftig zu versorgen." Entscheidend sei aber zunächst Stabilität in Libyen zu schaffen. Der auf der Berliner Libyen-Konferenz eingeleitete "Berliner Prozess" sei dafür ein erster Schritt.

Solange Flüchtlingen in Libyen Folter droht, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amesty International oder die Diakonie Deutschland, dass die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache beendet wird, da die Menschen zurück in die Lager bringt. Stattdessen solle die EU wieder selbst Flüchtlinge in Seenot aus dem Mittelmeer retten. Eine Sprecherin des Auswärtiges Amtes sagte auf Nachfrage von Panorama: "Die Ausbildung der libyschen Küstenwache ist in unser aller Interesse." Man habe immer wieder vorgetragen, wie wichtig die Einhaltung der Menschenrechte seien. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu beenden ist demnach nicht geplant.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.01.2020 | 21:45 Uhr