Stand: 04.07.21 08:35 Uhr

Seehofers 69 - Panorama goes Podcast

von Armin Ghassim, Annette Kammerer

Es ist eine Geschichte, die absurd klingt. Die in Bayern, Kabul und im politischen Berlin spielt. Die die Widersprüche im Asyl- und Aufenthaltsrecht auseinander nimmt und dazu eine der großen Fragen unserer Zeit verhandelt: Wer hat das Recht, in Frieden und Wohlstand zu leben?

69 Afghanen zu Seehofers 69. Geburtstag

Begonnen hat alles mit einem Video, das nach einem Brand im Flüchtlingslager Moria plötzlich auf Twitter auftaucht: "Ich heiße Abdul", sagt da ein junger Mann im griechischen Flüchtlingschaos direkt in die Kamera: "Ich hatte Ausbildungsvertrag gehabt als Altenpfleger in Seniorenheim Dietenheim. Aber trotzdem Herr Seehofer, an seinem 69. Geburtstag, 69 Afghanen abgeschoben. Einer von 69 bin ich und einer von uns hat sich umgebracht."

Keineswegs nur Kriminelle

Es ist ein vermeintlicher Scherz, mit dem Bundesinnenminister Horst Seehofer 2018 die mediale Aufmerksamkeit auf etwas lenkt, das sonst immer weniger Beachtung erfährt: Die Schicksale der vor allem aus Bayern Abgeschobenen.

Panorama hatte über sie damals bereits ausführlich berichtet - denn an Bord waren keinesfalls nur Kriminelle, wie es aus Regierungskreisen zunächst hieß. Mindestens 50 der 69 waren nach Panorama-Recherchen unbescholten.

Seehofers 69 Afghanen: Keineswegs nur Kriminelle
50 der 69 abgeschobenen Afghanen waren weder Straftäter noch Gefährder. Im Gegenteil: Sie waren gut integriert, wie Panorama-Recherchen zeigen.

Die Panorama-Redaktion ist überrascht: Jemand aus besagtem Abschiebeflug nach Afghanistan soll in Griechenland festsitzen? Armin Ghassim nimmt Kontakt zu Abdul Sultani auf und recherchiert weiteren Fällen hinterher. Was wurde aus den damals Abgeschobenen?

Abgeschoben und doch wieder zurück

Verwundert finden wir heraus, dass einige von ihnen wieder zurück in Deutschland sind. Ganz legal, dank Ausbildungsvisa. Die Recherchen veröffentlicht Panorama Anfang dieses Jahres, und auch die Tagesthemen berichten.

Absurde Abschiebung: "Seehofers Afghanen" sind zurück
Im Juli 2018 wurden sie nach Afghanistan abgeschoben - und sind nun ganz legal wieder hier.

Doch viele Fragen bleiben offen: Wie läuft so eine Abschiebung eigentlich ab? Was passiert nach der Landung in Kabul? Was mit "Abgeschobenen" wie Abdul Sultani, wenn sie wieder in Afghanistan sind? Und wie schaffen sie es, zurück nach Deutschland zu kommen?

Zwei Stunden Radio

Ghassim und Kammerer treten deshalb an die Radio-Feature Abteilungen des Norddeutschen Rundfunks und des Deutschlandfunks heran. Um all das erzählen zu können, was in einem knapp zehn-minütigen Fernsehbeitrag schlicht keinen Platz hat.

Aus der Suche nach den Antworten ist nun eine vierteilige Podcast- und Feature-Serie geworden. Sie lässt die Abschiebung aus Bayern miterleben (Folge 1), die Ankunft und das Leben in Kabul (Folge 2), das Verlassen des Landes und Untertauchen (Folge 3) und die Rückkehr nach Deutschland (Folge 4). Doch all das bedeutet noch kein Happy End.

Ein Podcast aus Kabul, Bayern und Berlin

In der Serie erzählen die Abgeschobenen selbst ihre Geschichte. In Afghanistan geht Reporter Emran Feroz auf die Spur von ihnen und sucht nach weiteren der 69 Abgeschobenen.

Darüber hinaus werden aber auch die Perspektiven der Freundinnen und Freunde aus Deutschland, der Helferinnen und Helfer in den Blick genommen. Das Dilemma, dass sie nicht jedem helfen können. Die Arbeit, die eine zweite Rückkehr auch ihnen macht. Und was es bedeutet, mitten in der Nacht Videos von Anschlägen aus Kabul aufs Handy geschickt zu bekommen.

Seehofers 69 - ein Abschiebeflug, der tödlichste Konflikt der Welt und der Kampf gegen bürokratische Windmühlen. Eine Geschichte, die als Panorama-Recherche begann und nun, zu Horst Seehofers 72. Geburtstag, in vier Teilen im Deutschlandfunk und auf NDR Info erzählt wird.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 25.09.2020 | 22:15 Uhr