Interview

"Nato betreibt Schattenfechten gegenüber Russland"

Panorama: Welche Position vertritt die NATO gegenüber Russland?

Ulrich Kühn © NDR Foto: Screenshot

Ulrich Kühn hält den Raktenschirm der NATO für einen großen Fehler.

Ulrich Kühn: Die NATO vertritt momentan gegenüber Russland eine Doppelstrategie: Sie sagt, dass wir unsere östlichen Bündnispartner, also die baltischen Staaten und Polen rückversichern müssen, weil die sich unsicher fühlen nach dem  Einmarsch der Russen auf der Krim. Sie befürchten, dass ihnen dasselbe passieren könnte.  Und gleichzeitig setzt sie auf die Abschreckung Russlands. Das heißt man verlegt zusätzliche Truppen nach Russland, man ist auch politisch präsent, es wird Einigkeit demonstriert, um dem Kreml und Putin zu signalisieren: Ihr habt keine Chance.

Sind denn die Befürchtungen realistisch, dass Russland einen Überfallplan auf die östlichen NATO Staaten hegt?

Kühn: Die große Frage ist ja, ob es ein realistisches Szenario ist, dass Russland gleich wie auf der Krim über Nacht ins Baltikum einfällt. Ich persönlich halte das für nicht sonderlich realistisch. Was ich aus Moskau von Kollegen und auch von Militärs höre, ist, dass man sagt: Wir haben die NATO- und EU-Osterweiterung akzeptiert, auch um die baltischen Staaten. Wir wissen genau, wenn wir dort einmarschieren kommt es zum großen Krieg mit der NATO. Das will niemand. Deswegen ist das, was die NATO momentan macht, nämlich das Aufrüsten im baltischen Raum, eine hysterische Maßnahme, die wir nicht verstehen.

Gleichzeitig wird auch noch ein großer Raketenabwehrschirm nach Osten hin gebaut. Welcher Zweck ist damit verbunden?  

Kühn: Der Aufbau eines sogenannten Raketenabwehrschirms zunächst in Rumänien und danach in Polen ist der größte Fehler, den die NATO in den nächsten Jahren machen kann. Vor allem, weil von der NATO noch immer behauptet wird, dass sich dieser Schirm gegen Mittelstreckenraketen aus dem Nahen Osten, also vor allem aus dem Iran, richtet.

Aber seit dem Atomabkommen mit dem Iran hat sich die Situation deutlich entspannt. Man muss sich ernsthaft fragen: Brauchen wir diese Raketenabwehrstellungen? Die Russen sagen zu Recht: Ihr habt immer gesagt, die Raketenabwehr ist nicht gegen uns gerichtet, aber jetzt, wo das Problem mit dem Iran erledigt ist, bleibt sie dennoch. Also ist sie gegen Russland gerichtet. Und genau so ist es auch. Was die NATO da betreibt, ist eine Art Schattenfechten gegenüber Russland. Und man muss es einfach mal so klar sagen: In dem Punkt lügt die NATO und ich halte das in der momentanen Situation für eine äußerst unintelligente Politik.

Zur Person

Ulrich Kühn studierte Geschichte an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Von 2007 bis 2008 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Waitangi Tribunal Unit des neuseeländischen Justizministeriums. Von 2010 bis 2011 arbeitete er als externer Berater für nukleare Rüstungskontrolle des Grundsatzreferats Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung beim Auswärtigen Amt in Berlin. 2015 promovierte er zum Thema des Regimeverfalls kooperativer Rüstungskontrolle in Europa. Er arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Die NATO setzt auf Abschreckung und Dialog. Kann Russland denn überhaupt "abgeschreckt" werden?

Kühn: Man kann Russland schon abschrecken, zumindest auf nuklearer Ebene. Weder Russen, noch Amerikaner oder die NATO sind letztlich daran interessiert, dass es eskaliert bis hin zu einem Nuklearkrieg. Auf der konventionellen Ebene, also normale militärische Fahrzeuge, Panzer, - all das was man jetzt ins Baltikum verlegt, damit kann man die Russen nicht abschrecken. Denn sie verfügen dort in der Region über die stärkeren Truppen.

Die Frage nach dem Dialogangebot der NATO ist eine ganz andere. Da zeigt sich die NATO momentan auch nicht von ihrer besten Seite. Sie sagt wir wollen Dialog mit den Russen. Das ist prinzipiell erst mal sehr gut. Die Frage ist nur, worüber möchte man sprechen? Die NATO und die USA wollen nur über das sprechen, was sie interessiert: Einmarsch der Russen auf der Krim, die Bedrohung des Baltikums und die Aufgabe von irgendwelchen russischen Großmanövern. Umgekehrt möchte Russland lieber darüber sprechen wie es mit der NATO-Osterweiterung weitergeht. Wird dem ein Riegel vorgeschoben? Darüber will der Westen mit Russland nicht sprechen. Es bleibt ein Gespräch unter zwei Tauben. Und ein solches Gespräch kann zu nichts führen.

Mit Blick auf den NATO-Gipfel in Warschau: Welches Signal muss von der NATO kommen?

Kühn: Die nächsten Jahre werden wir eine weitere Aufrüstung sehen.  Das gegenseitige Säbelrasseln macht es beiden Seiten extrem schwierig, überhaupt noch in einen ernsthaften Dialog einzutreten. Deshalb muss die NATO in Warschau neben der bereits beschlossenen Aufrüstung vor allem einen ganz klaren Weg vorgeben für den Dialog. Das soll heißen: Wann soll er beginnen, zu welchen Voraussetzungen soll der Dialog beginnen, worüber möchte man mit den Russen sprechen? Wo will man ihnen auch konkrete Angebote machen? Die NATO muss Angebote  machen. Solange die NATO nur in ihrem Schmoll-Winkel steht und sagt, das Angebot muss von Russland kommen, wird nichts passieren.

Das Gespräch führte Robert Bongen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.06.2016 | 21:45 Uhr