Stand: 17.03.17 13:48 Uhr

Lettland: Jubel für SS und Bundeswehr

von Julian Feldmann
Priester führt SS-Marsch an  Foto: Julian Feldmann

Knapp 2.000 Teilnehmer ziehen durch die Altstadt Rigas, angeführt von Fahnenträgern und einem Priester.

In Lettland ist es wie Folklore: Jedes Jahr im März feiert man den "Marsch der Legionäre". Damit werden in Riga die lettischen Angehörigen der Waffen-SS geehrt. Zunehmend wird aus dem Marsch eine anti-russische Demonstration. Während die Nato und Russland im Baltikum die Muskeln spielen lassen, werden nationalistische Töne dort immer lauter.  

Vor der St.-Johannes-Kirche in Riga sammeln sie sich zum Aufmarsch. Sie gedenken der "lettischen Legionäre", also der Letten, die in zwei Divisionen der deutschen Waffen-SS gekämpft hatten. Seit dem Untergang des Sozialismus wird in Lettland am 16. März den angeblichen "Freiheitskämpfern" der Waffen-SS gedacht, zwischenzeitlich war er sogar offizieller Feiertag. In der Öffentlichkeit werden die deutschen Besatzer als "Befreier" gefeiert, die zusammen mit den Letten gegen die Sowjet-Armee kämpften. Damit nicht einverstanden zeigen sich nur wenige - vor allem die russische Minderheit und jüdische Verbände.  

Zur Abschreckung Russlands: Bundeswehr in Baltikum

"Ohne die deutsche Nation würde es die lettische Nation nicht mehr geben", sagt Agris Šēfers, der am "Marsch der Legionäre" teilnimmt. Die Russen, meint der Lette, seien schon aufgrund ihrer Gene faul, räuberisch und "im Grunde Parasiten". Šēfers' Vater war 1942 in die unter deutscher Führung stehenden Polizei-Bataillone gekommen, die maßgeblich an der Ermordung von mindestens 70.000 lettischen Juden beteiligt waren und später in der SS aufgingen. Am Judenmord sei sein Vater aber nicht beteiligt gewesen, er sei erst dazugestoßen, als Lettland schon "judenfrei" gewesen sei, sagt Šēfers und schmunzelt. Ob es die Ermordung der lettischen Juden überhaupt gegeben habe, wisse er auch gar nicht. Dass die Bundeswehr heute im Baltikum mit anderen Nato-Partnern zur Abschreckung Russlands stationiert ist, findet der Lette richtig. Im Januar kamen die ersten Bundeswehr-Soldaten in Litauen an.

Hakenkreuze auf den Jackenärmeln

Hakenkreuz auf dem Arm  Foto: Julian Feldmann

Um einen Veteranen herum scharen sich Männer in schwarzen Uniformen. Auf den Ärmeln ihrer Jacken: Hakenkreuze.

Bei dem kurzen Marsch durch die Innenstadt von Riga klingen lettische Soldatenlieder an. Auch die Melodie der Waffen-SS-Hymne "SS marschiert in Feindesland" ist zu hören. Nur eine Handvoll SS-Veteranen in Uniform sind noch dabei, dafür umso mehr junge Nationalisten. Einige der SS-Verehrer tragen selbst Nazisymbole.

Andtis Holms von der lettischen Veteranen-Organisation "Daugavas Vanagi", die den SS-Marsch organisiert, betont, dass die Legionäre nicht für Deutschland, sondern für ein unabhängiges Lettland gekämpft hätten. So sehen das hier viele. Auch er findet, dass Europa den Aggressionen Russlands begegnen müsste. Holms: "Gewalt ist die einzige Sprache, die die Russen verstehen." Die SS-Kämpfer von damals dienten heute als Vorbilder. Harry Kronberg, der in einem deutschen Kulturverein in Riga Volkslieder singt, teilt diese Ansicht. Die Nato müsse Stärke zeigen. Ganz besonders freut ihn, dass es nun auch wieder deutsche Soldaten sind, die an der Seite Lettlands stehen, sagt Kronberg - "wie damals".  

Die knapp 2.000 Teilnehmer ziehen durch die Altstadt Rigas, angeführt von Fahnenträgern und einem Priester, bis zum Freiheitsdenkmal. Hier legen sie Blumen ab. Um einen Veteranen herum scharen sich Männer in schwarzen Uniformen. Auf den Ärmeln ihrer Jacken: Hakenkreuze.

Nationalisten aus ganz Osteuropa

Vladislav Kovalcuk, Repräsentant der Partei "National Corps"  Foto: Julian Feldmann

Vladislav Kovalcuk (mitte), Repräsentant der Partei "National Corps".

Der SS-Gedenkmarsch und der eskalierende Konflikt mit Moskau lockt Nationalisten aus ganz Osteuropa nach Riga. Eine Abordnung ukrainischer Rechtsextremer ist ebenso angereist wie Gruppen aus Estland, Litauen und Polen. Vladislav Kovalcuk, Repräsentant der Partei "National Corps" , sagt, er wolle in Riga "Solidarität zeigen". "Wir kämpfen im Osten der Ukraine gegen Russland", die lettischen SS-Männer hätten die gleiche Situation damals erlebt, so Kovalcuk. "National Corps" ist der politische Arm der paramilitärischen Asow-Bataillone, die offen Nazi-Symbolik verwenden.

Auffällig ist: Während die Nationalisten im Baltikum einen klaren Anti-Russland-Kurs verfolgen, sind viele Rechtsextreme in Westeuropa eher auf Putin-Linie. Für deutsche Neonazis ist es da nicht so einfach, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Zwar imponiert ihnen die Ehrung der Waffen-SS durch weite Teile der lettischen Bevölkerung, doch außenpolitisch bejubeln sie immer wieder Putins Aggressionen gegen EU und Nato. Nur einige wenige SS-Fans aus Deutschland sind nach Lettland gekommen. Zwei Neonazis aus Ludwigshafen wollen sich zum Thema Russland dann auch lieber nicht äußern.  

Gegendemonstranten erinnern mit Fotos an Nazi-Opfer  Foto: Julian Feldmann

Gegendemonstranten erinnern in Riga mit Fotos an die Opfer der Nazis.

Ein massives Polizeiaufgebot schützt den SS-Marsch. Dabei müssen die Marschierenden gar nicht geschützt werden - vor dem Freiheitsmonument wird ihnen sogar zugejubelt. Kaum einer protestiert in Riga offen gegen die Glorifizierung der Nazi-Truppen. Lediglich einige jüdische Verbände und Teile der russischstämmigen Bevölkerung Lettlands rufen zu Protesten auf.   

Platzverweis gegen deutsche Antifaschisten

Am Rande des SS-Aufmarsches halten zwei deutsche Antifaschisten ein Plakat hoch, auf dem sie die Verehrung der SS anprangern. Von der Polizei bekommen sie einen Platzverweis. Im vergangenen Jahr noch waren mehrere Gegendemonstranten aus Deutschland durch die Behörden an der Einreise nach Lettland gehindert worden. Drei andere Demonstranten, die Schilder zeigen, nimmt die Polizei gleich fest. Am Abend demonstrieren dann gut 40 Antifaschisten still vor dem Freiheitsdenkmal.

Im Vorfeld des "Marsch der Legionäre" hatten Antifaschisten in ganz Europa zu Protesten vor lettischen Botschaften und Konsulaten aufgerufen. Die Gegner der Nazi-Verherrlichung in Riga scheinen resigniert. Behörden in Lettland legen ihnen Steine in den Weg, und der deutsche Staat macht einige der SS-Täter von damals noch immer zu Opfern. Denn an der jahrzehntelangen Praxis, auch ehemaligen SS-Männern "Opferrenten" zu zahlen, hat sich seit derAufdeckung durch Panorama 1993 im wesentlichen nichts geändert.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.01.1997 | 21:00 Uhr