Kommentar

Stand: 10.05.16 19:15 Uhr

Das Elend und die SPD

von Andrej Reisin
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. © dpa bildfunk Foto: Wolfgang Kumm

Kann er die SPD noch aus der Krise führen? Sigmar Gabriel.

Eine "Putzfrau" also: Susanne Neumann avancierte am Montag zum Social Media Star, weil sie SPD-Chef Sigmar Gabriel auf einem Podium im Willy-Brandt-Haus scheinbar die Leviten las. Mit Blick auf die Arbeitsmarktreformen eines Gerhard Schröder, die für viele Geringqualifizierte zu prekären Arbeitsverhältnissen geführt haben, fragte sie: "Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat?" Gemeint waren unter anderem "Scheißverträge" bei der Leiharbeit.

Doch der kampfeslustige SPD-Chef konnte der launigen Reinigungskraft, die er selbst auf die Bühne geholt hatte, rhetorisch durchaus Paroli bieten - und nahm damit gleichzeitig kursierenden Rücktrittsgerüchten den Wind aus den Segeln. Am Ende weiß man nicht so recht, ob es sich um authentische Spontankritik handelt - oder um gelungene PR in eigener Sache. Seht her, der bodenständige Sigmar interessiert sich sehr wohl für die Probleme der klassischen SPD-Klientel. Doch das Dilemma der SPD wird mit solchen Wohlfühlauftritten nicht verschwinden.

Die "Erfolge" der SPD

Und die Partei belügt sich munter weiter, wenn sie wie Gabriel auf vermeintliche Erfolge wie den Mindestlohn und die Rente mit 63 verweist. Denn was bringt Letzteres, wenn in vielen Branchen Mitarbeiter schon ab Mitte 40 zum alten Eisen gezählt, gemobbt und abgeschoben werden? Am Ende steht für viele Klein- und Mittelverdiener die Altersarmut, bei unterbrochenen Arbeitsbiografien umso mehr, was insbesondere Frauen trifft - und hier wiederum noch stärker die Alleinerziehenden.

Ist die SPD noch zu retten?
Warum ist die SPD so unbeliebt? Was müsste sie tun? Und vor allem: Wer kann sie jetzt noch retten? Wir haben diejenigen gefragt, die sie nicht (mehr) wählen.

Bleiben wir bei diesem Beispiel: Was tut Gabriels SPD hier? Nun, aktuell soll getrennt lebenden Müttern für die Vater-Tage ihrer Kinder Geld vom Arbeitslosengeld II abgezogen werden. So will es eine Reform aus dem Hause der SPD-Ministerin Nahles. Wenn das Kind am Wochenende beim Vater ist, verursacht es ja bei der Mutter zwei Tage lang keine Kosten, also sollen ihr diese abgezogen werden. Das heißt: Von den 270 Euro, die einem 6-14 Jahre alten Kind im Monat zustehen, werden der alleinerziehenden Mutter (denn Alleinerziehende sind zu über 90 Prozent Frauen) nun für jeden Tag, den das Kind beim Vater verbringt, anteilig neun Euro abgezogen.

"Reformen" und Demütigungen

Es sind solche "Reformen", die der SPD die Wähler scharenweise abhandenkommen lassen und sie in die Arme der Linkspartei, der AfD oder ins immer größere Lager der Nichtwähler treiben. Selbst das ur-neoliberale Modell einer negativen Einkommenssteuer, bei der es gar keine Sozialleistungen mehr geben würde, dafür aber alle, die im Jahr weniger als einen bestimmten Betrag verdienen (zum Beispiel 12.000€), den Rest vom Staat dazu bekämen, wäre für viele gerechter als die bestehende Sozialgesetzgebung. Wer das nicht nachvollziehen kann, hat die Bittstellerei und die Demütigungen, die der immer wiederkehrende Gang zum Jobcenter mit sich bringt, noch nicht erlebt.

Hinzu kommen unzählige Freiberufler, prekär und befristet Beschäftigte, Zeit- und Leiharbeiter, Menschen, die 500 Kilometer pendeln, die zwei und drei Jobs haben, all diejenigen also, die die deutsche Arbeitslosenstatistik offiziell so erfolgreich aussehen lassen. Sie fühlen sich offenbar von dieser Sozialdemokratie ebenso wenig vertreten. Genau wie die großen Gewerkschaften könnte sich die SPD ja vielleicht mal fragen: warum nicht? Doch die SPD weiß angeblich nicht, warum ihr die Wähler weglaufen. Nun, für Politikberatung sind andere zuständig, doch ich glaube, ich weiß es ebenso gut wie Susanne Neumann: Weil einfach niemand weiß, wozu man sie wählen soll.

Das, was an sozialer Marktwirtschaft übrig ist, verwaltet die von Angela Merkel modernisierte CDU ebenso gut, wenn nicht besser. Wegen ihrer Wirtschaftskompetenz hat die SPD schließlich noch nie jemand gewählt. Diejenigen, die einigermaßen gut situiert und maximal am Rand an sozialen Fragen interessiert sind, dafür aber ihren Müll in fünf verschiedene Sorten trennen, werden von den Grünen bestens repräsentiert. Für soziale Rhetorik (nicht unbedingt für Realpolitik) ist die Linkspartei zuständig, und die AfD bedient das neuerdings leider wieder stärker in den Vordergrund getretene völkisch-nationalistische Ressentiment . Und wem es alles noch nicht (neo)liberal genug zugeht, der wendet sich vertrauensvoll an die wiedererstarkte FDP.

Profillose "Alternativlosigkeit"

Schon 2013 prophezeiten viele politische Beobachter (vor allem aus dem linken Spektrum) exakt jenen Niedergang, der die SPD nun erfasst zu haben scheint. Aber im Willy-Brandt-Haus war man zu heiß auf die Rückkehr auf die Regierungsbänke, sprach von Verantwortung für das Land und verweist bis heute auf all das, was ohne die SPD vermeintlich nie durchsetzbar gewesen wäre - dabei hatte die Union den Mindestlohn schon längst im Wahlprogramm.

Gut tut diese Große Koalition nicht - der SPD nicht - und der politischen Stimmung im Land schon gar nicht. Denn die vermeintliche "Alternativlosigkeit" einer Regierungspolitik, die sich auf eine Mehrheit stützt, mit der sie die Verfassung ändern könnte, hat eine hässliche Alternative hervorgebracht. Diese trägt ein "für Deutschland" im Namen - bietet in Wirklichkeit aber keine Lösungen für die Probleme einer modernen Einwanderungsgesellschaft.

In einer immer polarisierteren politischen Landschaft wird es für die traditionell kompromissorientierte Sozialdemokratie ganz sicher nicht einfacher. Die Profillosigkeit aber, in die diese SPD in dieser Koalition hineingerutscht ist, lässt sich mit den Händen greifen. Egal ob es um die Flüchtlingskrise, TTIP oder die griechische Schuldenkrise geht: Weiß irgendwer, für welche Position die SPD als Partei in diesen zentralen Fragen genau steht? Nein? Warum sollte sie dann irgendwer wählen?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.05.2016 | 21:15 Uhr