Kommentar

Stand: 08.03.16 19:23 Uhr

"Frauen werden ungerecht behandelt. Immer noch - immer wieder"

von Anja Reschke

Das trifft wieder die Frauen - und Kinder, denn nun müssen sie, wenn sie je wieder mit ihren Männern zusammen sein wollen - es sind ja nicht alle gewalttätige Tyrannen - alleine, ohne Schutz des Ehemannes, auf die Flucht und kommen nun sogar in eine Zeit, in der die Balkanroute dicht gemacht wird, in der man an Grenzen hängen bleibt, in der man in Zelten oder schutzlos im Freien übernachten muss. Die Bilder kann man jeden Tag in der Tagesschau sehen.

Migrants stuck at Greek-Macedonian border at the refugee camp of Idomeni © picture alliance / ZUMAPRESS.com Foto: Ivan Romano

Flüchtlinge im Lager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Uns Medien - ein kleiner Einschub an dieser Stelle - vor allem uns vom Fernsehen wurde und wird gerne vorgeworfen, wir hätten nur Frauen und Kinder gezeigt, dabei seien doch vor allem Männer gekommen. Das hätten wir getan, so die Unterstellung, um mehr Mitleid mit Flüchtlingen zu erzeugen. Nun per se ist es ja schon etwas absonderlich: Denn wenn man sagt, man wolle weniger Bilder von weinenden Kindern oder Frauen sehen, dann sagt man damit, dass man nicht der Zumutung ausgesetzt sein möchte, Mitleid zu empfinden. Das ist erbärmlich, denn damit gibt man zu, dass es Elend gibt, das man bewusst nicht sehen will. Wenn man aber mitbekommt, was Frauen vor und auf der Flucht erleben, muss ich sagen, haben wir bislang noch viel zu wenig über deren Schicksale berichtet. Sie fliehen jetzt also: die Frauen - mit ihren Kindern. Ich weiß nicht wie es ihnen geht, aber mir krampft sich jedes Mal das Herz, wenn ich das sehe. Wir hier, die das Krankenhaus danach aussuchen können, ob der Kreissaal auch nach Feng Shui Regeln ausgerichtet ist, und welche Musik man bei den Presswehen hören möchte, wir, die wir uns so viele Gedanken um unsere Kinder, die richtige Bio-Ernährung, die pädogogisch wertvolle Kita, die Gutenachtgeschichte, die frühmusikalische Erziehung machen können, ich frage mich jedes Mal: Wie schaffen diese Frauen das? Wenn ich doch schon weiß, wie meine Kinder getobt haben, weil sie die rote und nicht die blaue Regenhose anziehen mussten, wie oft ich an meine Grenzen kam, nur weil die lieben Kleinen beim Zähneputzen das halbe Bad unter Wasser gesetzt haben. Wie bitte organisiert man sich als Frau auf so einer Flucht, mit müden, verängstigten Kindern, die man tragen, die man wickeln und füttern muss, die wunde Pos haben, triefende Nasen.

Meine Großmutter hat das damals bei ihrer Flucht aus Ostpreußen auch geschafft, sie hat mir oft davon erzählt, aber jedes Mal habe ich gemerkt, dass das außerhalb meines Vorstellungsvermögens ist. All das müssen diese Frauen auf ihrer Flucht sozusagen nebenbei auch noch bewerkstelligen. Ohne männlichen Schutz, sie sind wieder ausgeliefert, den anderen Flüchtlingen, den Schleppern, die sie oft genug mit ihrem Körper bezahlen. Sie sind viel leichter Opfer von Raub, von Vergewaltigung. Auf der Überfahrt ertrinken oft Frauen und Kinder, weil sie noch seltener schwimmen gelernt haben, als die Männer. Und dann kommen sie hierher - in dieses Land , in dem wir Frauen inzwischen - nach langen Kämpfen, Debatten und Auseinandersetzungen - mit Stolz und Recht sagen: wir sind genauso viel wert wie Männer. In dem selbstverständlich eine Frau Kanzlerin oder Zweite Bürgermeisterin von Hamburg sein kann. In dem Frauen wählen und arbeiten, studieren, Geld verdienen - also selbstbestimmt leben und sich anziehen dürfen, wie sie wollen. Welch Pfund.

Aber diese Frauen kommen erst mal in große Flüchtlingsunterkünfte. Und dort erleben sie häufig wieder Gewalt, sexuelle Bedrängung, eindeutige Gesten, Nötigung, Vergewaltigung. Wenn auf 300 Männer in einer Unterkunft 68 Frauen kommen, ist das ein Spießrutenlaufen - da braucht man nicht viel Phantasie. Noch ist das Thema nicht ganz oben, noch ist es nur vereinzelt zu lesen. Aber es wird kommen, das kann ich Ihnen versprechen - als Frau im Journalismus. Und - gerade als Frau finde ich - wir dürfen nicht zulassen, dass diese Frauen hier das gleiche Gefühl haben müssen, wie in den Ländern, aus denen sie geflohen sind. Nämlich, dass sie nicht sicher sind im Leben, nur weil sie Frauen sind. Dass sie nicht die gleichen Rechte haben, weil sie Frauen sind. Unsere erste Integrationsleistung gegenüber diesen Frauen muss sein, ihnen zu zeigen, schaut her: Das ist ein Land, in dem man sich nicht fürchten muss als Frau, in dem sexuelle Übergriffe nicht geduldet werden, in dem Frauen genauso viel wert sind wie Männer. Sonst verraten wir all das, was die Frauenbewegung, was die Gleichberechtigung, der Feminismus erreicht haben.

Frauen haben viel erkämpft in den letzten 100 Jahren

Ich habe neulich Suffragette im Kino gesehen - über die Machart des Filmes kann man sich streiten - aber trotzdem hat es mir nochmal direkt vor Augen geführt, wie selbstverständlich ich heute in einer gleichberechtigten Gesellschaft lebe. Ja, es hakt noch an vielen Stellen, ja es gibt noch viel zu tun, auch das spürt man als Frau täglich - ich habe nun Monate hinter mir, in der meine Rolle als Journalistin durch wirklich übelste sexistische Bedrohungen und Beleidigungen gegen mich als Frau in den Dreck gezogen wurde - ich habe also eine Ahnung davon bekommen, was sich noch ein paar Jahre vor mir hier abgespielt haben muss, wenn man den Mund aufgemacht hat in einer Gesellschaft, in der doch Männer das Sagen haben sollen, die Reste davon kann man heute noch spüren. Dieser Film hat mir vor Augen geführt, wie hart Gleichberechtigung erkämpft werden musste. Was es bedeutet, kein Wahlrecht zu haben, kein Recht zu arbeiten, kein Konto eröffnen zu dürfen, in einer Welt zu leben, in der Männer selbstverständlich über Wohl und Weh der Frauen entschieden haben. Der Film spielt 1913 - das Jahr, indem meine Großmutter geboren wurde - das ist für mich gerade mal zwei Generationen her. Und trotzdem scheint es mir unglaublich fern. Was haben Frauen nicht alles erkämpft in diesen 100 Jahren. Es ist interessant zu beobachten: Durch die Menschen, die kommen, werden wir daran erinnert, was für die Gesellschaft hier wichtig ist. Welch Empörung hat sich nach der Silvesternacht von Köln Luft gemacht. Zu Recht. Aber es war schon fast putzig zu beobachten, wie sich plötzlich die, die nach der #Aufschrei - also nach der Brüderle Debatte - über die Frauen echauffiert haben, die sich nicht so anstellen sollen, plötzlich den Schutz der Frauen gefordert haben. Nur weil es ausländische Männer waren, die “ihre” Frauen begrabschen. Wie die gleichen Politiker, die gegen die Verschärfung des Sexualstrafrechts argumentiert haben, plötzlich die Rechte der Frauen für sich entdeckt haben.

Eine Chance für die Gesellschaft

Die Flüchtlinge, die mit all ihrem anderen kulturellen, religiösen, politischen Hintergrund kommen, führen also dazu, dass wir wieder um Werte ringen, die diese Gesellschaft ausmachen sollen. Das ist auch eine Chance. Die Männer von der Silvesternacht in Köln oder Hamburg haben vielleicht nicht gedacht, dass gegen sie Anzeige erstattet werden würde. In den Ländern, aus denen sie kommen, wird sowas vielleicht nicht bestraft. Das sind sie nicht gewöhnt. Aber bei uns geht das nicht. Das ist ein deutliches Zeichen. Aber dieses deutliche Zeichen muss auch für die Flüchtlingsfrauen gelten. Es ist egal, ob ein Mann eine Deutsche oder eine Afghanin begrabscht. Die Frauen, die in ihren Heimatländern Gewalt und sexueller Nötigung ausgesetzt waren, können und sollen hier die Erfahrung machen, dass so etwas nicht geduldet wird. Dass Frauen hier selbstbestimmt leben können. Wie sie wollen. Dafür haben Generationen vor uns gekämpft. Mit der Integration, die wir jetzt alle gemeinsam zu leisten haben, geht auch einher, dass man sich besonders um die Frauen bemüht. Das wurde bei den Gastarbeitern versäumt. Es ging immer mehr um die Männer. Die Folge ist, dass viele Frauen der ersten Generation bis heute kein Deutsch sprechen, unter sich geblieben sind. Keine Chance hatten, selbstständig zu werden, und damit wieder auf Gedeih und Verderb ihren Männer ausgeliefert waren. Aber sie sind es, die sich zu Hause um die Kinder gekümmert haben, die zweite Generation. Und so hat sich die mangelnde Integration fortgesetzt. Das ist teuer, denn bis heute schneiden Migrantenkinder häufig schlechter ab in der Schule, haben weniger gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Wenn Integration gelingen soll, bedeutet das auch, dass man gezielt auf Frauen zugeht. Viele von ihnen trauen sich nicht nach draußen, bleiben oft lieber in ihren Unterkünften, treten nicht nach vorne, wenn es um Deutsch- oder Integrationskurse geht, weil sie es gewöhnt sind, weil sie oft gelernt haben, im Hintergrund zu bleiben. Warum wird bei Integration in den Arbeitsmarkt immer zuerst an die Männer gedacht? Es sind unter den geflüchteten Frauen auch viele, die schon eine Ausbildung gemacht haben. Frauen muss man locken, umwerben – das wissen wir doch alle. Damit sie die Erfahrung machen können, was Frauen in diesem Land alles schaffen können, was sie wert sind. Denn das Beste, was uns passieren kann, ist, wenn sie diese Erfahrung weitergeben: An ihre Töchter – aber auch an ihre Söhne. Damit ich in zehn Jahren ein Pärchen an der Ampel sehe, bei dem beide gemeinsam die zwei schweren Tüten tragen.

Vielen Dank.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.03.2016 | 21:15 Uhr