Kommentar

Stand: 24.02.20 17:17 Uhr

Hanau: Wie der Hass zur Tugend wird

von Armin Ghassim

Es war kein Angriff auf "unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung" und auch nicht "auf uns alle". Es war ein rassistischer Angriff auf Menschen, die aussehen, als könnten sie Muslime sein. Es war ein rassistischer Angriff auf Ferhat, Said, Hamza, Mercedes, Gökhan, Fatih, Kalojan, Vili und Sedat - aus Hanau, Deutschland.

Armin Ghassim

Panorama-Autor Armin Ghassim.

Ein Verletzter des Hanauer Attentats berichtet, dass der Täter sofort und zielsicher in die Köpfe der Opfer schoss. Bewaffnet war er mit einer Schusswaffe - und mit einer Erzählung: Die von der Bedrohung Deutschlands durch Einwanderung und die bloße Präsenz von Menschen aus islamischen Ländern. Dieses Narrativ kam einst von ganz rechts, ist aber längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Hass als Selbstverteidigung

Wer zur Waffe greift, glaubt, dass er im Recht ist und keine andere Wahl mehr hatte. Der Mann, der 2016 die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker mit mehreren Messerstichen beinahe tötete, sagte vor Gericht: "Ich wollte die Bevölkerung schützen. Ich wollte kein böser Mensch sein. Sagen wir es so: Ich habe etwas Schlimmes getan, um noch Schlimmeres zu verhindern." Er sprach von der Flüchtlingspolitik als "humanitär kaschierte Selbstzerstörung" Deutschlands.

Bei Pegida-Demonstrationen ist seit ihrem Beginn häufig die Wirmer-Flagge zu sehen, ein Symbol für die Gruppe um Graf von Stauffenberg und damit ein Symbol für den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Die erste Reihe des "Trauermarschs" in Chemnitz 2018 um Björn Höcke trug weiße Rosen am Jackett, in Anlehnung an die Geschwister Hans und Sophie Scholl. Es ist schwer begreiflich, aber enorm wichtig: Die neuen Rechten verstehen sich als Verteidiger der Moral, nicht als deren Gegner.

Es braucht nach einem sozialpsychologischem Modell vier Komponenten, um Hass und Gewalt als moralisch notwendig zu konstruieren:

  1. Die Identifikation einer Gruppe ("Wir Deutsche")
  2. Die Ausgrenzung eines bestimmten Bevölkerungsteils (die Muslime)
  3. Die Darstellung dieses Bevölkerungsteils als Bedrohung für die eigene Gruppe (fortschreitende Islamisierung)
  4. Die Betonung der eigenen moralischen Überlegenheit ("wir als aufgeklärte Gesellschaft")

Sind diese Grundlagen gegeben, werden Ausgrenzung und letztlich auch Gewalt zur "notwendigen Selbstverteidigung". Wenn einmal die Unterscheidung in "uns" als Gute gegen "die" als Barbaren etabliert ist, wird der Kampf "wir gegen die" zur moralischen Pflicht.

Rechtfertigung von Ausgrenzung

Dieses Überlegenheits-Narrativ dient der Rechtfertigung von Ausgrenzung und ist außerdem selbstwertdienlich, besonders für Menschen, die außer ihrer Abstammung auf wenig stolz sein können. "Aufgeklärt sein" wird hier als Eigenschaft definiert, die ganze Kulturen entweder besitzen oder nicht, statt als Eigenschaft, die jeder Mensch sich selbst durch Reflexion erarbeiten muss. Muslime werden pauschal als unterentwickelt betrachtet. Der Islam wird als homogen, statisch fundamentalistisch und damit per se politisch konstruiert, inkompatibel mit der liberal-demokratischen Ordnung Deutschlands und ohne Möglichkeit jemals integriert zu werden.

Das Wort "Islamisierung" suggeriert dabei einen laufenden Prozess, mit einem bedrohlichen Zukunftsszenario, das nach sofortigen Gegenmaßnahmen verlangt. Aber noch kann der Prozess gestoppt werden, mit notwendigerweise drastischen Mitteln, die das hehre Ziel aber rechtfertigt.

Als "wir" gelten dabei vor allem diejenigen, die die Gefahr für "das Volk" erkannt haben. Dies erzeugt ein exklusives Wir-Gefühl, das die Selbstwirksamkeitserwartung steigert und zur letztlichen Tat motiviert.

Feindbild der "Mitte"

Die Menschen, die Tobias R. zielsicher anvisierte, entsprechen genau dem Phänotyp, der über das gesamte letzte Jahrzehnt als Bedrohung aufgebaut wurde: Schwarze Haare, dichter Bart, dunkle Augen, irgendwas mit Islam. Dass man in Shisha-Bars, wo Backgammon gezockt und häufig auch Alkohol ausgeschenkt wird, nun nicht gerade fundamentalistische Muslime antrifft, spielte für den Täter und für viele andere Rassisten aber keine Rolle, denn um Glauben geht es letztlich nicht, sondern um Ethnie, um Rasse.

Das Feindbild, an dem sich der Täter bediente, ist dabei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Shisha-Bars tauchten in den letzten Jahren immer häufiger in den Medien auf - fast nur negativ, durchweg verdächtig und anrüchig, fast immer im Kontext "Clan-Kriminalität". Immer wieder gab es Razzien, bei denen meist nur geringe Verstöße gegen gewerbliche Richtlinien oder korrekte Buchführung herauskamen, hin und wieder werden auch geringe Mengen Tabak und Cannabis gefunden. Die "Bild" spekulierte noch in der Tat-Nacht über "Milieu-Kriminalität", Schutzgeld-Erpressung und Clan-Strukturen hinter den tödlichen Schüssen.

Die Shisha-Bar fungiert im öffentlichen Diskurs als "fremder", subkultureller Raum, der durch den Rauch und die Männer mit schwarzen Bärten und an den Seiten rasierten Haaren nach Gefahr aussieht.Drinnen sitzen oftmals einfach Menschen, die Wasserpfeifen aus den Heimatländern ihrer Eltern kennen und die ihre Erfahrungen in Deutschland verbindet. Zum Beispiel, dass sie nicht wie ihre Kommilitonen oder Arbeitskollegen einfach in jeden Nachtclub spazieren können. In Shisha-Bars werden sie nicht diskriminiert und fühlen sich vielleicht einfach wohler als in der traditionellen deutschen Kneipe.

Die Rolle der Medien

Dass dieser Phänotyp in der Öffentlichkeit so überwiegend als Bedrohung auftaucht, ist nicht nur auf die AfD oder die "Bild"-Zeitung zu schieben. Mit der Änderung des Pressekodex in Folge der Kölner Silvesterübergriffe 2015/2016 ist die deutsche Medienbranche eingeknickt vor den Vorurteilen und Ängsten von rechts und aus der Mitte. Die Herkunft von Straftätern wird nun nicht mehr nur dann genannt, wenn sie mit der jeweiligen Tat zu tun hat, sondern immer dann, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" besteht.

Die Folge war abzusehen und ist mittlerweile auchwissenschaftlich belegt: Eine Explosion der Berichterstattung über Kriminalität von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund, völlig unverhältnismäßig zu ihrer tatsächlichen Repräsentation in Kriminalitätsstatistiken. Vergleichbare Verbrechen, wie etwa die Ermordung der Partnerin, werden nur dann zum Politikum, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hat. Dies zeigte der "Stern" zuletzt eindrucksvoll anhand zweier Verbrechen, die am selben Tag stattfanden.

Das Narrativ der Gefährdung Deutschlands durch Migration ist von entscheidender Bedeutung für das gesellschaftliche Klima. Durch die aktuellen Mechanismen der Berichterstattung wird es weiter befeuert. Und das bei eigentlich gleichbleibender Kriminalitätsstatistik auf historisch niedrigem Niveau in Deutschland. Die Diskrepanz zwischen empfundener und tatsächlicher Sicherheit wird immer größer. Dabei scheint es vor allem für eine Gruppe tatsächlich gefährlicher zu werden: Für Muslime, und alle, die danach aussehen.

Wenn der Hass und das dazugehörige Narrativ in die Mitte der Gesellschaft gelangt, zum Beispiel indem Parteien der Mitte mit den radikalen Vertretern dieses Narratives zusammenarbeiten, dann wird es gefährlich. In Thüringen ist genau das passiert.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 31.10.2019 | 21:45 Uhr