Absurd: Höhere Mieten auch dank Mietpreisbremse
Sie soll eigentlich den aufgeheizten Mietmarkt bremsen - und führt doch vielerorts zum genauen Gegenteil: die Mietpreisbremse. Ein Gesetz, das anfangs von der Politik gefeiert wurde, wird heute von Vermietern oft ausgehebelt.
Absurd: Höhere Mieten auch dank Mietpreisbremse
In vielen Städten funktioniert die Mietpreisbremse nicht: In Hamburg bspw. waren 41 Prozent der von Panorama untersuchten Angebotsmieten teurer als zulässig. Schuld ist ein entscheidender Konstruktionsfehler im Gesetz.
Eine neue Datenanalyse von Panorama zeigt, dass Mieten in vielen Städten nicht nur weitaus teurer sind als erlaubt. Sondern auch, was eine der Ursachen dafür ist: Die Mietpreisbremse - ein Gesetz, das genau dies eigentlich verhindern sollte. Denn durch eine Ausnah
meregelung führt das Gesetz systematisch zur Beseitigung bezahlbaren Wohnraums.
Neuer Abschnitt
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Wir haben die Hamburger Wohnungsanzeigen aus dem Jahr 2020 ausgewertet. Die Sortierung erfolgte anhand der prozentualen Abweichung von der ortsüblichen Vergleichsmiete (Mietenspiegel).
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Im Stadtteil Barmbek-Süd werden die Mieter ordentlich zur Kasse gebeten. 20,43 Euro kostet der Quadratmeter in einer Drei-Zimmer-Wohnung - 1.167 Euro sind es am Ende.
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Auch im Stadtteil Eilbek wird zu teuer vermietet. Hier müssen für drei Zimmer und 80 Quadratmeter 1.380 Euro gezahlt werden - mit 17,25 Euro pro Quadratmeter deutlich über dem Durchschnitt.
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An einer sechsspurigen Straße Im Stadtteil Hamm zahlt man für 60 Quadratmeter 1.150 Euro - fast das dreifache der ortsüblichen Vergleichsmiete.
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In diesem Haus in St. Pauli kostet eine Ein-Zimmer-Wohnung mit 29 Quadratmetern stolze 700 Euro. 319 Euro wäre die ortsübliche Vergleichsmiete, die die Mietpreisbremse vorsieht.
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In diesem Haus des Immobilienkonzerns Akelius gilt die Mietpreisbremse nicht, weil modernisiert wurde. Sonst dürfte die Wohnung statt 1.177 Euro nur 484 Euro kosten.
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Für eine Wohnung in der Hamburger Altstadt sieht die Mietpreisbremse eigentlich 485 Euro vor. Der Vermieter verlangt aber 1.130.
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Ohne Umbau wären im Backsteinbau im Stadtteil Winterhude durch die Mietpreisbremse maximal 520 Euro für 58 Quadratmeter erlaubt. Jetzt zahlen Mieter hier aber mehr als doppelt so viel - 1.285 Euro.
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In der Hamburger Altstadt müssen Mieter für eine Zwei-Zimmer-Wohung mit 43 Quadratmetern 1.100 Euro berappen - 463 Euro sollten es eigentlich sein.
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Die Modernisierung hat den Mietpreis in diesem Haus in Eilbek verdreifacht. Eine 1-Zimmer-Wohnung (42 Quadratmeter) kostet 860 Euro kalt. Stolze 20,40 Euro pro Quadratmeter.
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In diesem Hochhaus auf dem Hamburger Kiez zahlen Mieter für eine Vier-Zimmer-Wohnung 1.790 Euro - das sind 21 Euro pro Quadratmeter.
Mietpreisbremse greift nicht
Seit fünf Jahren schreibt die Mietpreisbremse fest, dass bei Neuvermietung die Miete nicht teurer sein darf als die ortsüblichen Vergleichsmieten. Konkret heißt das, die Miete darf maximal zehn Prozent über dem Mietspiegel liegen. Dadurch sollen in mittlerweile über 300 Städten und Gemeinden steigende Mieten abgebremst werden.
Trotzdem liegen die meisten Wohnungsmieten weit über dieser gesetzlich festgeschriebenen Obergrenze von "Mietspiegel plus zehn Prozent". In Hamburg beispielsweise waren 41 Prozent der von Panorama untersuchten Angebotsmieten teurer als gesetzlich zulässig. Noch deutlicher sieht es in Heidelberg aus. Dort waren sogar 87 Prozent der Wohnungen zu teuer. Spitzenreiter ist in Hamburg eine Wohnung, die für mehr als das Dreifache der durchschnittlich ortsüblichen Vergleichsmieten angeboten wurde. Wie kann das sein?
Gesetz mit Schlupfloch
Das Problem: Das Gesetz kennt eine Ausnahmeklausel. "Einen Notausgang", wie es der Rechtsanwalt Daniel Halmer nennt: die umfassende Modernisierung. Wer als Vermieter umfassend saniere, den Wert seiner Immobilie also nachhaltig steigere, indem er beispielsweise energetisch dämme oder ein zweites Bad einbaue, der darf laut Gesetz diese Kosten auch auf seine Mieter umlegen. Die Mietpreisbremse greift dann nicht.

Nach Daniel Halmers Erfahrung fahren immer mehr Vermieter die sogenannte "Modernisierungsschiene".
Halmer ist Geschäftsführer von Conny, einem Berliner Startup, das via Internet auf kommerzieller Basis Mietsenkungen für Mieter einfordert. Laut Halmer argumentieren immer mehr Vermieter mit der Ausnahmeregelung "Modernisierung". "Die Fälle dazu haben sich bei uns in 2020 verdoppelt", so Halmer. Oft sei aber gar nicht umfassend modernisiert worden. Die Wände streichen und den Boden neu machen reiche nicht. Oft werden aber "Instandhaltungen als Modernisierung" verkauft und so die Mietpreisbremse umgangen. Eine Ausrede mit System, die laut Halmer ein Geschäftsmodell ist.
Große Vermieter, kleine Mieter
Ein Immobilienkonzern, der dafür jüngst sogar von den Vereinten Nationen gerügt wurde, heißt Akelius. Der schwedische Konzern gilt in Berlin nicht nur als teuerster Vermieter, sondern auch als der aggressivste Modernisierer.

Günstiger Wohnraum sei "Aufgabe des Staates", so Akelius' Europa-Chef Jordan Milewicz.
Akelius Europa-Chef Jordan Milewicz lädt Panorama zum Interview in eine hochwertig modernisierte Wohnung am Berliner Tiergarten ein. "Die Wohnungen, die wir vermieten, sind hochwertig modernisiert. Und das ist das, was die Mieter von uns verlangen. Unsere Wohnungen sind heiß begehrt", sagt er. Da es Mieter gebe, die hohe Mieten bezahlen können, seien die Wohnungen bezahlbar. Dass das für Normalverdiener nicht gilt, weiß man auch bei Akelius, aber alles sei legal und es sei "Aufgabe des Staates" günstigen Wohnraum bereit zu stellen - und nicht diejenige privater Vermieter. Die Rüge der UN habe sein Unternehmen überrascht, so Milewicz: "Die Aussagen beruhen aber auf Hörensagen und nicht auf Fakten oder stichhaltigen Beweisen."
Mieten bleiben für immer hoch
Eins ist sicher: Wohnungen, die einmal teurer vermietet werden, sind laut Christoph Trautvetter, der den Wohnungsmarkt unter anderem für die Rosa-Luxemburg-Stiftung analysiert, für immer nicht mehr bezahlbar. Wenn dank Modernisierungsmaßnahmen einmal teurer weitervermietet werde, "bleiben die Mieten unendlich weiter so hoch." Bezahlbarer Wohnraum werde so systematisch zerstört.
Und es gibt noch einen weiteren Aspekt so Trautvetter. Viele private Konzerne kalkulieren Modernisierungen sehr teuer. Kosten für die Instandhaltung werden dagegen kleingerechnet. So sei das auch bei Akelius. Denn Modernisierungen lassen sich auf die Miete umlegen, Instandhaltung nicht. Zum Vergleich: Bei kommunalen Wohnungskonzernen ist es genau andersherum. Dort ist die unrentable Instandhaltung viel teurer als die auf die Mieter umlegbare Modernisierung. Akelius sagt, alle ihre Berechnungen seien korrekt.
Die Bremse bremst nicht, sie heizt sogar an
Dieses Jahr wurde die Mietpreisbremse nicht nur verlängert, sondern auch verschärft. Jetzt können Mieter die zu viel gezahlte Miete sogar rückwirkend erstattet bekommen. Bis zu 30 Monate. Die Ausnahmeregelung der "umfassenden Modernisierung" wurde vom Gesetzgeber allerdings nicht angefasst. Das wird wohl auch so bleiben.
Das zuständige Bundesjustizministerium scheint die hohen Mieten eher klein reden zu wollen: "Gerade bei Inseraten mit überhöhten Mietforderungen erscheint es unsicher, ob es tatsächlich zu einem Vertragsschluss mit den angebotenen Konditionen kommt." Ganz so als gäbe es das Problem nicht. Und Schein-Modernisierungen könnten Mieter widersprechen: "Mit unserer Regelungen werden Vermieterinnen und Vermietern die ökonomischen Anreize entzogen, gegen die Mietpreisbremse zu verstoßen", schreibt das Ministerium.
Das sieht Daniel Halmer von Conny anders. "Es fehlt weiter eine Sanktion gegen Vermieter, die wiederholt gegen die Mietpreisbremse verstoßen." Deshalb sei es weiterhin rentabel, es als Vermieter erst mal zu versuchen. Er geht davon aus, dass Vermieter die "Modernisierungsschiene" demnächst sogar noch häufiger fahren. Dass sie noch öfter schein-modernisieren, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Denn es ist und bleibt momentan der beliebteste Ausweg von Vermietern für mehr Profit.