Stand: 28.03.19 06:00 Uhr

Bahnchaos: Einblicke eines kritischen Lokführers

von Johannes Edelhoff

Ein Viertel aller Fernverkehrszüge sind verspätet, mehr als 5.000 Kilometer Gleise wurden zurückgebaut, nur 20 Prozent der Züge sind voll funktionsfähig. Stellen sind nicht besetzt, Lokführer fehlen. Bei der Bahn läuft vieles schief.

Anfang des Jahres war es einem Lokführer zu viel, er schickte einen Brandbrief an verschiedene Medien und Politiker und schildert, wie akut die Probleme gerade sind. Eigentlich sollte so eine aufschlussreiche Analyse den Bahnchef ja freuen. Immerhin schrieb Richard Lutz gerade selbst, die Deutsche Bahn befinde sich "in einer schwierigen Situation. Da gibt es nichts zu beschönigen". Doch ein Interview geben darf der Lokführer nicht. "Man kriegt als Außenstehender den Eindruck, hier sollen Meinungen unterdrückt werden", bewertet Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn die Situation. Panorama veröffentlicht hier den Brief nochmal.

Bahnchaos: Einblicke eines kritischen Lokführers
Ein Lokführer redet Klartext: Seit 30 Jahren arbeitet der Mann bei der Deutschen Bahn, seit Jahrzehnten gehe es mit dem Konzern bergab. Eine sehr persönlicher Hilferuf.

Allgemeiner Brandbrief zum aktuellen desolaten Zustand bei der Deutschen Bahn AG

Vorwort: Von vornherein möchte ich unmissverständlich klarstellen und betonen, dass ich sehr gerne Lokführer bei der Deutschen Bahn bin. Es ist ein guter Beruf, vielseitig, abwechslungsreich, mit großer Verantwortung. Ich bin ein stets pflichtbewusster und loyaler Beamter, ohne zu zögern würde ich jederzeit wieder Lokführer werden. Ich wurde bei meiner Einstellung mit dem Virus Eisenbahn infiziert, und den trage ich bis heute in mir. Nur leider wird es einem durch die widrigen Umstände heutzutage verdammt schwer gemacht, seine Arbeit noch mit Freude auszuüben. Deshalb sollten folgende Zeilen auch im richtigen Kontext wahrgenommen und verstanden werden.

"Die Steigerung von Chaos heißt Deutsche Bahn"

Ich bin Lokführer aus Leidenschaft seit fast 30 Jahren, ein 100 Prozent überzeugter Vollbluteisenbahner mit Leib und Seele, der schon sehr lange über den mittlerweile besorgniserregenden Zustand der Bahn entsetzt ist. Wie konnte es nur soweit kommen? Was ich aber in den vergangenen 20 Jahren mit ansehen musste, ist ein Albtraum, aus dem es scheinbar kein Erwachen gibt. Man denkt sich immer, schlimmer können es "die da oben" doch nicht noch machen - aber nein, weit gefehlt, unsere Manager können das mit der Leichtigkeit des Seins. Die Steigerung von Chaos heisst Deutsche Bahn und das ist noch ein Kompliment. (...)

"Gewerkschaften haben Fehlentwicklungen mitgetragen"

Inzwischen habe ich viel zu oft eine sechs Tage Woche mit 50/55 Stunden Arbeitszeit, Freizeit ist fast ein Fremdwort für mich geworden, mehr als 400 Überstunden, die ich Jahr für Jahr vor mir herschiebe wegen chronischem Personalmangel, wegen jahrelang verfehlter Personalpolitik unserer ach so tollen Führung. Ich fühle mich mittlerweile ausgequetscht wie eine Zitrone, bis zum letzten Tropfen. (...) Den Vorstand kann man beliebig oft austauschen, bringt aber gar nichts, ist nutzlos, denn er wird sich an den strukturellen Defiziten die Zähne ausbeißen, wie alle vorherigen auch. Der Kollege Alexander Kirchner sollte lieber ganz ruhig sein, wenn er jetzt eine zweite Bahnreform fordert. Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen, denn die Gewerkschaften haben im Aufsichtsrat sämtliche eklatanten Fehlentwicklungen seit 1994 klaglos mitgetragen. (...)

"Ich bin frustriert, demotiviert, überarbeitet, übermüdet"

Mein letzter Krankentag war im Februar 2004, also vor 15 Jahren (...), seitdem komme ich brav jeden Tag auf die Arbeit. (...) Ich bin aber sowas von frustriert, demotiviert, überarbeitet, übermüdet (das Wort "Schlaf" hat für mich inzwischen eine ganz andere Bedeutung gewonnen, ist sogar zu einem kostbaren Gut geworden), ich schleppe mich von Schicht zu Schicht. (...) Ich fühle mich als verbeamteter Lokführer bei der Deutschen Bahn AG behandelt wie der "letzte Dreck".

Reaktion der Deutschen Bahn

Wir nehmen den Brief unseres Lokführers sehr ernst. Wir sind bereits seit Januar mit dem Kollegen in Gesprächen und haben Maßnahmen festgelegt, wie wir seine Arbeitsbelastung reduzieren und Arbeitsabläufe verbessern können. An vielen Themen arbeiten wir bereits intensiv, wie zum Beispiel an der Rekrutierung von zusätzlichen Lokführern. Wir haben mit ihm vereinbart, dass wir die Dinge nun intern weiter verfolgen und - wie es sich für ein gutes Miteinander gehört - gemeinsam Lösungen finden. Uns ist wichtig, eine offene Unternehmenskultur zur fördern. Wir möchten daher auch betonen, dass es keine disziplinarrechtlichen Konsequenzen für den Kollegen geben wird.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.03.2019 | 21:45 Uhr