ManCity: Falsches Spiel mit Afrikas Fußball-Talenten

von Andreas Bellinger, Katrin Kampling & Nino Seidel

Sieht so das Recht zum Träumen aus? Es dauert rund zwei Stunden, um von Ghanas Hauptstadt Accra hierher zu kommen. Ein paar Lehmhütten links und rechts der staubigen, holprigen Wege. Und Menschen, die von dem Fortschritt, dem Wohlstand und den Annehmlichkeiten hinter dem Eingang zur Fußball-Akademie mit dem Namen "Right to Dream" (RtD) tatsächlich nur träumen können. Für die momentan rund 90 kickenden Talente hier am Ufer des Flusses Volta im Südwesten des Landes, die meist schon im Kindesalter ihr Elternhaus verlassen haben, soll es der Weg in eine goldene Zukunft sein. Mit einer großen Karriere am besten bei Manchester City; Glück, Ehre und natürlich Reichtum.

Football Leaks: Neue Enthüllungen
In Ghana liegt eine der besten Fußballschulen Afrikas. Doch finanziert wird die Akademie von Manchester City - und der Spitzenklub erwartet eine illegitime Gegenleistung.

Junge Talente als "Risikokapital"

Aber wie sieht es wirklich aus mit den großen Hoffnungen, die eine Weltkarte des Fußballs gleich am Eingang des Areals mit den acht modernen Rasenplätzen schürt? Die Football-Leaks-Dokumente, die der "Spiegel" erhalten und mit dem NDR und dem Recherchenetzwerk EIC geteilt hat, erlauben einen Blick hinter die Kulissen eines scheinbar undurchsichtigen Systems, das letztlich nur darauf abzielt, Afrikas beste Talente ohne Umweg und Transferkosten für Manchester City zu sichern - als Spieler oder zumindest als Kapitalanlage. Ein lohnendes Geschäft, das junge Fußballer als "Risikokapital" betrachtet und das geltende Transfergesetz des Fußballweltverbandes FIFA im Kern konterkariert. Denn die Regeln verbieten internationale Transfers von Minderjährigen, damit die jungen Kicker vor Ausbeutung und Menschenhandel geschützt werden.

Sportwissenschaftler: "Eine Art von Sklaverei"

Earnest Acheampong © NDR Foto: Screenshot

Sportwissenschaftler Earnest Acheampong kritisiert die "innovative Ausbeutung" der jungen Fußballer.

Durch die Akademie gelingt es ManCity trotzdem, den afrikanischen Fußballmarkt im Blick zu haben. Mehr noch: Der reiche Club aus der englischen Premier League sichert sich den Erstzugriff auf die besonderen Talente des fußballbegeisterten Kontinents. "Das kann man auch als innovative Ausbeutung bezeichnen", sagt Sportwissenschaftler Earnest Acheampong von der Universität Winneba dem NDR Fernsehen. "Oder sogar als eine Art von Sklaverei." Die Kinder der Akademie ahnen von den geheimen Plänen, Verträgen und Abmachungen nichts. Sie sind froh, zu den Auserwählten zu gehören, die Prince, der Scout der Fußballschule, aus den rund 25.000 pro Jahr gesichteten Kandidaten ausgesucht hat.

Trainer: "Für sie ist es kein Opfer"

King Osei Gyan war selbst einer von ihnen als die "Right to Dream"-Akademie 1999 gegründet wurde. Als einer der ersten durfte er mit einem Stipendium in den USA studieren. Er spielte für den englischen Erstligisten FC Fulham und Clubs in Belgien. Die große Karriere war es nicht. Heute unterrichtet er den "Right to Dream"-Nachwuchs und erzählt dem NDR Team auch von Problemen der Jungs, an die er sich noch gut selber erinnern kann. Vom Heimweh zum Beispiel, das mitunter natürlich quält, wenn man mit neun oder zehn Jahren die Familien verlassen und viele hunderte Kilometer von Zuhause entfernt seinen Traum vom Fußballstar leben will. "Aber sie haben ein Ziel vor Augen", sagt King Gyan. "Manchmal sprechen wir auch über Opfer bringen. Aber für sie ist es kein Opfer hierher zu kommen, weil sie wissen, worauf sie hinarbeiten."

Muhammadu (10): "Vermisse meine Mama sehr"

Muhammadu © NDR Foto: Screenshot

Muhammadu ist zehn Jahre alt. Er lebt getrennt von seiner Familie.

Vor den NDR Kameras kling das bisweilen anders: Der zehnjährige Muhammadu beispielsweise, der gerade vom Training kommt und schon seit zwei Jahren in der modern ausgestatteten Akademie lebt. Er kommt aus dem Nachbarland Elfenbeinküste, hat seine Familie schon länger nicht mehr gesehen. Der Knirps schaut traurig drein: "An den Wochenenden kann ich mit meinen Eltern aber telefonieren", erzählt er. "Natürlich vermisse ich meine Mama sehr." Der Drill jeden Tag und die Gedanken an Stars wie Ronaldo, Messi oder Neymar helfen, die Traurigkeit ein bisschen zu vergessen.

Elite von morgen kontrollieren

Manchester City investiert seit 2010 jedes Jahr mehr als eine Million Euro in die Akademie. Man könnte es Peanuts nennen für einen Club, der aus Abu Dhabi mit Milliarden von Euro ausgestattet und zu einem der größten und reichsten Clubs der Fußball-Welt gemacht wurde. Die Football-Leaks-Dokumente zeigen aber den Hintergedanken, mit dem die FIFA-Regeln ausgehebelt werden. "Right to Dream" soll laut Vertrag in ganz West-Afrika nach Talenten für ManCity suchen. Aber die geheimen Papiere offenbaren noch mehr: "Right to Dream" soll nicht nur die afrikanische Fußball-Elite von morgen kontrollieren, sondern auch dafür sorgen, dass die Absolventen bei Manchester City unterschreiben, wenn der Verein es so will.

Profitable Investition

Afrikanische Kinder in der Schule © NDR Foto: Screenshot

Für Manchester City ist die Investition in die Fußball-Akademie "Right to Dream" auf lange Sicht ein lohnendes Geschäft.

ManCity ist immer der Gewinner. Auch wenn die Klasse des Spielers nicht für einen Platz im Team der "Citizens" reicht, kommt der Club auf seine Kosten. Allein durch den Wechsel nach Manchester erhöht sich der Marktwert in der Regel signifikant, was Leihgeschäfte und Verkäufe an andere Vereine erheblich lukrativer werden lässt. Football-Leaks-Dokumente belegen diese Strategie. "Die Investition in Jugendspieler hat sich als profitabel für City erwiesen", heißt es darin. Und: "Der Marktwert der Spieler ist 76 Millionen Pfund und es könnten bis zu 151 Millionen Pfund werden."

Auf diese Weise erwartet der Club einen sagenhaften Gewinn - im Mittel eine Rendite von 24 Prozent. Manchester City äußert sich auf Anfrage zu alledem nicht. Auch die FIFA lehnt eine Interview-Anfrage und eine Stellungnahme ab. Man kenne die geheimen Verträge nicht, würde sie aber gerne einsehen, teilte der Fußballweltverband mit. Ermittlungen gegen ManCity gab es bis dato nicht.

Von der Straße in die Akademie

Divine Naah © NDR Foto: Screenshot

Divine Naah spielte in dreieinhalb Jahren für sechs europäische Vereine.

Das Geschäft mit den jungen Spielern floriert weiter. Die Verlierer sind Kicker wie Divine Naah, die den Sprung in die Mannschaft von ManCity nicht geschafft haben. Der 22-Jährige hat als kleiner Junge seine Familie und sein armes Heimatdorf Obuasi verlassen. Allein zog er in die Hauptstadt Accra, wo ihn die Späher der "Right to Dream"-Akademie entdeckt haben. Elf sei er damals gewesen, sagte er dem NDR Team. "Sie haben mich dort gefunden, als ich auf der Straße gespielt habe." Als Naah 18 Jahre alt war und damit laut FIFA-Reglement offiziell wechseln durfte, ging er für eine Ablöse von einem Pfund zu ManCity. Der lange Traum schien wahr zu werden. Und wurde doch zum Alptraum. Naah spielte nicht einmal für Manchester, sondern wurde immer wieder verliehen. "Sie haben uns nichts versprochen. Aber sie haben gesagt, dass wir gut genug waren, um für die erste Mannschaft zu spielen."

Spieler: "Ich will nicht benutzt werden"

Tatsächlich spielte er in dreieinhalb Jahren für sechs Clubs. In diesem Jahr landete der Mittelfeldspieler schließlich beim AFC Tubize in der belgischen Proximus League. Sein Vertrag in Manchester lief zwar noch sechs Monate, die dafür fälligen 63.000 Euro wurden Tubize überwiesen. Das zeigen die vertraulichen Papiere, die auch beinhalten, dass ManCity bei einem erneuten Wechsel die Hälfte der Ablöse bekommen soll. Divine Naah verdient jetzt zwar weniger, fühlt sich aber endlich frei. "Es ist jetzt an mir, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne dass jemand über mich und meine Karriere bestimmt", sagt er. "Ich will nicht benutzt werden, nur weil die Geld in die Akademie überweisen."

Vernon: Akademie-Gründer, Ex-Scout und Club-Chef

Divine Naah ist aus dem System ausgeschert - und könnte laut Akademie-Gründer Tom Vernon zu einem Präzedenzfall werden: "Wir können die Spieler nicht zwingen, bei Manchester City zu unterschreiben", ließ er die Club-Bosse wissen. Der frühere Scout von Manchester United ist inzwischen nicht nur Chef der Akademie, sondern auch des dänischen Erstligisten FC Nordsjälland. Der Club aus dem Nordwesten von Kopenhagen darf laut Vereinbarung Spieler der Akademie nur weiterverkaufen, wenn Manchester sein Okay gibt. 25 Prozent der Transfererlöse gehen laut Vertrag an die Briten, die Spieler von Nordsjälland andererseits kostenlos verpflichten können. "Keine normale Art, einen Fußballverein zu leiten", wie Vernon dem "Ghana Guardien" sagte.

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Das Erste | Football Leaks | 08.11.2018 | 21:45 Uhr