Stand: 12.04.18 06:00 Uhr

Gefangen in Europa

von Alena Jabarine

Noch 600 Meter bis zur Grenze, dann haben sie es geschafft. Drei Syrer auf der Flucht. Auf der Flucht raus aus Europa, raus aus Deutschland.

Alena Jabarine © NDR Foto: Christian Spielmann

Panorama Autorin Alena Jabarine schildert ihre Erfahrungen während der Recherche.

Wir filmen mit der Nachtsichtkamera, wie sie in der Dunkelheit auf einem schmalen Waldweg marschieren. Auf ihren Smartphones die Route bis zum Fluss Evros, der in dieser Region die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei bildet. Ein schmaler Fluss, der friedlich scheint, dessen Strömung aber schon vielen Menschen das Leben gekostet hat. Am Ufer wird ein Schleuser mit weiteren Flüchtlingen auf sie warten, sie in kleinen Gruppen in ein Schlauchboot setzen und zurück in die Türkei bringen. Dorthin, wo sie vor drei Jahren schon einmal waren, als Deutschland noch das Land ihrer Träume war. Nur wenige Minuten wird die Überfahrt dauern, das hat man ihnen gesagt. Dass ihr Boot das türkische Ufer nie erreichen wird, das wissen sie jetzt noch nicht.

"Wie kann ich leben?"

Einer der drei Männer ist Hassan. Gestern Nachmittag noch haben wir ihn interviewt, im Hotel Hermes, nahe der Grenze. Wollten wissen, warum ein Syrer, der es bis nach Deutschland geschafft hat, freiwillig wieder zurück in die Türkei geht. In der Sonne hatte Hassan auf den Stufen seines Hotels gesessen und uns seine Geschichte erzählt. Von dem Glück, dass er verspürt hatte, als er in Greifswald endlich eine eigene Wohnung bezog. Von dem Stolz, den er empfunden hatte, als er seinen Arbeitsvertrag in einem Friseursalon unterschrieb. "Deutschland gefällt mir", hatte Hassan erzählt. "Und in der Türkei gibt es keine Hilfe für uns, weißt du das? Keine Wohnung, keine Krankenversicherung." Hassan will eigentlich nicht weg. "Aber wie kann ich leben, ohne meine Frau? Das geht nicht. Verstehst du das?" Ich hatte genickt.

Drei Jahre lang hat Hassan in Deutschland alles richtig gemacht. Die Familienzusammenführung funktionierte trotzdem nicht. Seine Frau flüchtete von Syrien in die Türkei, bekam in der deutschen Botschaft noch nicht mal einen Termin. Nach zahlreichen Versuchen, Anträgen, Beglaubigungen, stand Hassans Entscheidung fest: "Nun ich muss gehen, zurück nach Türkei." Doch zurückgehen in die Türkei geht für Syrer wie Hassan nur auf dem Fluchtweg. Obwohl er als Flüchtling in Deutschland anerkannt ist und ein europäisches Reisedokument hat, gibt die Türkei ihm kein Visum. Also muss Hassan, drei Jahre nachdem er über die Balkanroute nach Deutschland kam, wieder flüchten. Nur dieses Mal in die andere Richtung.

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Der Weg zurück beginnt auf Facebook

Wie das geht, erfuhr er über eine der vielen Facebook-Gruppen, in denen Syrer, die Deutschland wieder verlassen wollen, Informationen teilen. Täglich posten sie hier, tauschen Schleuser-Nummern aus, verabreden sich, um den Weg zurück nicht alleine zu gehen. Um die Frage, warum jemand das vermeintliche Paradies Deutschland hinter sich lässt, geht es in diesen Gruppen nicht. Nur um das wie. So informierte sich auch Hassan. Flog von Berlin aus nach Thessaloniki, nahm den Bus nach Didimoticho, an die Grenze. Hier im Hotel traf er auf weitere Syrer. Gemeinsam mit ihnen machte er sich heute Abend auf den Weg. Bei sich tragen sie nur kleine Rucksäcke mit Kleidung und Schokoriegeln. "Wie wir gekommen sind, so gehen wir wieder", sagt einer von ihnen.

Facebook-Gruppe © NDR Foto: Screenshot

Eine Facebook-Gruppe für ausreisewillige Syrer.

Zusammenzucken - Hunde, man sieht sie nicht, aber ihr Bellen hallt durch die Nacht. Wir bleiben stehen, werden umdrehen. Die restlichen Schritte durch das militärische Sperrgebiet werden die drei Männer alleine gehen. Eine letzte Umarmung und sie verschwinden in der Nacht. Wir kehren um, verfolgen Hassans Live-Standort auf dem Smartphone. Hassan ist nun ein roter Punkt auf Google Maps. Und während wir zurück durch die Nacht zu unserem Auto laufen, sehen wir den roten Punkt durchs Grün marschieren. Während wir ins Auto steigen und zurück zu unserem Hotel fahren, schleicht Hassan verängstigt durch Gebüsche. Unterwegs ist unsere Kamera auf das Smartphone gerichtet. Der rote Punkt hat das Ufer des Evros erreicht. Und dann bewegt er sich auf den Fluss. Vor Aufregung schreie ich kurz auf. Wir fahren rechts ran, wollen auffangen, wie Hassan das türkische Ufer erreicht. Doch der rote Punkt bleibt stehen. Auf einer kleinen Insel, mitten im Fluss. Eine Minute vergeht, fünf Minuten, zehn. Wir sind müde. Sicher hängt das Internet und Hassan ist längst in der Türkei, sagen wir uns und fahren ins Hotel. Morgen werden wir ausschlafen und Hassan in Istanbul widertreffen. Zumindest ist das der Plan.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.04.2018 | 21:45 Uhr