Stand: 22.06.16 11:09 Uhr

Volksparteien: Ende einer Illusion?

von Ben Bolz

Was ist los in diesem Land? Das fragt sich der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering immer wieder. Die Volksparteien verlieren von Umfrage zu Umfrage und die AfD eilt von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. "Ich glaube, dass wir ein bisschen zu viel über die Populisten reden und dass wir uns immer bewusst sein müssen: Wir sind es, die es schaffen müssen. Auf uns - auf die Demokraten kommt es an! Nicht auf die, die da ein bisschen wilde Sau spielen", sagt Müntefering.

Volksparteien: Ende einer Illusion?
"Wir reden zu viel über Populisten", meint der ehemalige SPD-Chef Müntefering. Panorama hat mit ihm und anderen ehemaligen Politikern über die Krise der Volksparteien gesprochen.

Panorama hat mit verschiedenen ehemaligen Politikern über die Krise der etablierten Parteien gesprochen: Rita Süssmuth (CDU), Wolfgang Gerhardt (FDP) und eben Franz Müntefering.

"Wir müssen uns trauen, die Wahrheiten anzusprechen"

Ex-SPD-Chef Müntefering: Es kommt auf uns an
"Wir reden zu viel über die Populisten", sagt der ehemalige SPD-Chef Müntefering. "Es kommt auf uns an, auf uns Demokraten und nicht auf die, die wilde Sau spielen".

Müntefering sieht die Fehler bei den etablierten Parteien selbst. Auf die Probleme der Globalisierung und die damit verbundenen Ängste der Bevölkerung hätten sich SPD, CDU und die anderen Parteien zu wenig eingelassen. Die Politik neige dazu, über schwierige Dinge nicht zu sprechen, Gesetze als "alternativlos" zu beschließen und Probleme kleinzureden. "Ich glaube, dass das letztlich die falsche Methode ist", so Müntefering. Er fordert die Parteien zu mehr Ehrlichkeit auf: "Nur dann werden wir gewinnen, wenn wir uns trauen, auch die Wahrheiten anzusprechen. Auch die schwierigen." Und zur Wahrheit gehöre auch, dass Politik nicht alle Probleme lösen könne, wie zum Beispiel beim Thema Rente.

Die Vorstellung, die Welt sei schön, und man könne sie so behalten, sei eine falsche Vorstellung. Ein Zurück zum Nationalstaat werde es nicht geben. "Die Welt verändert sich. Und deshalb müssen sich auch Parteien verändern, und deshalb muss sich auch Politik verändern. Wir können die Aufgaben, die wir heute haben, nicht mit den Regeln von 1950 klären. Das war eine andere Welt. Das war noch keine so globale Welt."

Nachdenken, in welcher Gesellschaft wir leben wollen

Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sieht dies ähnlich. Man müsse für die Probleme der Globalisierung glaubwürdige Perspektiven entwickeln. "Wenn Helmut Schmidt sagt 'Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen', dann antworte ich: Ja, dann wünsche ich dem Arzt viele Patienten. Denn wenn wir nicht nachdenken, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und daran auch arbeiten, auch das verteidigen, was uns so selbstverständlich geworden ist, werden wir es verlieren."

Süssmuth: Verteidigen, was selbstverständlich ist
"Wenn wir nicht das verteidigen, was uns so selbstverständlich geworden ist und dafür eintreten, werden wir es verlieren", mahnt die ehemalige CDU-Politikerin Rita Süssmuth.

Es fehle bei diesen schwierigen Fragen eine stärkere Auseinandersetzung der Parteien mit den Bürgern. "Die Mahnung, 'schließt euch nicht diesen Rattenfängern an', wird die Zahl der Interessierten an diesen populistischen Parteien nicht verringern."

Auch Süssmuth fordert von den Parteien mehr Ehrlichkeit: "Sie haben Angst: wenn ich die Wahrheit in aller Klarheit sage, werde ich nicht wiedergewählt. Wenn ich Maßnahmen ergreife, die auch Einschnitte bedeuten, werde ich nicht wiedergewählt. Aber wenn ich das verheimliche, und es muss doch hinterher so kommen, ist die Enttäuschung größer, als wenn ich von vornherein Klarschiff mache."

"Politik kann nicht alle Probleme lösen"

Der ehemalige FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt wies gegenüber Panorama darauf hin, dass Politik nicht alle Probleme lösen könne. "Ich halte das für ein Grundübel, dass die Parteien den Eindruck erwecken, sie könnten für die Menschen mehr tun, als die Menschen für sich tun können."

Gerhardt: Müssen auch Unbequemes entscheiden
"Wir müssen die Courage haben, auch manches Unbequeme zu entscheiden", sagt der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt im Gespräch mit Panorama.

"Ressentiments gegenüber Politik sind hoch"

Auch das habe letztlich dazu geführt, dass der Ruf der etablierten Parteien und ihrer Politiker immer schlechter werde. "Heute glaubt ja jeder, dass zu Politik überhaupt nichts gehört. Jeder glaubt, er könne ein Abgeordnetenmandat wahrnehmen. Die politische Wirklichkeit den Menschen wieder deutlich zu machen, ist eine unabdingbare Notwendigkeit. Die Ressentiments gegenüber Politik sind hoch. Aber man muss sich auch wehren können und nicht alles unwidersprochen hinnehmen, was gegen Politik vorgetragen wird."

Auch Gerhardt fordert, die eigene Politik dem Wähler mehr zu erklären. "Wir müssen im Kern die Menschen wieder mit wirklichen Wirkungszusammenhängen vertraut machen. Und wir müssen auch die Courage haben, manches Unbequeme zu entscheiden. Das wird eine harte Aufgabe."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.06.2016 | 21:45 Uhr