Stand: 05.03.14 18:05 Uhr

Wie der TÜV seinen guten Ruf verspielt

von Ben Bolz, Robert Bongen & Nils Naber

Eigentlich steht der Name wie kein anderer für deutsche Qualität und für Glaubwürdigkeit: Wo der Technische Überwachungsverein, kurz TÜV, sein Siegel draufdruckt, funktioniert alles perfekt - schließlich ist das Produkt ja "TÜV-geprüft".

Doch die TÜV-Gesellschaften, die alle zwei Jahre unsere Autos checken, sind schon lange nicht mehr nur unabhängige technische Überwachungsvereine - sondern längst milliardenschwere Wirtschaftsunternehmen. Ob TÜV Nord, TÜV Rheinland, TÜV Süd, TÜV Hessen, TÜV Saarland, TÜV Thüringen - sie alle haben inzwischen Aktiengesellschaften (oder andere privatwirtschaftliche Unternehmensformen) gegründet und verkaufen offenbar ihr "Gütesiegel" an fast jeden, der dafür bezahlt.

Es geht ums liebe Geld

Warum zum Beispiel muss der TÜV die Kundenzufriedenheit der Bürger mit den Stadtwerken Düsseldorf extra zertifizieren? Warum checkt der TÜV die Unbeeinflussbarkeit von Ärztebewertungsportalen? Und warum begutachtet er die Qualität der Immobilienvermittlung von Maklern? Die Antwort ist ganz einfach: Es bringt Geld in die Kasse. Rund vier Milliarden Euro setzen die TÜV-Konzerne jährlich um.

Offenbar besonders beliebt ist das Zertifikat "Service tested" des TÜV Saarland. Ein Gütesiegel, das theoretisch jeder bekommen kann: Möbelhäuser, Reiseveranstalter, Behörden, Makler, Autohäuser, Internetportale - ja sogar Bestattungsunternehmen. Hierbei handelt es sich schlichtweg um eine Kundenbefragung, wobei der TÜV Saarland die Daten der zu befragenden Kunden meistens vom jeweiligen Unternehmen direkt bekommt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt... Der TÜV Saarland jedenfalls sagt: Die Unternehmen, die zertifiziert werden wollen, erhielten sehr detaillierte Vorgaben, nach welchen Merkmalen die Kundendaten zu selektieren sind.

Es gibt nur "sehr gut" und "gut"

Im Ergebnis sieht das dann so aus, dass alle Zertifikate im Bereich "Service tested", die man im Internet findet, mit der Note "sehr gut" oder zumindest "gut" versehen sind. Ansonsten hat man, so der TÜV Saarland, die Prüfung nämlich nicht bestanden. Wen wundert's: Wenn die Note schlechter wäre, würde sich ein Unternehmen das Geld für die gewünschte Zertifizierung wohl sparen. Mit einem "befriedigend" schmückt sich keiner. Für die Unternehmen, die den TÜV beauftragen, zählt nur eines: Sie wollen mit dem guten Namen und der Glaubwürdigkeit des TÜVs werben - oder ihn gar als Deckmäntelchen, als Beleg für vermeintliche Seriosität benutzen.

Trotz Siegel: Immobilien wurden nicht bewertet

Wie im Anlageskandal der Firmengruppe S&K Immobilien. Auch hier spielte der TÜV eine unrühmliche Rolle, diesmal der TÜV Süd. Im Juni 2012 wurden die S&K-Gründer festgenommen. Der Vorwurf: Sie hätten die Anleger - was den Besitz und den Wert von Immobilien angeht - betrogen, ein umfangreiches Schneeballsystem aufgebaut. Dabei hat der TÜV Süd indirekt mitgeholfen: Den Anlegern wurde im Verkaufsgespräch immer wieder auch eine Bescheinigung des TÜVs vorgelegt, in der zum Beispiel festgestellt wird, dass sich der Wert der Immobilien von S&K fast verdoppelt hat.

Für viele Anleger war diese Bescheinigung, so erzählen sie, ein wesentlicher Grund dafür, bei S&K Geld zu investieren. Auf Nachfrage betont der TÜV Süd, dass die Bescheinigung nur für interne Zwecke gewesen sei, die Immobilien selbst habe man nicht bewertet. S&K habe den Namen des TÜVs missbraucht. Doch die Frage bleibt: Wieso macht der TÜV solche Sachen überhaupt?

Nachhaltige Palmöl-Produktion mit TÜV-Siegel?

Palmölplantage in Indonesien  Foto: nordin

Umstritten, ob mit oder ohne TÜV-Siegel: Riesige Palmölplantagen in Indonesien.

Ein anderes Beispiel: Seit einiger Zeit prüfen TÜV Nord und TÜV Rheinland im Auftrag von Palmölproduzenten, ob deren Plantagen in Asien den Vorgaben des Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) genügen, also "nachhaltig" betrieben werden. Dabei käme es immer wieder zu Gefälligkeitsgutachten, sagen Kritiker. Auf Sumatra schlüpfte der TÜV Rheinland Indonesien für den Palmölproduzenten Wilmar 2011 sogar in die Rolle eines "polizeilichen Ermittlers".

Anwohner protestierten damals gegen die Palmölproduktion von Wilmar. Es gab einen Polizeieinsatz und demolierte Häuser und den Vorwurf an Wilmar, die Polizei gerufen zu haben, um den Protest niederknüppeln zu lassen. Wilmar beauftragte daraufhin den TÜV Rheinland zu untersuchen, was vorgefallen ist. Das Ergebnis der TÜV-Untersuchung war wenig überraschend: Alles halb so schlimm, Wilmar trifft keine Schuld. Der TÜV Rheinland sagt heute: Das alles sei ein Fehler gewesen, man arbeite mit diesen Personen nicht mehr zusammen.

Doch der Eindruck bleibt - nicht nur hier: Den TÜV-Gesellschaften geht es darum, immer größer zu werden, um Wachstum, um Umsatzsteigerung. "Der Hebel für dieses Wachstum ist die Glaubwürdigkeit, der gute Name TÜV", sagt Professor Nils Stieglitz von der Frankfurt School of Finance & Management. "Doch je weiter sie sich ausdehnen, desto größer wird die Gefahr, dass sie diese Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 06.03.2014 | 22:00 Uhr