Stand: 23.07.14 16:35 Uhr

Wo landen unsere Schrottfernseher?

von Carolyn Braun, Marcus Pfeil, Felix Rohrbeck & Christian Salewski

Jedes Jahr fallen in Deutschland Millionen Tonnen Elektroschrott an. Ein Großteil landet nicht im Recyclingmüll, sondern verschwindet einfach. "Panorama - die Reporter" und das Rechercheteam von "Follow the Money" wollten wissen wohin. Also wurden kaputte Fernseher mit Peilsendern ausgestattet – die Spur führt nach Afrika.

Die sechste Nacht in Ghana: Früh am Morgen bekommen wir endlich ein Signal. Unser Fernseher hat sich bewegt. Er steht nicht mehr im Hafen, sondern ist jetzt in Accra, Ghanas Hauptstadt, an der Ecke Abeka Road und George W. Bush Highway.

Das Signal ist stark und präzise, offenbar wurde der Fernseher ausgeladen und steht jetzt unter freiem Himmel. Als wir die Straßenecke erreichen, wird dort gerade ein Container geleert. Hunderte Fernseher stapeln sich im Schlamm. Unter einem Regenschirm sitzt ein Polizist und beobachtet den Abverkauf. Wir fragen, woher die Ware komme. England. Also Fehlanzeige!

Wo landen unsere Schrottfernseher?
Verfolgungsjagd per GPS: Alte Fernseher landen auf dem Recyclinghof. Doch wohin gehen die Geräte dann? Über Wochen verfolgen Panorama Reporter ein mit einem Peilsender präpariertes Gerät.

77 Tage dauert die Schrottreise

Wenige Meter weiter stehen acht silberne Sony-Geräte neben einer Hauswand. Wir schauen uns die Rückseiten an und entdecken auf einem der Fernseher unsere Markierung. Wir heben ihn hoch, schütteln ihn, um die Bewegungssensor zu aktivieren. Kurz darauf erscheint eine Meldung auf unserem Handy: Das Gerät wurde bewegt. Wir stellen unseren Fernseher wieder zurück. Wir wollen wissen, wie seine Reise weitergeht. Insgesamt 77 Tage wird sie am Ende gedauert haben, bis sie an einem Stausee im Norden Ghanas endet.

Der Export von Schrottgeräten ist verboten

Nach Schätzung der Vereinten Nationen produzieren die Deutschen jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Elektroschrott. In all den Fernsehern, Computern, DVD-Spielern, Stereoanlagen, Lautsprecherboxen, Kühlschränken und Smartphones stecken giftige Stoffe wie Arsen, Blei, Cadmium, Quecksilber. Deshalb ist der Export kaputter Elektrogeräte in Staaten, die nicht der Industrieländer-Organisation OECD angehören, eigentlich verboten.

Ein Großteil verschwindet nach Afrika

Der Hochseehafen von Tema, 25 Kilometer von Ghanas Hauptstadt Accra entfernt. © NDR/ARD

Der Hochseehafen Tema, 25 Kilometer von Ghanas Hauptstadt entfernt: Hier kommen die Container an.

So steht es im deutschen Elektro- und Elektronikgerätegesetz, in Kraft getreten im Jahr 2005. Die Bundesregierung will verhindern, dass die Entwicklungsländer zur Müllhalde für unseren giftigen Schrott werden. Trotzdem gelangen jedes Jahr nur 700.000 Tonnen Elektroschrott in das bundesweite Recyclingsystem. Was mit den restlichen 1,3 Millionen Tonnen passiert, weiß niemand so genau. Sie verschwinden einfach. Ein Großteil davon offenbar nach Afrika.

Eine Jagd mit Peilsendern

Aber warum? Alte, kaputte Fernseher mehrere Tausend Kilometer übers Meer zu verfrachten kostet viel Geld. Wem nützt es, deutschen Schrott außer Landes zu transportieren? Und wer verdient daran? Das wollten Panorama-Reporter in Zusammenarbeit mit dem Crowdsourcing-Projekt "Follow the Money" genau wissen und haben kaputte Fernseher mit GPS-Peilsendern ausgestattet.

Zusammen mit einem Batterie-Pack, das Strom für mindestens sechs Monate liefern soll, ist der Sender in den Lautsprecher-Boxen des Fernsehers versteckt. Der Sender schickt uns nicht nur in regelmäßigen Abständen seine exakte Position. Er reagiert auch auf Bewegungen. Wird er verladen und an einen neuen Ort gebracht, sendet er einen Alarm aufs Handy.

Die GPS-Jagd in Bildern

Die Abholung ist kostenlos

Wir lassen den Fernseher von einem Mann abholen, der über ebay-Kleinanzeigen die kostenlose Abholung von kaputten Elektrogeräten anbietet. Es ist der Anfang einer Verfolgungsjagd, die uns Einblicke in eine kleinteilige, aber gut organisierte Schattenwirtschaft gewährt, gegen die Zoll und Polizei weitgehend machtlos sind.

Unsere Reise führt uns zu dubiosen Händlern in die Hamburger Billstraße, in der afrikanische Exporteure bevorzugt ihre Ware ordern. Wochenlang sammeln sie alte Fernseher und Kühlschränke auf einem Packgelände in Wilhelmsburg, bis sie so viele beisammen haben, dass sie damit einen 40-Fuß-Seecontainer bis zum Rand vollstopfen können.

Das Ende der Reise ist eine giftige Müllkippe

Die Elektroschrott-Müllkippe Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra zählt zu den zehn giftigsten Orten der Welt. © NDR/ARD

Einer der zehn giftigsten Orte der Welt: Die Elektroschrott-Müllkippe Agbogbloshie in Ghana.

Speditionen und auf das Afrika-Geschäft spezialisierte Reedereien verdienen an dem Schrott ebenso mit wie Transportunternehmen, Zwischenhändler, Reparaturbetriebe in Accra und am Ende der Wertschöpfung irgendwann auch die Jungs von Agbogbloshie, der größten Elektroschrott-Müllkippe in Afrika. Dort nehmen sie Fernseher mit einem Hammer auseinander, um an das Spulenwerk zu gelangen, zünden Isolierschaum an, um die Kabelmäntel vom Kupfer zu trennen, für das sie gerade mal umgerechnet 50 Cent bekommen.

Eine Katastrophe aus unserem Müll

Etwa 500 Container mit elektronischen Geräten erreichen Ghana jeden Monat. Um Weihnachten herum, wenn die Europäer ihre alten Geräte wegwerfen, weil sie neue geschenkt bekommen, sind es bis zu 1.000 Container. Nur ein Teil der Fernseher, Computermonitore, Elektroherde, DVD-Spieler, Handys, Laptops und Kühlschränke bleibt in Ghana. Vieles wird weitertransportiert nach Burkina Faso, Niger, Mali oder Benin. Ghana ist das Elektroschrott-Drehkreuz für halb Westafrika. Und Agbogbloshie ist die Apokalypse, ohne die sich das Geschäft mit unserem Müll so nicht rechnen würde.

Rückkauf für 100 Euro

Agbogbloshie ist ein Stadtteil von Accra und zählt zu den zehn kontaminiertesten Orten der Welt. Vor 15 Jahren noch Brutplatz für europäische Zugvögel, heute Friedhof für unseren Müll. Und Vergiftungsquelle für viele Kinder und Jugendliche, die auch unseren Fernseher irgendwann von Hand ausgeweidet hätten, wenn wir ihn nicht schließlich in Dambai, im Norden Ghanas, bei einem Händler wiedergefunden und für 100 Euro zurückgekauft hätten. An einem Fernseher, der für uns wertlos war, haben auf seiner Reise insgesamt elf Menschen oder Firmen verdient.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.07.2014 | 21:45 Uhr