Viel Mißbrauch, wenig Kontrolle - Lücken im Betreuungsrecht

von Bericht: Ilka Brecht, Justus Kaufhold, Annette Krüger-Spitta

Mir kann ja so was nicht passieren, ich habe ja eine Tochter, die kann dann für mich sorgen. Oder: Das macht mein Sohn oder mein Bruder. Sollten Sie so oder ähnlich über den eben gesehen Film denken, möchten wir Sie warnen: Dass in so einem Fall Ihre Angehörigen die Betreuungsvollmacht bekommen, ist alles andere als selbstverständlich.

Viel Missbrauch, wenig Kontrolle - Lücken im Betreuungsrecht
Weder fachliche Voraussetzung noch eine Eignungsprüfung sind 2001 Voraussetzung für die Betreuung Hilfsbedürftiger.

Gerade wenn Geld, Haus, Sparkonten oder auch Aktien vorhanden sind, entscheiden die Richter oft anders, auch um Familienzwist zu vermeiden. Und so werden dann doch viele Menschen, die durchaus jemanden hätten, der sie gut und auch gern betreuen könnte, dem Wohlwollen von Fremden ausgesetzt. Und die haben dann die fast vollkommene Verfügungsgewalt. Und wer kontrolliert solche Betreuen, wer bildet sie aus?

Fortbildung vergangenen Sonntag in Braunschweig. Egal welche Ausbildung: Alle hier sind von Beruf Betreuer, übernehmen die volle Verantwortung für Vermögen, Gesundheit und Bleibe von hilfsbedürftigen Menschen.

Auf die Frage, was sie vorher gemacht haben, erhalten wir verschiedene Antworten: Betriebswirt, gelernte Arzthelferin, Masseurin oder auch Exot mit einer biochemische Ausbildung.

Margot von Renesse von der Parlamentarischen Arbeitsgruppe "Betreuungsrecht" berichtet: "Nichts ist leichter, als gegenwärtig den Beruf des Berufsbetreuers zu ergreifen. Sie brauchen dazu weder eine fachliche Voraussetzung, eine Vorbildung, noch brauchen Sie dazu eine Prüfung, die in Richtung auf persönliche Eignung geht, sondern Sie brauchen nichts anderes als die Bereitschaft des Vormundschaftsrichters, Ihren Namen aus einer Vorschlagsliste herauszufischen und Sie als Betreuer einzusetzen. Dieses ist für die verantwortliche Aufgabe, die ein Betreuer in jedem Fall hat, ein bisschen wenig."

Auch dieses Seminar in Braunschweig ist freiwillig. Ein Anreiz: Wer teilnimmt, bekommt einen höheren Stundenlohn, 60 Mark vom Staat.

Auf Betreuungstour im Kreis Schwerin. Horst Hollmann war Lehrer, dann arbeitslos. Seit drei Jahren ist auch er Berufsbetreuer, hat 33 Schutzbefohlene und erzählt: "Und ich habe mich dann also so in diese Arbeit hineingewurstelt, wie man so sagt, eigentlich auch ohne, ja, viel Hilfe von staatlichen Stellen, also Betreuungsbehörde und dergleichen. Gut, die fragt man dann, wenn man nicht mehr weiterkommt. Aber von selbst kam da eigentlich nichts."

Viel Verantwortung und auch viel Macht. Ob jemand betreut werden muss, entscheidet zwar noch der Amtsrichter, aber danach liegt fast alles in Hollmanns Ermessen. Besuchen - oder auch nicht, Pflegekräfte organisieren - oder auch nicht, Sozialhilfe beantragen - oder auch nicht. Ehrenamtliche Betreuung statt Bevormundung, das war das Ziel des neuen Gesetzes vor neun Jahren. Doch was inzwischen daraus wurde: ein neues Gewerbe. Bezahlte Betreuer arbeiten mittlerweile für mehrere hunderttausend Menschen. Wenn dabei etwas schiefläuft, merkt das der Amtsrichter zuletzt.

Horst Holmann erklärt die Handhabung der Behörden: "Sie greifen ja eigentlich erst ein, wenn irgendetwas anbrennt, wenn sie von außen signalisiert bekommen, also da läuft etwas nicht richtig."

Das ist das Grundproblem. Ein engagierter Betreuer wie Horst Hollmann ist reine Glückssache. Keiner kontrolliert seine Arbeit vor Ort. Kaum ein Amtsrichter fragt nach, wie es den Betreuten geht.

Horst Hollmann: "Ich meine, man stellt sich ja jeden Tag bei der Arbeit die Frage: Tust du auch wirklich genug? Machst du das auch richtig? Und, ja, da es eben ein Beruf ist, der keinen festes Berufsbild hat und nicht in so ganz festen Bahnen läuft, muss man also sehr vieles mit seinem eigenen Gewissen entscheiden."

Nur einmal im Jahr muss ein Betreuer Rechenschaft ablegen - auf dem Papier. Seinen Bericht schickt er zum Vormundschaftsgericht. Da aber kommen die Kontrolleure mit der Kontrolle nicht nach. Denn seit 1992 hat sich die Zahl der Betreuten mehr als verdoppelt.

Jan Petrak, der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts in Schwerin erklärt das so: "Wir laufen ja mit den Berufsbetreuern nicht täglich mit, da hätten wir gar keine Zeit mehr für. Und insofern ist es schon eine Vertrauenssache irgendwo."

Auf die Frage, wieviel in der Betreuung noch dazu kommen könne , bevor er sage: ‚Das schaffen wir nicht mehr?, antwortet Jan Petrak: "Also, dann müssten Sie meine Kollegen mal fragen. Aber ich denke, es ist hart an der Grenze."

Überlastete Rechtspfleger überprüfen nur noch, ob der Berufsbetreuer schlüssig abgerechnet hat und ob das den Staat nicht zu teuer kommt. So kennen sie nur die Sicht der Betreuer. Die Betreuten, um die es eigentlich gehen sollte, sehen die Rechtspfleger selten oder nie.

Margot von Renesse erläutert: "Die entscheidende Frage für den Betreuten ist die, wie es ihm geht, ob er zu essen bekommt das, was ihm schmeckt, ob er gefüttert wird oder ihm das Essen auf den Nachttisch geknallt wird. Die Frage, ob er auf einer Matratze liegt, die ihm wehtut oder nicht, diese Frage interessiert in der Regel - von Ausnahmen abgesehen - den Rechtspfleger herzlich wenig."

Zu viele unqualifizierte Betreuer, überforderte Rechtspfleger, gleichgültige Richter - wehe, du wirst hilflos.

Wehe, du wirst hilflos. "Man muss nach dem eigenen Gewissen entscheiden", sagt ein Betreuer im Film. Da das aber wohl nicht bei jedem so empfindlich ist, muss man die Frage stellen: Was schützt uns vor einem amtlich bestellten Betreuer? Nur eine Vorsorgevollmacht, notariell beglaubigt oder bei einem Anwalt hinterlegt, ähnlich wie ein Testament.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema:

Buchtipps:

Ralph Chauvistré: Versorgevollmacht und rechtliche Betreuung. Betreuungsverfügung und Patientenverfügung, Fachbuchreihe Betreuungsplanung und Betreuungsqualität, Bd. 1, EifelVerlag, Aachen 1999

Volker Thieler: Tatort Betreuungsrecht, Marian Verlag, München 2001

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.01.2001 | 21:00 Uhr