Veraltete Technik, fehlende Computer - Terroristenfahndung ohne Schlagkraft

von Bericht: Thomas Berndt

Deutschland rüstet auf - gegen den Terror. Otto Schily schnürt sein zweites Sicherheitspaket. Die Rasterfahndung ist eingesetzt, und Angela Merkel fordert sogar ein Bundessicherheitsamt. Der 11. September hat alles verändert, alte Bedenken oder Tabus - wie weggeblasen. Alles ist möglich, zumindest in der Theorie. Die praktische Umsetzung wird die Politiker in ihrem Sicherheitstaumel wohl bremsen, denn da herrscht in Deutschland Nostalgie. Das Bundeskriminalamt muss noch immer mit dem uralten Fahndungssystem aus den Siebzigern arbeiten. Von bundesweiter Computervernetzung oder schnellem Datenaustausch keine Spur.

Veraltete Technik: Terrorfahndung ohne Schlagkraft
Nach 9/11 herrscht Terrorgefahr in Deutschland - doch beim Bundeskriminalamt weht immer noch der Wind der 70er-Jahre.

Die Kommandozentrale der deutschen Terroristenfahndung, das Bundeskriminalamt in Meckenheim bei Bonn, Abteilung Staatsschutz. Alle Ermittlungen zum Terrorangriff laufen dort zusammen, das amerikanische FBI hat Verbindungsleute stationiert.

Die Sonderfahndungsgruppe USA - man hat die Ermittlungen scheinbar fest im Griff. Alles wirkt spielend leicht, so jedenfalls inszeniert sich das Bundeskriminalamt auf einem groß angekündigten Pressetermin. Nur Nachfragen sind hier nicht erwünscht - schon gar nicht zum BKA-Computersystem, mit dem die jungen Kollegen und Kolleginnen ermitteln müssen.

Kein Wunder - denn was kaum einer ahnt: Das BKA arbeitet mit einem Fahndungssystem Marke Uralt - Computer so groß wie Waschmaschinen. Das System heißt INPOL-aktuell und wurde vor dreißig Jahren in Betrieb genommen. Bundesweite Abfragen zu Tätern oder Diebesgut im Schneckentempo. Doch damit geht das BKA noch heute auf Terroristenjagd - so gut es eben geht.

"Das veraltete System kann kaum noch gewartet werden", sagt Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. "Die Firma Siemens, die dieses System seinerzeit eingerichtet hat, ist heute nicht mehr in der Lage, oder kaum noch in der Lage, Wartungstechniker zur Verfügung zu stellen. Ein Teil der Techniker sind bereits in Rente, und einige sind verstorben."

Das Problem bei der Terroristenjagd, heute wie in den Siebzigern zu RAF-Zeiten: Was man nicht im Computer hat, muss man immer wieder schreiben, schreiben, schreiben. Das BKA hat sich mit INPOL-aktuell verzettelt und kämpft unermüdlich mit den Datensätzen.

"Bei entsprechenden Informationen, Spuren, die aus der Bevölkerung eingehen, jetzt auch in dem aktuellen Fall, müssen die Beamten bis zu vier verschiedene Systeme bedienen", meint Wilfried Albishausen. "Und bei einem Aufkommen von 5 oder 10.000 Hinweisen bedeutet das etwa 40.000 Eingaben. Das sind Aufgaben und Arbeiten, die die Beamten erledigen müssen. Die Zeit, die sie dafür aufwenden, könnten sie in anderen Bereichen weitaus sinnvoller einbringen als bei einer solchen Dateneingabe."

Verantwortlich für die verstaubte Fahndungstechnik: das Bundesinnenministerium in Berlin. INPOL-aktuell, Baujahr 72, verteidigt Staatssekretär Schapper ungerührt als neuesten Stand der Technik.

"Das jetzt eingesetzte System ist zeitgemäß und ermöglicht der Polizei gute Arbeit und zügige Arbeit zu leisten", so Claus Henning Schapper vom Bundesinnenministerium.

Das BKA selbst kommt allerdings zu einem völlig anderen, vernichtenden Ergebnis. In einem internen Papier heißt es: INPOL-aktuell ist nicht mehr zeitgemäß, die Technik völlig überholt.

Die Nachfrage: "Hier haben wir aber das Schreiben vom BKA. Ich habe Ihnen das mal angemarkt. Da steht zum Beispiel: nicht mehr aktuell und nicht mehr zeitgemäß. Das sagt das BKA selber. Also so optimal kann es dann ja nicht sein für die Terroristenfahndung."

"Auch das BKA beschwert sich nicht über das heutige System, sondern über die Leute wie heute", antwortet Claus Henning Schapper.

"Aber hier steht es ja. Also es ist nicht mehr aktuell und überholt."

Claus Henning Schapper: "Heute wird das BKA gelobt für die gute Arbeit, die es leistet. Wir können wirklich nicht, beim besten Willen nicht sagen, dass INPOL-aktuell nicht die geeignete Grundlage ist für die kriminalistische Tätigkeit des BKA bei der Terroristenfahndung."

Dann aber kommt Staatssekretär Schapper plötzlich zu neuen Einsichten und behauptet das genaue Gegenteil. Er fügt hinzu: "Natürlich ist es so, dass es ein System ist, das nicht mehr den Anforderungen, den technischen Anforderungen der heutigen Zeit entspricht. Es ist auch nicht weiter ausbaufähig, nicht weiter entwicklungsfähig. Es könnte auch benutzerfreundlicher sein."

INPOL-aktuell, ein Fall fürs Polizeimuseum. So sieht man das auch in Mecklenburg-Vorpommern. Hier hat man inzwischen mächtig aufgerüstet. Ergebnis: Fast alle Polizeiwachen im Land sind vernetzt. Abfragen über Täter, Verbrechen oder Hintergründe im Sekundentakt. Nur die Verbindung zum Bundeskriminalamt klemmt. Das Siebziger-Jahre-System beim BKA ist kaum noch kompatibel. Informationsaustausch nur im Schneckentempo oder gar nicht.

Dazu Jürgen Beutler von der Polizei Mecklenburg-Vorpommern: "Ja, kleine Geschichten aus dem Alltag - eben dass das System auch hin und wieder mal abgestürzt ist, dass man eine Anfrage gestartet hat, dass das Anfrage-Zeit-Verhalten nicht gestimmt hat. Das heißt, die Zeit, bis er den Datensatz gefunden hat, war zu lange. Dann hat das System selbständig abgeschaltet, man musste wieder neu anfragen."

Wilfried Albishausen sagt: "Das kann dazu führen - und vielleicht führt es auch dazu -, dass einige Sachbearbeiter, die mit diesem System arbeiten, auf Anfragen verzichten, vielleicht auch auf die Speicherung von entsprechenden Informationen, weil man die Zeit einfach nicht hat, abzuwarten, bis das System reagiert. Und das ist für eine Spurendokumentation in einem Ermittlungsverfahren oder hier auch im Bereich des Terrorismus natürlich fatal."

In der Polizeiinspektion 1, Köln, eine Hochburg islamischer Gewalttäter, hat man noch ganz andere Sorgen. Tapfer haben die Beamten auch den Steckbrief von Osama Bin Laden an die Wand gepinnt. Die Technik hier ist schon über zehn Jahre alt. Das kostet Zeit. Quälend lange Wartezeiten für das kleinste Schriftstück. Vernetzung kein Thema, Computer als bessere oder schlechtere Schreibmaschinen.

Jürgen Meiser meint: "Es kommt sicher dann auch vor, wenn der PC gar nicht mehr läuft, dass man halt auf die gute alte Olympia übergeht und halt das Formular aus dem Schrank rausholt und anfängt, darauf rumzuhacken, was mit Sicherheit dann im Endeffekt schneller wäre, als hier zu warten: Wie lange habe ich jetzt, bis er abstürzt. Jeder erzählt von der hochtechnischen Polizei .... und viele sagten schon, das war schon vor zehn Jahren, so ungefähr. Das baut einen auf."

"Nimmt mein Sohn gerade zu Hause auseinander und guckt, wie der drinnen aussieht", sagt Rüdiger Thust von der Kriminalpolizei Köln. "Ja, diese bemitleidenden Blicke der Betroffenen, nicht nur der Beschuldigten, die sind schlimmer. Die gehen raus und sagen: Um Gottes Willen, was ist das hier!"

Derweil kämpft das BKA weiter mit dem Computer-Chaos. Die Zauberformel heißt INPOL-neu und soll das alte System ersetzen. Ergebnis nach zehn Jahren Tüftelei: Nix geht. Eigentlich sollte INPOL-neu nächste Woche anlaufen. Jetzt hat aber hat man sich vertagt auf die Jahreswende 2003/2004. Zu viele Fehler im System.

Claus Henning Schapper vom Bundesinnenminsiterium lenkt ein: "Es läuft noch nicht. Ich sage jetzt, es ist außerordentlich ehrgeizig, es würde das BKA und die deutsche Polizei an die Spitze der technischen Nutzung stellen."

"Aber erst 2003/2004", so der Interviewer.

Claus Henning Schapper: "Das ist richtig."

"Ja, und wir haben jetzt die Terroristenfahndung."

Claus Henning Schapper: "Richtig."

Wilfried Albishausen dazu: "Wir haben einen erheblichen Nachholbedarf in vielen Bereichen, und das finde ich erbärmlich, erbärmlich und skandalös eigentlich."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.10.2001 | 20:15 Uhr