Schmusebilder statt Actionszenen - Werbung nach dem Terror

von Bericht: Edith Heitkämper, Sandra Ratzow
Skyline des New Yorker Stadtteils Manhattan mit Freiheitsstatue. © picture-alliance / Bildagentur Huber

Es gab ein Bild, das für Freiheit, für die Welt der Möglichkeiten, für Erfolg stand: New York. Tausendmal fotografiert für Werbeplakate, tausendmal gefilmt für Spots, besungen von Frank Sinatra. Aber auch seine Liedzeile: "If you can make it there, you make it anywhere" - Wenn du es da schaffst, schaffst du es überall - hat eine völlig neue, unmögliche Bedeutung bekommen. Nichts ist mehr, wie es war, schon oft gesagt - leider wahr. Und deswegen können Sätze und Bilder nicht mehr für das verwendet werden, wofür sie eigentlich mal standen. Das trifft vor allem die Werbebranche, die nur mit solchen Slogans und Images arbeitet. Katastrophen, Action und vor allem New York ziehen beim Käufer nicht mehr.

Schmusebilder statt Actionszenen - Werbung nach dem Terror
Nach 9/11 verzichtet die Werbebranche auf aggressive TV-Spots und ist auf Kuschelkurs gegangen. Ein Bericht von 2001.

Ein Werbespot hatte am 9. September seine Fernsehpremiere. Er lief nur zwei Tage. Mit einem Big Bang, einem großen Knall, wollte Telegate seinen neuen Werbefeldzug starten. Eine Million Mark hat das Unternehmen in den Spot investiert. Telegate-Vorstandsmitglied Dirk Roesing kann selbst jetzt noch nicht fassen, dass der Spot von der Realität eingeholt wurde:

"Wir haben sehr bewusst diesen Spot ausgesucht. Er hat ein bisschen Hollywood-Charakter, und wer jemals Bruce Willis-Filme oder Ähnliches gesehen hat, ich glaube, der hat sich noch nie vorgestellt, dass so etwas wirklich mal passiert, so weit weg war es eigentlich. Es war eigentlich so irreal, dass es halt dadurch wirken sollte, durch diesen Hollywood-Charakter."

Vor dem 11. September erregte so manche Werbung kaum die Gemüter. Längst hatte sich der Zuschauer an den Nervenkitzel gewöhnt. Doch einige Motive sind jetzt tabu.

Matthias Harbeck vo der Werbeagentur Philipp & Keuntje: "Wolkenkratzer speziell haben wirklich für die nächste Zeit mal ausgedient. Da wird jeder, auch noch über einen längeren Zeitraum, an diese Ereignisse denken. Ansonsten, glaube ich, haben wir im Moment eine Abkehr sicherlich in der Werbung von schwarzem Humor und sicherlich auch von Gewaltthemen."

Der Medienpsychologe Jo Groebel vom Europäisches Medieninstitut beobachtet seit Jahren die Trends in der Werbung. Seiner Ansicht nach können seit den Terroranschlägen bestimmte Motive einfach nicht mehr funktionieren: "Action-Szenen waren in der Vergangenheit verbunden mit der Vorstellung: Das ist eh nur Spielfilm, das ist Fiktion. Seit dem 11. September sind Action-Bilder ganz nah an die persönliche Bedrohung jedes Zuschauers herangekommen, sind damit nicht mehr mit einer angenehmen Assoziation verbunden. Und insofern kann es natürlich damit auch nicht mehr in der Werbung positiv eingesetzt werden."

Vier Tage nach den Anschlägen gab es noch die Werbung von Lufthansa. Was ganz harmlos auf den "Follow-me"-Wagen Bezug nahm, bekam auf einmal eine zynische Bedeutung: "Zugegeben, auch wir überlassen schon mal anderen die Führung." Die Lufthansa jetzt auf neuem Werbekurs, denn der Traum vom Fliegen verkauft sich im Moment einfach schlecht.

Prof. Dr. Jo Groebel: "Jede Werbung ist immer bezogen auf das, was gerade im Moment vorherrschend ist in der Gesellschaft. Und ganz klar: Im Moment haben wir die große Sicherheitsdebatte, und insofern wird eine Luftfahrtgesellschaft sicherlich sehr stark diesen Akzent setzen müssen. Und die große weite Welt oder gar das Abenteuer, das wir noch eine Weile wahrscheinlich erst mal mit einem gewissen Schaudern verbunden werden."

Die Hamburger Agentur Scholz & Friends, immer hart am Zeitgeist. Sie entwirft auch die Kampagnen für Tchibo. Schockwerbung funktionierte hier nie. Statt dessen Häuslichkeit, Harmonie und viel Gefühl. Und das wird, so sagen die Werber voraus, der Trend der Zukunft in der Branche. Die schöne neue Kuschelwelt.

Günter Wischmann von Scholz & Friends: "Ich denke, dass dies auch für die Werbung eine bestimmte Rückbesinnung auf eine gewisse Moral angeht und eine gewisse Ethik vielleicht in der Werbung, mit der früher oder bis vor kurzem gespielt wurde, dass eine gewisse Grundethik in die Werbung einzieht, ja. Ich würde mal sagen, ein gewisses normales und gutes Maß an Menschlichkeit und an Empfindsamkeit, das, glaube ich, dieser Welt ganz gut tut."

Und selbst die Agentur "Jung von Matt", die gern mit provozierenden Kampagnen von sich reden macht, schwenkt auf diesen Schmusekurs ein, zumindest bei einigen Kunden.

Oliver Voss von Jung von Matt: "Ich glaub', das es verstärkt zu so einer Friede-Freude-Eierkuchen-Werbung kommen wird in der nächsten Zeit. Und ich glaub', dass den meisten Kunden damit nicht geholfen sein wird, weil sie einfach sich damit nicht mehr von anderen absetzen, alle sich an den Händen fassen und alle eine große Gemeinschaft sind und glücklich."

Dirk Roesing: "Ich gehe mal davon aus, das wird jetzt noch einige Monate dauern, dann wird die Hysterie langsam abnehmen. Auswirkung auf das tägliche Leben wird dadurch auch immer geringer. Und in der Werbung, denke ich mir, dass die Werbung immer davon lebt und leben wird, zu provozieren."

Provokation, die vielleicht auch wieder zu solchen Spots führt. Schließlich geht es den Werbern vor allem um eins: Auffallen. Werbespot Stella Musical: "Fünf ist einer zu viel. Mit dem ‚Family and Friends' Ticket ins Stella Musical, für bis zu vier Personen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.11.2001 | 21:00 Uhr