Horror in Schlachthöfen - Tierquälerei wegen EU-Vorschriften

von Bericht: Andreas Rummel, Karsten Scholtischyk, Stephan Stuchlik

Es ist Grillsaison, und auf unseren Rost muss vor allem eins: viel Fleisch. Qualität? Egal, vergrillt sich. Aber war da nicht mal was? BSE? Längst vergessen! Wir essen genauso viel Rind wie vorher. Auch die scheußlichen Bilder aus den Schlachthöfen sind ja aus den Nachrichten verschwunden. Kein Mensch will wissen, geschweige denn sehen, wie aus der Kuh ein Steak wird. Panorama zeigt es Ihnen trotzdem, denn die Tiere müssen heute qualvoller sterben - wegen neuer Vorschriften zu unserem Schutz. Die Bilder sind fies und eklig, Sie werden vielleicht am liebsten die Augen zumachen. Die schlimmsten Szenen sind rausgelassen oder verfremdet. Tierquälerei, ganz nach Vorschrift.

Horror in Schlachthöfen: Tierquälerei wegen EU-Vorschriften
Ein Bericht von2001 über die Konsequenzen einer neuen EU-Richtlinie, die aufgrund der BSE-Krise eingeführt wurde.

Auch im Schlachthof Jena sind deutsche Rinder auf ihrem letzten Gang. Vier Millionen sind es jährlich, bundesweit. Die Betäubung der Tiere erfolgt auch in Jena, wie überall in Deutschland, mit dem Bolzenschussgerät. Dabei wird ein Stahlstift mehrere Zentimeter tief ins Gehirn geschossen. Nur die richtige Handhabung dieses Gerätes garantiert, dass das Tier auf der Schlachtbank auch keinen Schmerz mehr empfindet.

Bis Anfang dieses Jahres wurden, um Qualen zu verhindern, den Tieren zusätzlich noch die Nerven durchtrennt. Doch den Rückenmarkszerstörer hat die EU verboten. Das bedeutet schlimme Folgen für die Tiere. Ein Rind nicht richtig betäubt, ein Opfer des EU-Verbots der Nerventrennung.

Beate Gminder von der EU-Kommission erläutert den Hintergrund: "Wir haben das verboten, weil es eine gewisse Gefahr gibt, dass sich die Gehirnpartikel dann im Umfeld verbreiten und damit der BSE-Erreger verbreitet werden könnte." Doch die Entscheidung gegen den Rückenmarkszerstörer wegen der BSE-Gefahr kann für die Tiere quälend sein. Die Bilder von Rindern am Schlachthaken lassen an einer ausreichenden Betäubung nur durch den Bolzenschuss zweifeln. Ein Schlachter antwortet auf die Frage, ob die Tiere noch etwas empfänden: "Würde ich sagen, ja, ....., möchte ich sagen."

Nicht einmal die Schlachter selbst glauben also, dass die Bilder von zappelnden Tieren nur die letzten Reflexe gut betäubter Rinder zeigen. Zu häufig kommt es vor, dass ein Tier nach einem schlecht gesetzten Bolzenschuss bereits vor dem eigentlichen Schlachten wieder zu sich kommt.

Ein Schlachter beschreibt: "Die 15 oder 20 Sekunden, die die liegen, können ohne Rückenmarkszerstörer ausreichen, dass das Bewusstsein stückchenweise zurückkommt, zumindest so weit, dass sie Schmerzen empfinden und grobe Wahrnehmungen haben."

Ohne Rückenmarkszerströrer bleibt als Betäubung also allein der Bolzenschuss. Und dessen richtige Anwendung ist nicht einfach. Häufig wird das Gerät schlecht angesetzt, da die Tiere ausweichen. In dieser Situation die richtige Stelle am Kopf zu treffen, ist schwer. Hat das Tier gar Panik, ist es fast unmöglich. Bei Rindern mit dickem Schädel betäubt der Schuss überhaupt nicht.

Ein Schlachter rekonstruiert den Bolzenschuss an einem Rinderschädel: "Hier sehen wir den Kopf eines Bullen. Und die Tatsache, dass hier mindestens drei Zentimeter Schädeldicke sind, dann noch den Schusskanal hinzugefügt, das ist ein Zentimeter bis zwei Zentimeter Wolle - bleiben also maximal etwa zwei Zentimeter Betäubungswirkung im Gehirn übrig. Und das reicht nicht aus, um eine dauerhafte Betäubung zu erreichen bzw. die Gefühlslosigkeit und die Schmerzlosigkeit zu erreichen."

Egal. Und deshalb gibt es seit dem EU-Verbot des Rückenmarkszerstörers immer häufiger Szenen wie in Jena.

Etwa in Österreich, in einem anderen EU-Schlachthof. Die Tiere sind so schlecht betäubt, dass sie sich wehren und noch während der Tötung brüllen. Schlimme, qualvolle Szenen - für Tiere und ihre Schlächter.

Die Bilder zeigen wir dem Institutsleiter Klaus Troeger an der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach. Dort werden in staatlichem Auftrag Schlachtmethoden untersucht. Der Fachmann kommt bei der Analyse zu einem klaren Ergebnis: "Ich denke, es ist eindeutig zu erkennen, dass die Tiere nicht effektiv betäubt sind. Es ist Augenzwinkern zu sehen, es sind Lautäußerungen zu hören, die Tiere ziehen seitlich den Kopf hoch. Das sind also Anzeichen dafür, dass das Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen nicht ausgeschaltet ist."

Der Reporter fragt nach: "Heißt das, dass die Tiere Schmerz empfinden? Kann man das sagen?" Klaus Troeger: "Ich denke, so kann man das ausdrücken, ja."

Trotz solcher Zustände in europäischen Schlachthöfen - die EU-Kommission bleibt dabei: Das Verbot des Rückenmarkszerstörers war richtig. Beate Gminder von der EU-Kommission: "Also musste abgewogen werden zwischen dem Gesundheitsschutz der Arbeiter und der Bevölkerung und dem Tierschutz - eine nicht leichte Entscheidung."

Die Schlachter aber wollen mit aller Macht zurück zum Rückenmarkszerstörer. "Ich stehe übrigens mit dieser Meinung nicht allein", sagt einer. "Es gibt sehr viele Kollegen, die die gleiche Meinung vertreten, nur die aus irgendwelchen Gründen nicht laut sagen. Wer von den amtlichen Kollegen will schon offen gegen EU-Richtlinien auftreten, ohne zu riskieren, dass er damit amtlicherseits irgendwelche Schwierigkeiten erhält."

Und so bleibt alles wie gehabt. In Zeiten der BSE-Angst ist mit dem Leid der Tiere eben schlecht zu argumentieren.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.08.2001 | 20:25 Uhr