Fehlende Krippenplätze - Warum Mütter keinen Job finden

von Bericht: Edith Heitkämper, Sabine Platzdasch

Familien - genauer Kinder - sind zur Zeit unglaublich beliebt. Wohl kaum eine Partei hat es in der letzten Zeit versäumt, noch ein paar Wohltaten für Familien zu fordern. Jetzt soll's wohl 30 Mark mehr Kindergeld geben, und Mütter - um die geht es in erster Linie - haben nun ja ein Recht auf Teilzeitarbeit. Alles gut und schön. Schließlich braucht jede Partei ja auch die Stimmen der Wählerinnen. Aber wenn Mama nun tatsächlich einen Job annehmen möchte oder auch muss, und am Arbeitsmarkt wird sie zum Beispiel als Lehrerin ja auch dringend gebraucht, dann hat sie ein Problem: Wer betreut ihr Kind? Wenn es um Krippenplätze geht für Ein- bis Dreijährige, dann zeigt sich Deutschland als Entwicklungsland. Kein Platz für Kleinkinder.

Fehlende Krippenplätze - Warum Mütter keinen Job finden
Kind oder Karriere? Vor dieser Frage stehen 2001 viele Mütter in Deutschland, denn es gibt zu wenig Kindergartenplätze.

Der wöchentlich Gang zur Kinderkrippe. Seit über einem Jahr sucht die Ernährungswissenschaftlerin Uta Grey verzweifelt einen Platz für ihren Sohn: "Ich muss anfangen zu arbeiten, ich kann mein Diplom sonst an die Wand hängen. Ich habe kurz bevor ich ihn bekommen habe, mein Diplom gemacht, wenn ich jetzt nicht bald einsteige in den Beruf, kann ich das vergessen." Doch Mark und seine Mutter haben auch heute wieder kein Glück.

Der Krippenleiter Torsten Becker bekommt täglich Anrufe von verzweifelten Eltern: "Es geht um Existenzen. Ich kann das sehr wohl nachvollziehen und verstehe es auch. Ich kann aber leider nur die Eltern vertrösten." Uta Grey kann als Ernährungswissenschaftlerin zwar den perfekten Babybrei zubereiten, ansonsten aber hat sie nichts von ihrem Studium, denn die Alleinerziehende ist jetzt Sozialhilfeempfängerin: "Ich habe eine gute Ausbildung, ich möchte arbeiten, ich möchte für uns sorgen, und ich kann nicht. Ich kann nicht, weil ich das Kind nicht unterkriege, und bekomme gesagt: Ja, suchen Sie sich erst einen Arbeitsplatz. Wenn ich den Arbeitsplatz habe, dann bekomme ich vielleicht einen Krippenplatz. Aber ich bekomme keinen Arbeitsplatz ohne Krippenplatz."

Und Krippenplätze sind Mangelware. Hier werden Kinder bis zu drei Jahren betreut. Auf einen Krippenplatz besteht - im Gegensatz zu einem Kindergartenplatz für die Drei- bis Sechsjährigen - kein Rechtsanspruch. Doch der Bedarf an städtischen Krippenplätzen wird immer größer. Notstand in der Kinderbetreuung. So gibt es beispielsweise in Hessen für tausend Kinder laut Statistik gerade mal 26 Krippenplätze.

Frankfurt. Heike Glaser hat ihre Tochter gleich nach der Geburt in der Krippe angemeldet. Aber wann ein Platz frei wird, kann ihr keiner sagen. Sie musste sich deshalb arbeitslos melden, obwohl die Betriebswirtin mit ihrer Berufserfahrung auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt ist.

Die Betriebswirtin erklärt: "Es liegt ganz aktuell ein sehr, sehr attraktives Jobangebot auf meinem Schreibtisch, die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit eines Mittelständlers, der sehr interessante Projekte vorhat, und ich werde leider nein sagen."

Und so müssen hochqualifizierte Frauen jahrelang zu Hause bleiben, obwohl die Wirtschaft händeringend nach solchen Fachkräften sucht. Doch die wenigsten Unternehmen haben - wie die Deutsche Bank - eine eigene Kinderkrippe. Dabei würde es sich für die Wirtschaft lohnen, auf die Kinder aufzupassen, damit die teuer ausgebildete Mutter weiter arbeiten kann.

Sabine Drexler-Wagner von der Kindertagesstätte der Deutschen Bank erklärt warum: "Der Grund ist, hoch qualifizierte Arbeitskräfte an ein Haus zu binden und Frauen, die im Erziehungsurlaub sind, zu halten, dass die früher als vor Ablauf des Erziehungsurlaubes wieder einsteigen, und natürlich so die Kontinuität am Arbeitsplatz zu steigern und zu verbessern."

Umso unverständlicher ist es, dass bundesweit nur ein Prozent aller Krippenplätze von Firmen betrieben werden. Auch Iris Sauter leidet unter diesem Mangel. Sie ist Englischlehrerin im Erziehungsurlaub. Ihre Schule findet keine Vertretung für sie. Ein Krippenplatz für ihre Tochter fehlt, und 200 Schüler sind die Leidtragenden.

Sie erzählt: "Ja, die Schüler bekommen jetzt also reduziert Unterricht, weil Lehrkräfte fehlen. Gerade in meinem Fach, in Englisch, sind an unserer Schule nicht genug Lehrkräfte da. Das heißt, der Unterricht kann einfach nicht in dem gewünschten Umfang angeboten werden."

Angemeldet hat sie Rebecca in acht verschiedenen Einrichtungen, ohne Aussicht auf Erfolg. Kind und Karriere gehen auch hier nicht zusammen, das frustriert.

Iris Sauter zieht ihre Konsequenzen: "Mich hat's noch mal bestätigt, kein zweites Kind zu bekommen. Eine Zeit lang haben wir auch überlegt, ja, vielleicht dann auch recht bald noch ein zweites Kind. Jetzt muss ich sagen, es hat mich dann doch sehr abgeschreckt."

Für die zuständige Behörde ist klar: Schuld an diesem Missstand haben die Eltern. Gisela Erle von der Kinder- und Jugendhilfe Frankfurt kritisiert: "Es ist wichtig auch für Eltern, zu wissen, dass sie nicht spontan nach Geburt des Kindes plötzlich sagen können: Ich möchte jetzt einen Platz haben. Also das muss auch etwas planvoller angegangen werden."

Krippennotstand auch im reichen Baden-Württemberg. Für tausend Kinder gibt es ganze dreizehn Plätze. Sie hat keinen: Ute Sperle in Stuttgart. Jahrelang hat sie sich in der Firma fortgebildet zur Systemspezialistin. Dann bekam sie das Kind und wurde dadurch zum Sozialfall. Ute Sperle ist sauer: "Ich fühle mich ausgeliefert. Das ist einfach so eine Situation, ich hatte einen guten Job vorher. Nur, sage ich jetzt mal, weil ich ein Kind habe, soll ich hier wie ein Mensch dritter Klasse behandelt werden?" Im zuständigen Rathaus findet man das alles nicht so schlimm.

Die Bürgermeisterin von Stuttgart, Gabriele Müller-Trimbusch, ist jedoch folgender Meinung: "Ich glaube, es gibt keine Stadt, die in der vergangenen Jahren trotz Haushaltskonsolidierung so viel für die Kinderbetreuungsmaßnahmen investiert hat."

Auch im ach so familienfreundlichen Bayern stehen für tausend Kinder gerade mal 14 Krippenplätze zur Verfügung. Landshut. Dort gibt es überhaupt keine städtische Einrichtung. Die einzige Krippe ist privat und wird mit lächerlichen 25.000 Mark im Jahr von der Stadt bezuschusst. Ein Platz dort kostet für die Eltern deshalb 1.200 Mark im Monat - zu teuer für die meisten.

Die Bahnangestellte Claudia Hannemann kann sich daher gerade zwei Vormittage Betreuung leisten. Den Rest der Zeit muss sie auf die Minute durchorganisieren. Ein Wettlauf zwischen Oma, Krippe und Arbeit. Abends hetzt der Vater zur Oma, um die Kinder wieder abzuholen - Familienalltag nach der Stechuhr. "Es wird mir nicht leicht gemacht. Also wenn ich nicht meine Mutter hätte, dann könnte ich also das Arbeiten wirklich vergessen." Von der Stadt fühlt sie sich hingegen überhaupt nicht unterstützt. Eine Mutter, die arbeiten will, das ist nicht die heile Familie, wie sie die bayrischen Politiker gern hätten.

Claudia Hannemann: "Die meisten sind halt der Einstellung: Wenn man Kinder hat soll man praktisch nur das brave Hausmütterchen sein."

Und warum gibt das Jugendamt nicht mehr Geld für Kinderkrippen aus? Auf diese Frage weiss Eberhard Prössdorf, Jugendamtsleiter in Landshut, keine richtige Antwort: "Ja, gut, das ist jetzt eine Frage, die ich natürlich nicht so beantworten kann. Liegt sicher auch an der Familienpolitik der bayrischen Staatsregierung, die also sagt: Wir präferieren die Erziehung in der Familie."

Nicht viel besser: das rot-grün regierte Schleswig-Holstein. Für tausend Kinder gibt's statistisch 23 Plätze. Lübeck. Auch sie hatte sich Hoffnung auf einen Krippenplatz gemacht: Nicole Tesmer. Der alte Teufelskreis: alleinerziehend, kein Krippenplatz, kein Job, Sozialhilfe. Deshalb muss sie in eine kleinere Wohnung ziehen. Eine Betreuung für Sohn Ben würde alle Probleme lösen.

Die medizinisch-technische Assistentin erzählt: "Da ich halt im Moment keine Möglichkeit habe, mein Kind unterzubringen - also meine Eltern sind beide noch berufstätig, die fallen also auch aus - da bin ich jetzt auf Sozialhilfe angewiesen im Moment, was mir natürlich überhaupt nicht leicht fällt, weil es wirklich kein Spaß ist, jetzt irgendwie sich da anzustellen und auf Kosten des Staates zu leben. Ich würde einfach gerne arbeiten. Nur - ich kann mein Kind nicht irgendwo auf die Straße stellen, das geht halt nicht. Und da es halt keinen Kindergartenplatz oder Krippenplatz gibt, muss ich halt mich selbst erst mal um ihn kümmern."

Karrierestop, Zukunftsängste, sozialer Abstieg - die Strafe für die Geburt eines Kindes. Und da sitzen sie nun zu Hause, die gut ausgebildeten, am Arbeitsmarkt so dringend benötigten Mütter. Hier wird eine wichtige wirtschaftliche Chance vertan, einfach verschlafen. Oder aber: der Mythos Mutter wirkt weiter fort. Frauen fühlen sich eben doch zu Hause am Herd am wohlsten, und für die Kinder ist es auch das Beste.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.05.2001 | 21:00 Uhr