Teure Rücktritte - Wie ertappte Politiker abkassieren

von Bericht: Thomas Berbner und Andreas Cichowicz

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Schatten eines gehenden Mannes © picture-alliance / scanpix Foto: Gunnar Smoliansky

Wer sich - wie Helmut Kohl - in der Nachfolge Bismarcks sieht, kann die unbequeme Wahrheit natürlich nur als kleinkariert und unangemessen verstehen. Aber es ist eine merkwürdige Verkehrung der Verantwortung, wenn die beim Rechtsbruch ertappten und darüber gestürzten Politiker nun versuchen, die Schuld für die von ihnen verursachten Skandale den Medien zuzuschieben. Eine gewisse Tradition hat das ja. Zum Beispiel hat Oskar Lafontaine schon vor acht Jahren von "Schweinejournalismus" gesprochen und sogar den Vergleich mit der Nazipresse eines Joseph Goebbels nicht gescheut, als die Medien - auch PANORAMA - Unliebsames über ihn berichteten oder auch nur berichten wollten. Schnelle, freiwillige Rücktritte mit klaren Bekenntnissen wären ein Zeichen für die Lebens- und Funktionstüchtigkeit unseres Parlamentarismus - aber sie sind die Ausnahme. Und das stimmt nicht nur mit Blick auf Hessens Ministerpräsidenten Koch.

Wie ertappte Politiker abkassieren
Ein Bericht von 2000 über das mangelnde Unrechtsbewusstsein und den Amtsmissbrauch einiger Politiker.

Über die angeblichen Medien-Opfer, besser: über diejenigen, die sich als solche verstehen und auch noch gut abkassieren können, berichten Thomas Berbner und Andreas Cichowicz.

KOMMENTAR:

Manfred Kanther - ein Mann mit Prinzipien. Als Bundesinnenminister bekämpfte er öffentlichkeitswirksam Geldwäsche und organisierte Kriminalität. Als Parteisoldat stimmte er dagegen zu, dass seine hessische CDU klammheimlich Millionen auf Auslandskonten verschob. Konsequenzen wollte er daraus für sich zunächst nicht ziehen. Als er endlich zurücktrat, beschimpfte er die Medien.

0-Ton

MANFRED KANTHER:

(ehem. Bundesinnenminister, 17. Jan. 2000)

"Sie können es weiter betreiben. Ich habe gestern Abend schon gesagt, dass die Treibjagd zu Ende ist. Ich werde mein Mandat niederlegen, und einen weiteren Erklärungsbedarf habe ich nicht."

KOMMENTAR:

Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler stehen Manfred Kanther im Februar mit dem Übergangsgeld für das Ausscheiden aus dem Bundestag 37.164 Mark zu, danach weiter Pensionen von monatlich 26.800 Mark.

Kanther, einer von vielen, die kassieren, während sie sich gleichzeitig als Opfer darstellen. Die Medienschelte ist ein beliebtes Mittel, mangelndes Unrechtsbewusstsein zu verschleiern - heute wie gestern.

Beispiel: Hans Filbinger, einst CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Als Marinestabsrichter im NS-Unrechtsstaat war er an der Verhängung von Todesurteilen beteiligt. Er gab eines zu, an mehr wollte er sich nicht erinnern. Als PANORAMA damals weitere Todesurteile entdeckte, die nicht mehr vollstreckt wurden, trat er zurück. Von Reue kein Wort, stattdessen:

0-Ton

HANS FILBINGER:

(ehem. Ministerpräsident Baden-Württemberg, 7. Aug. 1978)

"Dies ist die Folge einer Rufmordkampagne, die in dieser Form bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorhanden war."

KOMMENTAR:

Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler stehen Filbinger monatlich ca. 17.660 Mark Pension zu.

Auch sein Nachfolger Lothar Späth stolperte über eine Affäre. Er ließ sich von Unternehmern zum Urlaub einladen, trennte nicht zwischen Amt und Privatem. Daran fand er nichts verkehrt. Zum Sündenbock für seinen Rücktritt machte auch er die Medien.

0-Ton

LOTHAR SPÄTH:

(ehem. Ministerpräsident Baden-Württemberg, 13. Januar 1991)

"Wenn ich keine faire Chance habe, dann kann ich im Grunde nur die Entscheidung treffen, die ich jetzt getroffen habe, nämlich dass ich weder mir noch meiner Familie es nötig habe, nach zwölf Jahren dieser Arbeit dies alles zuzumuten."

KOMMENTAR:

Auch Späth steht nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler eine monatliche Pension von 17.660 Mark zu.

Alle Affären des früheren Bundesverkehrsministers Günther Krause aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die bekanntesten: Raststätten-Affäre, Umzugs-Affäre, Putzfrauen-Affäre. Krause sah darin kein Fehlverhalten. Die Berichte der Medien bezeichnete er in bewährter Manier als Schmutzkampagne und sich als das Opfer. Affären-Krause erhielt bei seinem Rücktritt nicht nur Trost von Bundeskanzler Kohl, ihm stand auch ein sattes Übergangsgeld zu: nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler, verteilt auf 32 Monate, 410.000 Mark. Abzocker ohne Moral. Aber es gibt auch andere.

Sie war eine davon, trat zurück, weil sie die Politik ihrer Partei nicht länger mittragen wollte. Sie hat kein Verständnis für Politiker, die die Öffentlichkeit belügen.

0-Ton

SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER:

(ehem. Bundesjustizministerin)

"Die Beziehung zu einem Amt, Minister oder Ministerpräsident, ist hier also zu einer vollkommenen Identifizierung geworden. Das heißt, die Betroffenen können sich überhaupt nicht vorstellen, dass wegen aus ihrer Sicht vielleicht Peanuts sie nun von diesem Amt zurücktreten müssten. Und ich denke, dass es deutlich macht, dass einfach die notwendige Unabhängigkeit fehlt."

KOMMENTAR:

Auch er handelte sauber. Hamburgs Erster Bürgermeister Henning Vorscherau zog Konsequenzen aus einem schlechten Wahlergebnis und trat ab, obwohl er hätte regieren können. Voscherau über Berufskollegen, die ihr Amt missbrauchen:

0-Ton

HENNING VOSCHERAU:

(ehem. Erster Bürgermeister Hamburg)

"Ein Politiker sollte wissen, dass die Demokratie auf Zeit Herrschaftsmacht verleiht, dass diese Herrschaft aber Dienst ist, und zwar Dienst an der Allgemeinheit und nicht Dienst an seinen Privatinteressen."

KOMMENTAR:

Niedersachsens Ministerpräsident Glogowski verquickte Privates und Dienstliches, flog auf Kosten des Steuerzahlers in Urlaub, ließ Firmen einen Teil seiner Hochzeitsfeier bezahlen. Dass Journalisten nachhakten, fand er anstößig, sein Verhalten nicht. Schuld waren die Medien, keine Rede von Fehlern.

0-Ton

GERHARD GLOGOWSKI:

(ehem. Ministerpräsident Niedersachsen, 26. Nov. 1999)

"Meine persönliche Integrität und Ehre und auch meine Familie haben unter diesen unberechtigten und unbewiesenen Vorwürfen gelitten."

KOMMENTAR:

Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler stehen Glogowski drei Monate lang 26.392 Mark zu, danach an monatlicher Pension und Diäten, solange er im Landtag bleibt, 16.834 Mark.

SPD-Minister Schleusser bestritt in einem Interview, seine Freundin sei bei zwei Dienstflügen dabei gewesen. Für seine Lüge gegenüber Journalisten hatte er eine einfache Begründung: "Mein Privatleben geht diese Bande nichts an." Schleusser gab nicht auf, weil er die Öffentlichkeit belogen hatte, seinen Chef ließ er andere Rücktrittsgründe verlesen:

0-Ton

WOLFGANG CLEMENT:

(Ministerpräsident NRW, 26. Jan. 2000)

"Ich werde und kann nicht zulassen, dass mein Privatleben weiter in dieser Form in die Öffentlichkeit gezerrt wird und damit Personen geschädigt werden, denen ich dies nicht zumuten kann und will."

KOMMENTAR:

Schleusser stehen nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler 27.946 Mark zu, drei Monate lang, und danach 14.700 Mark monatliche Pension.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Manfred Kanther hat uns übrigens gestern in der Redaktion angerufen, um uns darauf hinzuweisen, dass er die vom Bund der Steuerzahler veröffentlichten Angaben für unsinnig hält. Er wisse zwar noch nicht, wieviel er tatsächlich erhalten werde, nur diese Zahlen seien auf jeden Fall falsch. Außerdem erhielte er kein Übergangsgeld, und eigentlich ginge uns das ja auch überhaupt nichts an. Vor der Kamera wollte er uns das nicht sagen, aber ich denke, wir können da ganz beruhigt sein: Gewiss wird auch er nicht zum Sozialfall.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.02.2000 | 21:15 Uhr