Verwöhnt und undankbar - Was alte Menschen über junge denken

von Bericht: Ilka Brecht und Andreas Lange

Anmoderation

CHRISTOPH LÜTGERT:

Willkommen bei PANORAMA.

Einen Sturm der Entrüstung haben wir mit einem Beitrag in der vorigen Ausgabe vor drei Wochen ausgelöst. Wir hatten aufgezeigt, dass es den Älteren in unserem Lande heute so gut wie geht wie keiner Senioren-Generation zuvor, dass Armut immer weniger eine Last der Alten, sondern immer mehr eine Belastung für jüngere Menschen ist. Tausende Rentner hielten in wütenden Anrufen und e-mails gegen. Den Jungen gehe es viel zu gut, die wollten doch oft gar nichts mehr leisten.

Generationenkonflikt: Was alte Menschen über junge denken
Mit Blick auf die Alterssicherung bahnt sich 2000 ein Generationenkonflikt an. Kurt Biedenköpfer kommentiert die Thematik.

Ilka Brecht und Andreas Lange haben einige dieser Rentner besucht. Ihr Bericht ein Protokoll des Generationenkonflikts.

KOMMENTAR:

Ein geschäftiger Nachmittag im Westerwald wie viele für den rüstigen Rentner Edmund Juhn. Der 74-jährige und seine Frau Helma genießen ihr Rentnerleben, und sie haben es sich verdient. Die beiden gehören zur Aufbaugeneration in Deutschland. Sogar das große Haus hat Edmund Juhn, als er noch Maurer war, eigenhändig aufgebaut, immer nach Feierabend oder am Wochenende.

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(Rentner)

EDMUND JUHN:

"Gar nichts, Freizeit, da wurde gearbeitet von morgens bis abends."

HELMA JUHN:

(Rentnerin)

"Die Arbeit und dass das alles richtig wird."

KOMMENTAR:

Fleiß und Sparsamkeit - Werte, die die Jungen nicht mehr haben, die allein ihre Generation charakterisieren, meinen viele Ältere.

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HORST SCHLEIFER:

(Rentner)

"Und wir haben Deutschland bestimmt aufgebaut, denn es war damals alles kaputt, und wir konnten nicht mit 35, 38, 40 Stunden - wir haben 60 Stunden gearbeitet, 70 Stunden, die uns aber gar nicht bezahlt worden sind. Wir haben Monatslohn bekommen, und dann musste eben gearbeitet werden, bis alles erledigt war."

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HORST ROMAN:

(Rentner)

"Also, die Knochen sind auf Deutsch gesagt kaputt, und verschiedene andere gesundheitliche Probleme hat man auch. Und das ist meines Erachtens nach also dann doch gerechtfertigt, dass man wenigstens das noch kriegt, dass das noch übrig bleibt, was man jetzt hat."

KOMMENTAR:

Eine große Leistung, harte Jahre - mit einem Vorteil: Die ältere Generation wurde gebraucht, die heute Jüngeren haben dieses Gefühl oft nicht mehr.

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JÜRGEN WOLF:

(Professor für Alternswissenschaft)

"Es geht nicht darum, aus Trümmern etwas überhaupt ins Laufen zu bringen, sondern gewissermaßen den laufenden Wagen am Laufen zu halten. Und die Bedingungen, auf den Wagen aufzusteigen und sozusagen ihn mit zu steuern, die sind sehr viel ungünstiger geworden. Also zunehmende Arbeitslosigkeit, Brüche in den Berufskarrieren und Ähnliches haben in letzter Zeit und in den letzten Jahren eben gerade dazu geführt, dass die Chancen der Jüngern, Leistungen zu erbringen, nicht in gleicher Weise vorhanden sind, wie das bei der älteren Generation damals der Fall war."

KOMMENTAR:

Die Jüngeren mit weniger Chancen sogar schlechter gestellt als die Alten? Genau das sehen viele Ältere ganz anders: Die Jungen seien verwöhnt, und wenn sie klagen, undankbar.

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HILDEGARD FURER:

(Rentnerin)

"Die haben ja noch nie eine ernste Lebenssituation durchgemacht, sondern ihr Leben ist immer ziemlich sorgenfrei, sehr sorgenfrei konnten sie ihr Leben führen."

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MARGARETE SCHLEIFER:

(Rentnerin)

"Die können sich tolle Urlaubsreisen leisten, die können sich vielleicht schon ein Haus kaufen und verschiedene tolle Sachen, tolles Auto und vielleicht ein tolles Boot."

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EDMUND JUHN:

(Rentner)

"Hier auf dem Platz sind sie dann am Hockeyspielen. Jetzt ist eine Zeitlang wieder Ruhe, und dann kommen sie wieder. Und da hab` ich gesagt, wie alt seid ihr denn? 17, der andere war 18. Dann wissen sie noch nicht, welchen Beruf sie lernen wollen. Dass ich damals schon Geselle war und war schon im Krieg, wie ich so alt war. Auf die Idee kommen die gar nicht. Früher musste man mit 14 schon ran, und heute - mit 18 wissen sie gar nicht."

HELMA JUHN:

"Da haben sie nur den Führerschein im Kopf."

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JÜRGEN WOLF:

(Professor für Alternswissenschaft)

"Die Jugendlichen - in vielen Jugendstudien, wenn sie befragt werden, was ihre existenziellen Sorgen, ihre Zukunftssorgen sind, dann ist das die Arbeitslosigkeit. Es wird immer so getan, als würden die nur in den Tag hinein leben, aber sie sehen das als eine sehr ernste Sache, und sie wollen auch arbeiten und entsprechend die Leistung erbringen. Und es ist sicherlich - ja, es ist nicht fair, ihnen dann zum Vorwurf zu machen: Ihr leistet aber nichts, wenn dieser Zugang doch deutlich erschwert worden ist."

KOMMENTAR:

Bei Familie Koch sind die Fronten nicht verhärtet. Der Vater Alleinverdiener, die Mutter Hausfrau. Der Generationenvertrag, bei dem die Jungen die Renten der Alten zahlen, hier funktioniert er umgekehrt: Die Großeltern unterstützen Kinder und vier Enkel.

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GABRIELE KOCH:

(Hausfrau)

"Es reicht auch hinten und vorne nicht. Wenn nicht also Mutter, Großmutter und Schwiegereltern immer wieder zuhelfen und immer wieder Löcher stopfen würden, wir würden überhaupt nicht über die Runden kommen. Es funktioniert nicht."

KOMMENTAR:

Vier Generationen an einem Tisch. Kaffeebesuch von Großmutter und Urgroßmutter. Beide erhalten eine Rente von je 2.200 Mark. Damit haben sie mehr zur Verfügung als ihre Kinder.

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ELSA CURT:

(Großmutter)

"Die nächste Generation kann einem nun wirklich leid tun. Also bei uns ist es, wenn wir zusammen sind - wir sind grade noch so reingekommen in das Loch da, dass unsere Rente sicher ist und dass wir grade noch ein schönes Leben haben, vielleicht haben wir noch ein paar schöne Jahre vor uns."

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GERTRUD KUNZENDORF:

(Urgroßmutter)

"Leider Gottes sind heut so viele Arbeitslose, daran hängt es. Wenn mehr Arbeit wäre, dass die Leute von der Straße kämen, dass sie wieder richtig Arbeit hätten, dann würden sie auch einzahlen, dann würde das auch wieder alles flitschen, wie man sich das vorgestellt hat. So war es ja eigentllich gedacht, dass die folgende Generation immer für die wieder arbeiten muss. Aber leider ist vieles anders geworden."

KOMMENTAR:

Während in Familien oft Verständnis füreinander herrscht, streiten die Generationen, sobald es anonym wird. Gerade das in Deutschland praktizierte Umlageverfahren, bei dem die Jungen für die Alten zahlen, erweckt Unbehagen. Das klinge ja nach Almosen, denn, so glauben viele Alte, es sei doch ihr Geld. Und viele wissen offenbar auch nicht, dass die Jungen tatsächlich für sie bezahlen.

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HORST SCHLEIFER:

(Rentner)

"Nein, sie zahlen ja meine Rente nicht, ich hab` ja meinen Anspruch selber erworben."

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HILDEGARD FURER:

(Rentnerin)

"Weil wir ja selbst eingezahlt haben. Und man hätte unser Geld schon von Anfang an besser treuhänderisch verwalten sollen, dann wäre es nicht so weit gekommen, dass die Rentenkassen jetzt angeblich leer sind."

KOMMENTAR:

Und so bestellt Rentnerehepaar Juhn weiter den Garten, und die Jüngeren fürchten sich weiter vor ihrer Rentnerzukunft - mit ungewissem Ausgang für alle.

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JÜRGEN WOLF:

(Professor für Alternswissenschaft)

"Bisher war die Rentenpolitik ja immer eine Politik des - mal unfreundlich gesagt - Durchwurstelns, und ich denke, das wird sicherlich nicht gehen. Wenn das weiter versucht würde, wäre sicher die Frage der Renten eine der Fragen mit dem größten sozialen Zündstoff.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 06.04.2000 | 21:00 Uhr