Zonen der Angst - Leben mit dem Naziterror in Deutschland

von Ariane Reimers, Volker Steinhoff

Die Oberlausitz, ganz weit im Osten, gerade noch Deutschland. Wer verstehen will, wie die Nazis einer ganzen Region ihren Stempel aufdrücken konnten, muss hierher fahren. Widerspruch haben die Rechten niedergeprügelt, durch Morddrohungen erstickt.

Zonen der Angst - Leben mit dem Naziterror in Deutschland
In Deutschland gab es im Jahr 2000 Regionen, in denen Ausländer oder Andersdenkende von Nazis zusammengeschlagen wurden.

Drei Jugendliche aus dem kleinen Dorf Schönbach sind ziemlich normal, zumindest wären sie das fast überall in Deutschland. Doch nicht in der Oberlausitz. Vor einem Jahr gründeten sie einen Jugendclub, ohne Erlaubnis der Rechten. Das blieb davon übrig. Erst mehrere brutale Überfälle, verbunden mit Drohungen, schließlich ein Brandanschlag. Das Feuer vernichtete den Jugendclub vollständig. Seitdem haben sie keinen Treffpunkt mehr. Die Nazis lassen bis heute nicht von ihnen ab.

Ein Jugendlicher berichtet: "Also wir werden weiter gejagt halt, egal wo wir uns treffen. Wir werden richtig gesucht. Und ich würde schon sagen, dass sie da irgendwie das schon leider hingekriegt haben, dass es so ist, dass hier kein anderes Denken eine Chance hat."

Alle hier kennen solche Fälle. Fast keiner traut sich vor die Kamera - bis auf einen Tischler: Bernd Stracke, er kennt die Opfer.

Bernd Stracke: "Die hören andere Musik und machen andere Dinge und lassen sich nicht involvieren von diesen dominanteren Gruppen. Und das reicht schon. Linke gibt es hier nicht und Ausländer auch nicht."

Noch ein Opfer: Tina. Vor einem Jahr zertrümmerten Nazis ihren Schädel. Nur durch Glück überlebte sie. Einziger Grund für die Tat: Sie war nicht rechtsradikal.

Tina erinnert sich: "Es gab doch Zeugen, die berichtet haben, dass sie mich mit einem Baseball-Schläger niedergeschlagen haben und dann noch mal mir ins Gesicht getreten haben. Und ich weiß im Prinzip bloß noch danach, wo ich dann schon den Schlag ins Gesicht bekommen hatte, dass sie da mich noch beschimpft hatten: Zecke, Schlampe, ihr seid doch Dreck, und gespuckt hatten. Danach sind sie plötzlich verschwunden. Also wir lagen im Prinzip noch da."

Für Jürgen Ebert von der Staatsanwaltschaft in Görlitz ist das massive Gewalt, die gemeinsam begangen wurde. Die Gewalt sei organisiert begangen worden, und letztlich sei es geplante Gewalt gewesen. Die Täter hätten auch alle ein geordnetes Elternhaus. Und dieses landläufige Klischee, aus sozialer Not abgeglitten in die rechte Ecke, das sei so nicht zutreffend.

Kittlitz, 3.000 Einwohner. Hier wohnen viele dieser braunen Gewalttäter. Auf den ersten Blick sieht alles normal aus. Doch bei näherem Hinsehen: immer nur eine Partei. Das scheint hier fast keinen zu stören. Der Bürgermeister will von einem Problem mit Rechtsradikalen nichts wissen. Er meint, dass viele Sachen hochstilisiert werden und dass sie gleich mit rechtsextremen Jugendlichen in Verbindung gebracht werden.

Auf die Frage, wer in Kittlitz und in den Gemeinden in der Gegend am meisten Werbung von den Parteien mache, antwortet er: "Ja, wenn Sie halt diese Aufkleber sehen und diese Postwurfsendungen, ist hier doch dann die NPD halt hier die, die mit am meisten Werbung macht."

Ein paar Meter vom Rathaus: die Schule von Kittlitz. Von dort kommen viele der braunen Gewalttäter. Die NPD hat ihre Parteisoldaten geschickt. Sagen dürfen sie nichts. Motto: Präsenz zeigen, einschüchtern.

Die Schulleiterin hat nichts von den Nazis mitbekommen. In ihrer Schule sei alles in Ordnung, betont sie, keine rechte Gewalt, wenn überhaupt, passiere alles nach Unterrichtsschluss. Inzwischen haben sich die Rechten verzogen.

Die Kontakte der Schüler zu den Nazis, ihre täglichen Besuche von NPD-Treffs - Normalzustand in Kittlitz? Zumindest für viele der Eltern.

Die Schulleiterin Sabine Nocke sieht das so: "Meistens ist es so, dass sie eben informiert sind und dass sie das wissen. Und manche sagen sogar: Ja, und wir sind auch selber dort gewesen, wir haben uns das angeguckt, und da ist nichts dabei, das ist in Ordnung so."

Und so denken hier viele der Eltern. Nur ein paar Schüler machen nicht mit. Dafür werden sie im ganzen Dorf angefeindet.

Ein Schüler erzählt: "Wir sind halt Juden, weil früher auch Juden die Bösen waren. Und wir sind ja jetzt auch wieder die Bösen, und das läßt die einfach darauf schließen, dass wir Juden sind."

Mit der Polizei durch Kittlitz. Dort gibt es gleich mehrere rechtsradikale Jugendclubs für die Schüler, etwa den im Ortsteil Glossen. Von diesem Club sollen einige der brutalsten Gewalttäter kommen. Tagsüber ist keiner da, alles verrammelt.

Laut Jürgen Meyer von der Polizei in Löbau kann man aber abends beruhigt durch Glossen laufen. Er ist überzeugt, dass nichts passiert.

Abends ein Versuch ohne Polizei: Es bleibt nur die Flucht. Mit den Nazis ist nicht zu spaßen, das weiß jeder hier, der schon mal das Sieg-Heil-Gebrülle gehört hat. Zum Glossen-Club nur Angst und Schweigen bei den Kittlitzern. Die Verantwortlichen hingegen spielen die Ahnungslosen.

Für Uwe Horbaschk von der Polizeidirektion in Görlitz ist das kein Treffpunkt von Rechtsextremisten, aber auch kein Hort von Gewaltkriminalität. Und auch der Bürgermeister kann nicht feststellen, dass dort irgendwie rechtsextreme Leute tätig sind.

Ahnungslosigkeit oder bewusste Vertuschung? Der Verfassungsschutz in Dresden kennt den Glossen-Club seit langem. Reinhard Boos erklärt: "Der Jugendclub Glossen ist über Kittlitz und Glossen hinaus von Bedeutung. Er hat eine Bedeutung für die gesamte regionale rechtsextremistische Szene. Es bestehen Kontakte zu anderen Gruppen und Parteien."

Davon wollen die Verantwortlichen vor Ort nie gehört haben, so wie die meisten Bewohner. Sie schweigen lieber dazu, dass hier ein landesweit bekannter Nazi-Club steht.

Nach Aussage des Bürgermeisters hat die Masse, mit denen er sich unterhalten habe, dort keine Angst. Über die anderen könne er sich kein Urteil erlauben, weil die Leute noch nicht an ihn herrangetragen hätten, dass sie Angst haben.

Schwer zu glauben, denn fast jeder im Ort weiß, was der kirchlichen Sozialarbeiterin passiert ist. Kaum hatte sie einen mobilen Jugendclub vor der Schule aufgebaut, bekam sie Besuch von Rechtsradikalen.

Die ehemalige Sozialarbeiterin Annette Strietzel: "Es fiel so ein Satz wie: Mit den Juden damals war eine Entlausung, und: Wo ist denn dein Gott, wenn wir uns dich jetzt mal vornehmen?! Es flog halt draußen noch ein Stuhl durch die Landschaft, und dann hab' ich erstmal zugemacht. Es war halt auch so, es war das erste Mal, dass ich auch wirklich richtig Angst hatte, weil es war ernst gemeint, was sie sagten."

Erst die Drohung, wenig später wurde ihr mobiler Jugendclub zerstört.

Annette Strietzel weiter: "Ich hab' das erste Mal verstanden, weshalb es zur Hitlerzeit einfach auch so weit kommen konnte, weil keiner was hörte, keiner was sagte und keiner was sah. Und irgendwo hab' ich da das erste Mal verstanden, wie ein System so weit gehen kann. Und da hatte ich auch das erste Mal das Gefühl, es kann auch wieder mal so weit kommen."

Die wenigen kritischen Einwohner von Kittlitz sind eingeschüchtert, erhalten Morddrohungen. Selbst ein alteingesessener Bürger wird mundtot gemacht.

Bernd Stracke erzählt, dass ganz junge Leute vorbeilaufen, ihn als Juden oder linke Zecke beschimpfen, und dass sie ja auch das Gefühl haben, das machen zu können, weil sie sich irgendwie sicher fühlen.

Einige Kilometer weiter: Zittau, 29.000 Einwohner. Auch hier das gleiche Bild, auch hier ein überregional bekannter Jugendclub. Die meisten der Jugendlichen gehören zum sogenannten NJB, dem Nationalen Jugendblock. Die Verantwortlichen wollen mal wieder nichts wissen.

Uwe Horbaschk: "Auch diese Einrichtung ist genauso wie in Kittlitz kein Hort der Gewalt und auch kein Hort rechtsorientierten Gedankengutes."

Dabei steht im für jedermann zugänglichen Verfassungsschutzbericht seit Jahren das genaue Gegenteil.

Reinhard Boos vom Verfassungsschutz in Sachsen: "Diesen Jugendclub, also den NJB, der diesen Jugendclub nutzt, den schätzen wir als neo-nationalsozialistische Organisation ein, mit ungefähr zwanzig Mitgliedern, ständigen Mitgliedern, es kommen natürlich laufend Sympathisanten da rein. Er hat auch eine Vernetzungsfunktion für Rechtsextremisten in der Region und organisiert zum Beispiel Aktivitäten wie Demonstrationen, und das auch gemeinsam mit der NPD."

Die örtliche Polizei bleibt dabei: keine Nazis - und versichert, man könne den Jugendclub problemlos besuchen.

Uwe Horbaschk geht davon aus, dass man dort als Bürger hingehen könnte, sich natürlich an die Gepflogenheiten des dortigen Clublebens halten müsste, also die Hausordnung anerkennen müsste."

Also wieder ein Nachteinsatz: Besuch beim Jugendclub - aber unerwünscht.

Am nächsten Morgen zum Bürgermeister von Zittau. Ein Jugendclub, den man nicht betreten darf, der Neonazis als Operationszentrale dient?

Auf die Frage, ob der Jugendclub wie andere Jugendclubs von der Stadt finanziert werde, antwortet der Jürgen Kloss, der CDU-Bürgermeister von Zittau: "Nein, kein Pfennig ist bis jetzt von der Stadt da reingeflossen."

Ferner erklärt er, dass das Haus der Wohnbaugesellschaft gehöre, der städtischen, ganz normal vermietet sei, und Miete dafür gezahlt werde.

Die Miete beträgt 80 Mark für ein Riesenhaus in Innenstadtnähe - das bestätigt Jürgen Kloos. Man könne dabei auch nicht von Förderung sprechen.

80 Mark Miete für ein großes Haus in bester Lage. Der Freundschaftspreis sei natürlich nicht als Förderung zu verstehen. Bleiben noch die Zuschüsse des Landkreises. Selbst eine Sonnenwendfeier der Nazis wurde gefördert.

Drei Orte aus der Oberlausitz - es gäbe weitere zu nennen, auch anderswo. Die Neonazis haben sich festgesetzt. Die Verantwortlichen wollen davon nichts wissen. Jetzt haben sie ein neues Argument: die Zahl der rechtsradikalen Gewalttaten sei zurückgegangen. Das stimmt tatsächlich, doch kein Grund zur Entwarnung.

Reinhard Boos: "Wenn ich einmal einen zusammengeschlagen habe, brauche ich ihn nicht unbedingt zum zweitenmal zusammenschlagen, es reicht, wenn ich dann sage: Ich könnte ja zuschlagen. Also es gibt insbesondere im Ort Kittlitz eine schon sehr deutliche Dominanz und Einflussnahme von rechtsextremistischen Jugendlichen."

Jürgen Ebert: "Die Gewalttaten haben ja ein Ziel: zunächst erstmal das Opfer der Gewalt konkret zu treffen und andererseits natürlich in die Gesellschaft zu wirken. Und wenn eben die Gefahr besteht, dass die Rechten jeden - wie man so sagt - "jugendlich" anmachen, der nicht in dieses Bild passt in gewissen Bereichen, besteht auch die Gefahr, dass sich national befreite Zonen herausbilden."

Das wären Zonen, in denen gewalttätige Nazis mehr zu sagen hätten als gewählte Bürgermeister und Behörden, in denen es Meinungsfreiheit nur noch für Braune gäbe. In der Oberlausitz ist der Weg dorthin nicht mehr weit.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 02.11.2000 | 21:45 Uhr