Kaputte Autos, veraltete Technik - Gefährlicher Sparkurs bei der Polizei

von Thomas Berndt, Gita Ekberg

Jeder Berliner Polizist hat sie im Holster, die Pistole P-6. Nur - wie man damit überhaupt schießt, das trainieren die Beamten äußerst selten, denn an Munition muss in der Hauptstadt gespart werden.

Kaputte Autos, veraltete Technik - Sparkurs bei der Polizei
Ein Bericht aus dem Jahr 2000 über den Sparkurs bei der Polizei, der zu Mängeln bei der Ausrüstung der Beamten geführt.

Munitionsmangel ist ein Grund, warum auch mit der Maschinenpistole selten geübt wird, obwohl diese gefährliche Waffe in jedem Streifenwagen liegt. Ein Schutzpolizist absolviert im Jahr etwa 30 Sekunden Schießtraining.

Der Berliner Polizeibeamte Hans Boy spricht offen aus, was er darüber denkt: "Nach meiner Meinung reicht es nicht aus im Ernstfall, weil wir im Jahr zweimal - sprich: das erste Halbjahr fünf Schuss abgeben, Einzelfeuer, und im zweiten Halbjahr zehn Schuss in kurzen Feuerstößen. Und das sind also fünfzehn Schuss in einem Jahr, und das ist also für meine Begriffe zu wenig."

Auch die Gewerkschaft der Polizei weiß um diese Situation. Eberhard Schönberg: "In jeder Situation - das kann ich aus eigener Erfahrung sagen - , in der man diese Schusswaffe in die Hand nimmt, aus welchen Gründen auch immer, um gewappnet zu sein oder eventuellen Schusswaffengebrauch anzudrohen oder auch wirklich zu schießen, ist eine ungeheure Stress-Situation. Und wenn dann die Ausbildung nicht sitzt, weil er es nicht im Schlaf eigentlich beherrscht, alles, was da zu passieren hat, dann kann es sehr gefährlich werden und wird zum Risiko für den Polizisten, aber auch vielleicht für den anderen."

Ortswechsel: Saarbrücken, Inspektion Mitte. Eine ganz normale Dienststube im Saarland. Mit der Sicherheit der Beamten ist es hier nicht weit her. Für 150 Polizisten gibt es gerade mal sieben Schutzwesten. Im Angebot auch ein Modell, polizeiintern als Ritterrüstung verspottet. Es ist 30 Kilogramm schwer, die Füllung aus Blei- und Keramikplatten. Unpraktisch und dazu noch gefährlich.

Boris Pfeiffer, einer der Beamten in Sarrbrücken, demonstriert, dass er im Ernstfall nur schwer an seine Waffe herankommen würde: "Wenn ich jetzt das Holster öffne, sehen Sie, dass die Waffe unter dem Rand der Schussweste sitzt. Das heißt, bei einem schnellen Zielen in einer Notsituation würde ich sehr wahrscheinlich mit der Waffe an der Schutzweste hängen bleiben." Pfeiffer gibt zu, dass er damit unter Umständen in eine problematische Situation geraten könnte.

Immerhin - neuerdings gibt es auch einige sportlichere Modelle, und davon will das Innenministerium im nächsten Jahr noch ein paar dazu spendieren. Insgesamt wären es dann im Saarland 360 Schutzwesten für 2.700 Polizisten. Nicht gerade besonders fürsorglich. Noch dazu wurde am grünen Tisch entschieden, dass die Westen nur eine Größe für alle haben werden.

Bei Pfeiffer reicht die Weste nur kurz über Brustkorb: "Ja, diese Weste ist in Einheitsgrößen beschafft worden. Wie man sieht, ich bin von etwas größerer Statur, der Bauchbereich ist eigentlich komplett frei bei mir. Die Weste ist für mich eigentlich nicht richtig geeignet." Bauch frei, egal, andere Westen gibt's halt nicht im Saarland.

Und auch die Technik ist eigentlich ein Fall fürs Polizeimuseum. Die Einsatzzentrale erinnert an die Raumpatrouille Orion. Die Leitungen sind marode, da kann schon mal ein Notruf verloren gehen.

In einer Hinterstube allerdings wird eifrig getüftelt, an der Computervernetzung für das ganze Saarland. Dipol heißt der Geniestreich, Kostenpunkt 15 Millionen Mark, Entwicklungsdauer bislang fast zehn Jahre. Vorläufige Bilanz: Das Ganze funktioniert noch immer nicht. Ein Beispiel ist die Unfallaufnahme, der ganz normale Ernstfall sozusagen.

Peter Mattinger von der Saarbrückener Polizei versucht sich daran - er scheitert zunächst: "Das Programm ist abgestürzt, ich muss das Programm jetzt noch mal neu aufrufen." Im Alltag bedeute das eine immense zeitliche Verzögerung - die bei der täglichen Arbeit allerdings nicht wegzudenken sei. Mattinger ist genervt. Er findet zehn Jahre Entwicklung eine reichlich lange Zeit. Zum Glück gibt's ja noch die gute alte Schreibmaschine. Und überhaupt: zumindest steht hier schon mal ein Computer im Büro - nicht selbstverständlich.

Wiesbaden, Einkaufen im Pro-Markt. Nicht ungewöhnlich, was hier zu beobachten ist: Polizeibeamte kaufen Sonderangebote, Computer, Drucker, Monitore, alles privat bezahlt aus der eigenen Kasse - alles für den Dienst auf dem Revier. Das CDU-geführte Innenministerium gibt sich ahnungslos. Udo Cords, ein Sprecher der Behörde, ist skeptisch:

"Was Sie mir sagen - dass Polizeibeamte private Computer benutzen - das glaube ich nicht. Wenn, tun sie das nicht mit Zustimmung des hiesigen Innenministeriums."

Andere Rechner im Wiesbadener Polizeipräsidium hat das Innenministerium ebenfalls nicht bezahlt. Sie wurden privat besorgt - wie die meisten Computer. Und wenn das private Geld nicht reicht, bedient man sich halt second-hand vom Schrottplatz. Frank Anders, Polizist in Wiesbaden, erklärt:

"Wir haben hier eine Schrottfirma, die Städtischen Müllwerke, und die haben auch Monitore, wenn man mit denen spricht, sie sind auch dankbar, einige. Vielleicht kann man ja da zugreifen." Zudem gebe es Sperrmüllanzeigen, meint Anders. Da könne man einen durchaus preiswerten Computer erwerben. Für die Zwecke seiner Dienststelle reiche das.

Während die einen auf dem Schrottplatz wühlen müssen, erproben die Frankfurter Kollegen die Computer-Moderne. Das Meisterwerk heißt Hepolas. Ergebnis: Acht Jahre Entwicklungszeit, über 100 Millionen Mark an Kosten und reihenweise Abstürze. Die Drucker passen nicht zum System. In zwei Jahren wird damit das ganze Land beglückt - Gott sei Dank nur Hessen.

Auch bei der sogenannten TÜ, der Telefonüberwachung, sieht's kaum besser aus. Veraltete und defekte Geräte im Abhörraum und dazu noch viel zu wenige. Ist eine Telefonüberwachung zum Beispiel im Bereich schwerer Kriminalität genehmigt, muss der Beamte sich erst einmal auf einer Liste eintragen und dann geduldig warten.

Heinz Homeyer von der Polizei-Gewerkschaft in Frankfurt erzählt, dass es teilweise bis zu einem halben Jahr dauern könne, bis er eine Einheit zur Verfügung gestellt bekommt, die diese TÜ-Maßnahme mit ihm durchführt. In dieser Zeit sei die Maßnahme dann oft allerdings auch schon wieder hinfällig. Homeyer: "Das ist sehr frustrierend. Und mancher Kollege, der sagt sich dann, also bevor ich eine TÜ-Maßnahme überhaupt beantrage, mache ich es erst gar nicht."

Berlin, zurück zur Hauptstadtpolizei. Die akuten Probleme hier sind zur Zeit etwas rustikaler. Der Fahrzeugpark ist marode, völlig überaltert. Dieser Opel-Blitz, Baujahr 1972, ist kein Ausstellungsstück, sondern aktuell im Einsatz, sofern es die Technik zulässt.

Sven Grossmann von der Polizei in der Hauptstadt über die Mängel des Oldtimers:

"Wir haben jetzt ziemlich häufig Getriebeschäden an diesem Fahrzeug. Die Reifen, die überaltert gewesen sind, wurden auf dem Weltmarkt ausgeschrieben, weil sie in Deutschland nicht mehr produziert worden sind, und wurden dann für eine wesentlich höhere Summe als normal angeschafft. Ja, die Fahrzeuge wären im Polizeimuseum ganz bestimmt hoch begehrt, aber sie sind halt eingesetzt im täglichen Dienst und stehen deswegen leider nicht zur Verfügung für die polizeihistorische Sammlung."

Die Altautos der Berliner Polizei. Gerade überlegt man, ob das Leasen von Neuwagen nicht doch günstiger wäre. Denn Tatsache ist: Zur Zeit fehlen die Autos auf der Straße bei der Jagd auf Schwerverbrecher.

Für Eberhard Schönberg von der Berliner Polizei-Gewerkschaft sind die Auswirkungen klar: "In einem polizeiinternen Papier heißt es, dass in 124 Tagen im Jahr Observationsaufträge nicht ordentlich abgearbeitet werden konnten, weil für die Kollegen nicht genügend Fahrzeuge zur Verfügung standen. Also hier wird wirklich im Bereich der Schwerstkriminalität dann gefuscht, weil gefuscht werden muss."

Klaus Karau, Chef der Berliner Polizeidirektion 5 ist sich sicher, dass Verbrecher im Zweifelsfall immer besser ausgerüstet sind als seine Beamten: "Da kann ich Ihnen sagen, da gibt es keine Waffengleichheit. die Waffengleichheit ist nicht mehr vorhanden. Einige behaupten ja schon, der Kampf gegen das Verbrechen wäre verloren. Diese Auffassung teile ich nicht, aber eine Waffengleichheit gibt es da nicht, jedenfalls nicht mit den finanziellen Möglichkeiten, die wir hier haben."

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Das Erste | Panorama | 02.11.2000 | 21:45 Uhr