Geliebt, gehetzt, getötet - Wenn aus Liebe ein Verbrechen wird

von Bericht: Ilka Brecht und Susanne Schumacher

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Stellen Sie sich bitte folgendes vor: Sie stehen im Hausflur und merken: Er ist wieder da, irgendwo im Dunkeln. Sie kennen seinen Schritt, seinen Geruch, sie spüren seinen Atem. Sie fliehen, zurück in die eigene Wohnung. Er ruft an, bis zu zwanzig Mal am Tag, oft auch nachts. Er schreibt Briefe, schickt Rosen, er droht mit Schlägen, mit dem Tod. Ein Alptraum. Diese Menschen sind oft zutiefst Enttäuschte, Verlassene, Menschen, deren Liebe nicht erwidert wird. Sie können nicht loslassen, nicht mit Ablehnung umgehen. Sie verfolgen das Opfer ihrer Begierde, wollen Aufmerksamkeit, auch Rache. In den USA hat man dafür einen Begriff gefunden: "stalking" - übersetzt etwa so viel wie "sich heranschleichen". Bei uns beginnt man, sich auf solche Fälle einzustellen, denn auch hier gibt es offensichtlich immer mehr Menschen, deren Zuneigung zum Wahn geworden ist.

Stalking: Wenn aus Liebe ein Verbrechen wird
Sie kennen seinen Schritt, spüren seinen Atem. Er verfolgt sie bis in die eigene Wohnung. Ruft an, auch nachts.

Vom Psychoterror bis zum Mord - von Ilka Brecht und Susanne Schumacher.

KOMMENTAR:

Er verfolgte sie, zerstach immer wieder ihre Autoreifen, stand ständig vor der Wohnung. So machte ein Studienkollege Birgit Großmann das Leben zur Hölle, nur, weil sie eine lose Verabredung zum Sport nicht eingehalten hatte.

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BIRGIT GROSSMANN:

(Stalking-Opfer)

"Dann ging es weiter, dass er später mutiger wurde und dann auch tätlich wurde, also mir auflauerte, präsent war. Er verfolgte mich zu meiner Freundin, zu meinen Freunden. Letztendlich steigerte sich das dann so weit, dass er einen Freund von mir auf offener Straße anfuhr, vorsätzlich und auch wiederholt. Das Ganze ging dann drei Jahre lang."

KOMMENTAR:

"Stalking" heißt das in Amerika, "sich an die Beute heranschleichen" - ein Begriff aus der Jagd und in den USA längst ein Straftatbestand. Über die Prominenten ist das Problem dort öffentlich geworden, denn fast jeder Star hat einen Stalker, einen Verfolger.

Madonna: Ein fanatischer Verehrer drohte, ihr die Kehle aufzuschlitzen, wenn sie ihn nicht heiraten würde.

John Lennon: Er starb durch die Kugeln eines psychisch kranken Fans, der schon jahrelang auf ihn fixiert war.

Jodie Foster: Ihr Stalker schrieb ihr ständig Briefe, wollte schließlich auf spektakuläre Weise seine Liebe zeigen. Er schoss auf Ronald Reagan.

Aber auch in Deutschland gibt es Stalker. Ihre Taten erscheinen in den Nachrichten oft als Eifersuchtsdramen. Beispiel Aschaffenburg im Januar dieses Jahres. Ein 41-jähriger erschießt seine Ex-Freundin, einen Polizisten und sich selbst. Zuvor hatte er der Frau mehrfach aufgelauert, sie mit einem Baseballschläger bedroht.

Dudenhofen, Rheinland-Pfalz. Ein Maurer erschießt seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, ihren Freund und sich selbst. Wieder waren der Tat Verfolgung und Drohungen vorausgegangen.

Der Psychiater Andreas Kernbichler wird von Richtern oft als Sachverständiger geladen. Er kennt viele Täter, die Verbrechen aus Liebe begingen - unerwünschter Liebe.

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DR. ANDREAS KERNBICHLER:

(Psychiater)

"Die Hauptmotive des Stalkings sind einerseits Rache für eine Frustration, aus einem Gerechtigkeitsfanatismus heraus, andererseits aber Liebe, die Wiederherstellung einer gescheiterten Liebesbeziehung oder aber der Beginn einer Liebesbeziehung aus dem Wahn heraus, der andere, das Opfer, liebe den Stalker."

KOMMENTAR:

Die eingebildete Liebesbeziehung. Ein Berliner Radiomoderator beschreibt die Wahnvorstellung eines weiblichen Fans, seiner Stalkerin.

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JOCHEN TRUS:

(Radiomoderator und Stalking-Opfer)

"Die Frau bezieht zum Beispiel alles, was ich im Radio sage, auf sich selbst, ganz persönlich. Also alles, was ich sage, empfindet sie eins zu eins für sich persönlich. Und das geht so weit, dass sie jedesmal, wenn man irgendein Liebeslied spielt im Radio, denkt: Das spielt er wieder für mich."

KOMMENTAR:

Weiteres Motiv: die gescheiterte Liebesbeziehung. Peter Meier* (Name geändert) zum Beispiel wollte das Ende einer Partnerschaft einfach nicht wahrhaben. Der gutsituierte Mann verfolgte seine Ex-Freundin über ein Jahr lang. Verletzte Gefühle trieben ihn zu etwas, was ihm heute selbst ein wenig unheimlich ist.

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Peter Meier* (Name geändert)

(ehem. Stalker)

"Da habe ich mich dann bei Nacht - manchmal bei Nebel, also weil ich auch Angst hatte, vielleicht hat sie ja einen neuen Freund, oder ich werde irgendwie ertappt, oder die Nachbarn sehen mich - dann spät abends im Dunkeln regelrecht an den Briefkasten herangeschlichen und hatte richtig Herzklopfen auch dabei, als ich den Brief eingeworfen habe. Das nahm dann auch so ein bisschen für mich so eine leicht abenteuerliche Färbung an, diese ganze Geschichte. In dem Moment hab` ich solche Gefühle wie an etwas heranpirschen, über jemanden Macht haben, in mir gespürt. Mir kam das zwar einerseits ein bisschen blöd vor, das Ganze, was ich da mache, aber auf der anderen Seite habe ich irgendwie auch doch zunächst mal, in dem Moment, für meine Gefühle etwas zurückbekommen, ich habe immer damit mein Ohnmachtsgefühl bekämpft."

KOMMENTAR:

Ohnmacht in Macht verwandeln, das treibt viele Stalker an. AberPeter Meier* (Name geändert) wurde gestoppt: durch 8.000 Mark Ordnungsgeld und ein Kontaktverbot.

Doch amerikanischen Untersuchungen zufolge hält sich nur etwa die Hälfte der Täter an die gerichtlichen Kontaktverbote. Viele Stalker fühlen sich dadurch eher noch herausgefordert, bedrohen immer aggressiver ihre Opfer - und die können nichts gegen den täglichen Terror tun.

Seit fünf Jahren wird sie von ihrem Ex-Mann verfolgt. Am Anfang hat sie sich noch Schutz erhofft - vergeblich.

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STALKING-OPFER: (Stimme verändert)

"Ich war bei der Polizei, weil er mich bedroht hat, und da habe ich ihn auch angezeigt, weil er mich - als ich mal hinkam, folgte er mir zum Auto und hat mich dann zum Boden mehrmals runtergeschmissen. Und da habe ich das auch gleich angezeigt, und der Staatsanwalt hat darauf reagiert, indem er gesagt hat, das handelt sich um Familienzwistigkeiten, und das ist nicht im öffentlichen Interesse."

KOMMENTAR:

Die Frau stellte mehrere Strafanzeigen bei der Polizei - ohne Folgen. Schließlich tritt ihr Ex-Mann die Wohnungstür ein und schlägt ihr ins Gesicht. Die Folgen, protokolliert in der Strafanzeige: "Geschwollene rechte Gesichtshälfte, blutende Platzwunde am rechten Jochbein". Erst jetzt bekommt die Frau eine Einstweilige Verfügung, die ihrem Ex-Mann den Kontakt zu ihr verbietet. Doch der Terror geht unvermindert weiter:

"Herr M. beleidigt seine Frau am Telefon mit diversen Obszönitäten und Perversitäten. Er ruft zu jeder Tages- und Nachtzeit an."

Seine Drohungen, dokumentiert auf dem Anrufbeantworter:

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ANRUFBEANTWORTER:

"Das ist kein Blödsinn mehr, das ist jetzt blutiger Ernst. Das wirst du sehen, ja, aber wie. Ich krieg` dich überall, überall. Das hast du erlebt. Ich steh` vor der Tür, wenn ich will."

"Ich stech` dich ab, aber wie. Ja, da hilft dir kein Richter mehr."

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DR. ANDREAS KERNBICHLER:

(Psychiater)

"Wenn die Opfer sich an die Polizei wenden, dann haben mir viele erzählt, dass sie zunächst nicht ernst genommen werden. Dadurch steigert sich ihre Angst und ihre Anspannung noch weiter. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Polizei solche Vorfälle manchmal als Familienstreitigkeit abtut oder zunächst, am Anfang, noch nicht eine Überschreitung irgendeines Straftatbestandes feststellen kann."

KOMMENTAR:

Denn Stalking allein wird in Deutschland nicht strafrechtlich verfolgt. Die deutsche Justiz hat kaum Handhabe gegen Menschen, die andere verfolgen terrorisieren. Jetzt erst, zehn Jahre nach den USA, beschäftigt sich auch die deutsche Politik mit Stalking.

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HERTA DÄUBLER-GMELIN:

(Bundesjustizministerin)

"Es gibt solche Phänomene, dass man durch einen Begriff oder auch durch den Einfluss in anderen Ländern oder durch den Einfluss mit Erfahrungen, die andere Länder machen, dazulernen kann. Das ist ein solcher Fall."

KOMMENTAR:

Stalking als eigener Straftatbestand wie in den USA ist zwar nicht vorgesehen, aber Kontaktverbote sollen schneller zu erlangen sein und Verstöße umgehend geahndet werden. Das soll Täter frühzeitig stoppen.

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HERTA DÄUBLER-GMELIN:

"Es wird leichter werden, und zwar deshalb, weil wir eine Norm ins Gesetz reinschreiben, dass man unberechtigterweise niemand verfolgen kann und dass der Richter eine Kontaktanordnung, das heißt ganz konkret ein Kontaktverbot aussprechen kann. Und wir sagen dann auch, dass, wenn jemand gegen eine solche Anordnung verstößt, dass es dann strafbar ist."

KOMMENTAR:

Schöne Theorie. Aber er meint, dass sie mit der Praxis nichts zu tun hat. Norbert Spinrath ist bei der Polizei, und die ist mit dem Problem Stalking heillos überfordert.

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NORBERT SPINRATH:

(Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft)

"Es ist nicht anzunehmen, dass die Polizei in der Lage wäre, diesen weiten Bereich zu bearbeiten, wenn es entsprechende rechtliche Grundlagen gäbe. Dann bräuchten wir pro Polizeiwache etwa 20, 25 Kolleginnen und Kollegen mehr, weil es eben so häufig vorkommt."

KOMMENTAR:

Ein Offenbarungseid. Wenn der Polizei die Leute fehlen, dann helfen bessere Gesetze auch nicht. Die Opfer bleiben weiter ungeschützt, allein mit der unheimlichen Bedrohung und stigmatisiert durch die Folgen.

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BIRGIT GROSSMANN:

(Stalking-Opfer)

"Ich habe darauf geachtet, dass ich nie alleine war, was auch nicht ganz einfach ist, immer dort jemanden zu haben. Ich habe Probleme gehabt, neue Leute kennenzulernen, da es für mich wirklich nur dieses eine Gesprächsthema letztendlich noch gab. Ich bin auch wesentlich vorsichtiger geworden im Umgang mit fremden Menschen, so dass letztendlich, wenn ich auf diese vier Jahre zurückblicke, man vereinsamt."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.08.2000 | 21:00 Uhr