Wahrheit, Zensur, Propaganda - Die Medien und der Krieg Teil 1

von Bericht: Christoph Lütgert

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Wahrheit, Wahrheit bekommt in diesen Kriegstagen eine ganz neue Bedeutung. Wahrheit - ist es das, was die Reporter uns, ganz nah am Kriegsgeschehen, übermitteln? Gilt das noch, daß der direkte Augenschein für Wahrheit bürgt? Große Nähe zum Kriegselend kann auch zunehmende Unschärfe bedeuten, denn von der Lust auf Sensation und Einseitigkeit kann man sich als Reporter nur schwer befreien. Wahrheit? Mein Kollege Christoph Lütgert ist seit Tagen in Mazedonien und Albanien unterwegs. Er berichtet über Journalisten im Krieg - und über sich selbst.

Kosovo: Die Medien und der Krieg Teil 1
Panorama beleuchtet 1999 die Berichterstattung der Journalisten über den Kosovo-Konflikt.

Kosovo: Die Medien und der Krieg Teil 2
Die Berichterstattung im Kosovo-Konflikt 1999: Politiker und Militär benutzen Medien für ihre Zwecke der Kriegsführung.

KOMMENTAR:

Die berüchtigte Schlammwiese bei Blace gleich hinter der Grenze in Mazedonien. Das Elend der vertriebenen Kosovo-Albaner, die hier vegetieren mußten, war für Wochen ein Medienereignis. Die besten Kameraplätze waren auf dem Essenswagen, wenn der sich durch die Menge der Hungernden schob. Und auch wir erlagen der Ästhetik des Elends.

Mit den besten Bildern im Kasten ab in Skopjes Luxushotel Alexander, nur zwanzig Kilometer vom Lager entfernt. Hier ist der Medientreffpunkt. Die besten Bilder werden Kollegen vorgeführt und den Redaktionen zu Hause schon mal angekündigt. Es ist surreal, einfach surreal, aber es ist eben oft so, meint der erfahrene Krisen-Reporter Jonathan Charles von der BBC.

0-Ton

JONATHAN CHARLES: (Übersetzung)

(Reporter BBC)

"Nach einer Weile gewöhnt man sich an die beiden Seiten der Realität. Die eine ist da draußen, und die andere ist hier. Mit der Zeit lernt man, damit umzugehen."

KOMMENTAR:

Die Wiese ist inzwischen geräumt, die zigtausend Flüchtlinge wurden auf Zeltlager verteilt. Bilder vom ganz großen Flüchtlingselend waren fortan schwer zu bekommen, bleiben aber gefragt. So wurden aus dem Sendezentrum in Skopje auch dieser Tage immer noch und immer wieder die alten Schreckensbilder überspielt - hier noch gestern für eine Fernsehstation in Südamerika. Kommt endlich wieder einmal Nachschub gequälter Alabaner an der Grenze bei Blace an, und sei er noch so klein, steht jedesmal ein großes Kameraaufgebot auf der sicheren Seite bereit - auch wir.

Medienrummel, Medientheater, Medienzirkus - hier passen solche Wörter. Als sich die Busse mit den erschöpften Flüchtlingen durchschieben, folgen Jagdszenen, die an das Geiseldrama von Gladbeck erinnern. Hinter den Bussen im Konvoi hinterher. Beim ersten Stopp ran an die Opfer: Was haben sie gesehen, und was haben sie erlitten? Aufsager für Frontline TV, so heißt die Firma wirklich. Gerenne, Hektik, Gedränge. Und dann wieder ab ins Hotel. Die alte Story neu aufgelegt und in der Lobby entspannen. So oder ähnlich ist es schon seit Jahrhunderten. Deshalb Zitat aus Goethes Faust, nur ganz leicht geändert: Nichts Besseres weiß ich mehr an Sonn- und Feiertagen als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit im Kosovo die Völker aufeinander schlagen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.04.1999 | 21:15 Uhr