Pendler und Politiker - Die absurden Ergebnisse des Berlin-Umzuges

von Bericht: Ilka Brecht und Ralf Kaiser

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Und das wiederum könnte über manches hinwegtrösten, wäre da nicht - und das ist auch ein Standortfaktor - die mangelnde Mobilität. Der Deutsche an und für sich verändert offensichtlich nur widerstrebend etwas an seiner Lebenssituation. Neues wird eher als bedrohlich empfunden, weniger als eine Herausforderung. Unsere Beamten geben genau da ein ziemlich schlechtes Beispiel ab. Die Regierung zieht bekanntlich um nach Berlin, das wurde 1991 so beschlossen. Aber viele Ministerien, zwei Drittel der Arbeitsplätze, der Mitarbeiter, bleiben am Rhein. Und Tausende Beamte werden jetzt pendeln: Bonn-Berlin, Berlin-Bonn, denn ihr Wohnsitz bleibt der alte. Und für die vielen Familienheimfahrten gibt es bis zu neun Tage Sonderurlaub.

Pendler und Politiker: Aabsurde Ergebnisse des Berlin-Umzuges
Mit dem Umzug der Regierung nach Berlin kommen neue, teils unerwartete Belastungen auf den Steuerzahler zu.

Über den teuren Unsinn von de facto zwei Regierungssistzen berichten Ilka Brecht und Ralf Kaiser.

KOMMENTAR:

Mit dem Beamtenbomber montags hin, freitags zurück, zwischen Bonn und Berlin. Das Flugzeug bringt die Staatsdiener ins Wochenende - Pendeln de Luxe.

Diethard Mager ist einer dieser Pendler. Freitag am Flughafen Berlin-Tegel. Der Referatsleiter im Wirtschaftsministerium ist auf dem Heimweg ins Bonner Reihenhäuschen. Ein unkündbarer Beamter. Eigentlich ist er als Staatsdiener verpflichtet, seinem Arbeitgeber hinterherzuziehen. Aber zwei Jahre lang bekommt er das Pendeln spendiert. Deshalb will Mager noch nicht umziehen.

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DIETHARD MAGER:br> (Beamter Wirtschaftsministerium)

"Meine Frau hat noch Verpflichtungen an der Universität in Bonn, mein Sohn ist mitten in der Schule, und deswegen pendle ich vorläufig. Wie lange das sein wird, kann ich im Augenblick noch nicht sagen."

KOMMENTAR:

Und mit ihm pendeln weitere 3.700 Beamte - auf Staatskosten. Zusätzlich zum wöchentlichen Heimflug bekommt Diethard Mager noch Trennungsgeld und Mietbeihilfen. Der Steuerzahlerbund hat berechnet, daß jeder dieser Beamten mindestens 150.000 Mark an Vergünstigungen erhält. Diethard Mager empfindet das Pendeln nicht als Privileg.

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DIETHARD MAGER:

"Nein, das kann ich nicht sagen, das ist eine Praxis, die durchaus auch in der freien Wirtschaft gang und gäbe und üblich ist. Und ich glaube, das ist ein ganz normaler Vorgang."

KOMMENTAR:

So etwas nervt seine Nachbarin im Flieger, zufällig keine Beamtin.

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MARTINA BALLUFF:

(Betriebswirtin)

"Das gefällt mir absolut nicht, weil ich arbeite in der freien Wirtschaft und hatte solche Möglichkeiten eben nicht wahrzunehmen. Und mit welcher Selbstverständlichkeit das eben eingesteckt wird, zwei Jahre lang ein Umzug finanziert wird bzw. Wochenendreisen, da sehe ich einfach als Steuerzahlerin rot."

KOMMENTAR:

Zwei ICE-Züge hat die Regierung zusätzlich zu fünf Flugzeugen gechartert, exklusiv für pendelnde Beamte, möglichst bequem, ohne Zwischenstop. Ab 1. Juli fahren die Züge zwischen Bonn und Berlin. Das könnte als deftiger Zuschlag auf den Kostenberg für den Beamtenumzug oben drauf kommen, befürchtet der Bund der Steuerzahler.

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KARL HEINZ DÄKE:

(Bund der Steuerzahler)

"Wir wissen, daß die Kosten für den Umzug der Beamten 950 Millionen Mark insgesamt kosten werden. Wir wissen aber nicht, was das Chartern dieser Züge kostet, ob sie noch auf die 950 Millionen etwa draufkommen. Mag sein, aber das steht in den Sternen. Wir haben uns bemüht, aber nichts herausbekommen."

KOMMENTAR:

Pendeln ist teuer - für die Staatskasse. Den Beamten kostet es natürlich nichts, der bekommt sogar noch etwas draufgelegt: zusätzliche Urlaubstage.

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KARL HEINZ DÄKE:

"Eine dieser Stilblüten ist, daß Beamte, die zwischen Bonn und Berlin pendeln, neun Tage bezahlten Sonderurlaub bekommen, auf Kosten der Steuerzahler. Ich halte das Ganze schlichtweg für einen Skandal."

KOMMENTAR:

Noch teurer als das Pendeln aber ist der Luxus von zwei Regierungssitzen, die Deutschland künftig hat. Von wegen Umzug: 11.060 Staatsdiener bleiben in Bonn, die Mehrzahl. Nur 7.580 gehen überhaupt nach Berlin. So hatte es das Parlament damals beschlossen.

Der Unternehmensberater Gustav Greve hat im Auftrag der Bundesregierung den doppelten Standort in Augenschein genommen. Wie kann ein moderner Staat sich zwei Regierungssitze leisten, sollte er prüfen. Die Bilanz des Betriebswirts ist vernichtend.

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GUSTAV GREVE:

(Unternehmensberatung Arthur D. Little)

"Organisatorisch ist es eine Katastrophe. Kein Unternehmen der Welt würde seine Unternehmenszentrale an zwei Standorten aufteilen. Es gibt Effizienzverluste noch und noch."

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FRANZ MÜNTEFERING:

(Bundesverkehrsminister)

"Der Bundestag hat das gewußt, als er sich entschieden hat für das, was entschieden worden ist. Und da sage ich nochmal: Das kann ja sein, daß ein solcher Herr das so feststellt, der denkt betriebswirtschaftlich, und ein solches Unternehmen hat sich nicht zu rechtfertigen und hat nicht Vertrauen zu erlangen und zu beweisen, Vertrauenswürdigkeit zu beweisen gegenüber den Menschen. Politik muß das."

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GUSTAV GREVE:

"Zwei Regierungssitze verdoppeln die Kosten. Damit aber nicht genug. Wenn ein Unternehmen das täte, würde jeder Aktienanalyst sagen: Dieses Unternehmen geht in den Bankrott."

KOMMENTAR:

Beispiel Entwicklungshilfeministerium. Es gibt Zweigstellen in Bonn und Berlin. Ständig reisen Mitarbeiter hin und her, um Akten zu bringen oder Sachverhalte zu erläutern. Völliger Unsinn.

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ERICH STATHER:

(Staatssekretär Entwicklungshilfeministerium)

"Die Reibungsverluste sind zunächst mal Reisetätigkeit, daß viele Leute immer zwischen Berlin und Bonn nicht unter Wohnsitzaspekten, sondern nur nach Arbeitsaspekten pendeln müssen. Nach unseren Einschätzungen wird es bei uns etwa einen Reibungsverlust von dreißig Prozent geben, sprich: Etwa dreißig Prozent der vorhandenen Arbeitskraft wird permanent unter der Woche unterwegs sein."

KOMMENTAR:

Moderne Technik soll den Reibungsverlust verhindern. In diesen unscheinbaren Räumen bastelt man schon seit acht Jahren daran, daß Regieren effizient wird. Videokonferenzen und Glasfaserkabel, e-mail, elektronische Aktenordner. So will man die 600 Kilometer zwischen Bonn und Berlin ganz leicht überbrücken. Ein Werbevideo, im Auftrag der Regierung.

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WERBEFILM:

"Ich kann mich doch nicht teilen. Für den einen muß ich in Bonn sein, für den anderen in Berlin, wie soll das denn funktionieren?"

KOMMENTAR:

Selbst Regieren aus dem Auto kein Problem, verspricht der Werbefilm.

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WERBEFILM:

"Per Videotelefonie können weitere Absprachen getroffen werden." "Guten Tag, Herr Dr. Wagner, ich habe eben den Planungsentwurf erhalten. Das sieht ja ganz gut aus, aber ist das auch definitiv?"

"Sie können sich drauf verlassen."

KOMMENTAR:

Doch ein Blick in das neue Büro von Pendler Diethard Mager zeigt: Digitale Zukunft - Fehlanzeige. Der übliche Bürocomputer ist hier der Gipfel an technischer Innovation. Es regiert die Umlaufmappe.

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DIETHARAD MAGER:

"Ich habe gehört, es sollen Videokonferenzen eingeführt werden. Bisher habe ich das hier jedenfalls noch nie praktiziert bei mir. Es war auch nicht ein zwingendes Erfordernis da, das muß man ganz klar sehen."

KOMMENTAR:

Denn was wäre das Regieren ohne handschriftlichen Vermerk.

Dies ist der für den Umzug zuständige Staatssekretär. Uns interessiert die digitale Verknüpfung von Bonn und Berlin. Doch solche Fragen führen zu einem kleinen Datenstau.

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INTERVIEWER:

"Was glauben Sie, wieviel von denen, die in Bonn bleiben, arbeiten bereits erfolgreich mit diesem elektronischen Büro im Informationsverbund Bonn-Berlin?"

MATTHIAS MACHNIG:

(Staatssekretär Verkehrsministerium)

"Ich habe da jetzt keine konkreten Zahlen."

INTERVIEWER:

"Schätzen Sie mal."

MATTHIAS MACHNIG:

"Kann ich Ihnen nicht sagen, weiß ich nicht."

KOMMENTAR:

Freitag am Nachmittag. Diethard Mager strahlt. Nur noch ein Bonner Jägerzaun trennt ihn vom heimischen Reihenhäuschen. Die dreieinhalb Stunden lange Heimfahrt ist zwar lästig, aber immerhin winken neun Tage Sonderurlaub. Nichts, aber auch gar nichts schreit hier nach Veränderung.

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DIETHARD MAGER:

"Ganz neugierig bin ich natürlich, was über diese Woche aus meinen Radieschen geworden ist, die ich hier gesät habe. Ich hab' die etwas abgedeckt. Ich sehe, daß die schön weitergewachsen sind, auch in meiner Abwesenheit."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Radieschen bleiben in Bonn, viele Beamte auch. Und die vom Bund eigens für seine Abgeordneten erstellten Wohnanlagen in Berlin bleiben leer. Dafür wurden rund 160 Millionen Mark ausgegeben, dazu noch einmal fast die gleiche Summe für den Bau von Schulen und Kindergärten. Eine grandiose Fehlplanung.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.06.1999 | 21:15 Uhr