Nazi-CDs

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

"Ich mag Adolf und sein Reich, alle Juden sind mir gleich, ich mag Skinheads und SA, Türken klatschen, ist doch klar. Ich mag Fußball auf dem Rasen, die SS, wenn sie gasen - all das mag ich und ganz doll die NSDAP."

"Blut muss fließen" auf CD - Nazi Musik ohne Strafe
Die Produzenten und Händler von Nazi-CDs können durch eine Gesetzeslücke kaum belangt werden.

Solche und ähnliche Widerwärtigkeiten sind Songtexte, CD‘s, im Umlauf in Deutschland. Und sie erfreuen sich steigender Beliebtheit. Die Produzenten solcher Nazi-Lieder haben in den meisten Bundesländern nichts zu befürchten, genausowenig wie die Händler, die solche CD‘s vertreiben. Denn ihre Produkte sind geschützt durch das jeweilige Landespresserecht.

Über unglaubliche Gesetzeslücken berichtet Thomas Berndt.

KOMMENTAR:

Der Mann vom Verfassungsschutz ist zwar einiges gewöhnt, aber dieser Stapel CD’s liegt selbst bei Rüdiger Hesse im Giftschrank. Grölende Skinheads, Rassenhaß und Volksverhetzung pur, massenhaft gepreßt auf CD’s.

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MUSIKER:

"Es ist ein altes SA-Lied, es ist nicht Horst Wessel, nein, nein, das ist ‚Blut muß fließen‘. Da kann jeder mitsingen hier."

"Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil."

"Wetzt die langen Messer, auf den Bürgersteig, laßt die Messe flutschen in den Judenleib. Blut muß fließen ....."

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RÜDIGER HESSE:

(Verfassungsschutz Niedersachsen)

"Ich bin zutiefst erschüttert gewesen, als ich das zum ersten Mal gehört habe, auch die Kollegen hier im Haus. Das ist wirklich ein Skandal, daß so etwas heute in Deutschland wieder möglich ist."

KOMMENTAR:

Im letzten Jahr stieg die Zahl von Konzerten wie diesem auf über 120. Rund 50 Verlage verbreiten die entsprechenden CD’s. Skinhead-Musik auf dem Vormarsch.

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RÜDIGER HESSE:

"Sie hat eine enorme Bedeutung, zweifach. Erstens gilt sie natürlich der Gewinnvermehrung einzelner, die hier sich eine goldene Nase verdienen. Auf der anderen Seite ist sie ein ganz wichtiges Propagandainstrument. Über die Musik will man junge Menschen als Anhänger der Szene gewinnen."

KOMMENTAR:

Ein seltener Schlag gegen die Szene. Das Landeskriminalamt Hannover konnte ein bundesweit tätiges Netz von Händlern und Produzenten zerschlagen. Die meisten beschlagnahmten CD’s erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung, wie zum Beispiel die Band Gestapo.

Musik Gestapo

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NIKOLAUS BORCHERS:

(Staatsanwaltschaft Hannover)

"Alles, was ich vorher auf dem Tisch oft hatte, als Einzelstück oder dergleichen, hat bei mir auch so den Eindruck erweckt, das ist derart abwegig, derart, ja, außerhalb jeder Diskussion, was das intellektuelle und moralische, politische, menschliche Niveau anging, daß ich mir gesagt habe: Gott, aber eigentlich ist es nicht ernstzunehmen, weil es eben so abwegig ist, übertrieben, also im Grunde gar nicht mehr faßbar ist. Im Zuge dieser Ermittlungen habe ich festgestellt, daß es eben doch einen relativ großen Markt dafür gibt."

KOMMENTAR:

Zwar beschlagnahmten die Ermittler über 8.000 CD’s, die Täter aber können nur für wenige belangt werden, weil diese CD’s geschützt sind - überraschenderweise durch das Niedersächsische Landespressegesetz. Denn nach der Definition werden auch CD’s unter den Schutz des Presserechts gestellt, als Musikalien mit Text. Und das besondere Privileg der Presse: Straftaten, auch Volksverhetzung, verjähren nach nur sechs Monaten.

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NIKOLAUS BORCHERS:

(Staatsanwaltschaft Hannover)

"Die Verjährung hat uns viele der schlimmsten CD’s aus der Hand geschlagen. Zu erwähnen CD’s meinetwegen wie ‚Zyklon B‘, bezüglich unserer Angeklagten, die Zillertaler Türkenjäger, Nordheim, Vol. 1 - CD’s mit Texten, die, wenn man sie im einzelnen sieht - Sie werden sie wahrscheinlich kennen - ja, an Deutlichkeit eigentlich nicht zu überbieten sind."

KOMMENTAR:

Von solchen CD’s erfahren die Ermittler jedoch meist zu spät, denn sie werden konspirativ unter der Ladentheke gehandelt. Die kurze Verjährungsfrist allerdings beginnt schon mit dem ersten Tag der Verbreitung, und diese Schwachstelle im Gesetz kennen die Nazis nur zu gut und nutzen sie seit Jahren.

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NIKOLAUS BORCHERS:

"Es gibt sehr gute Anhaltspunkte dafür, daß ganz bewußt auf den Aufdrucken bei diesen CD’s ein früherer Zeitpunkt aufgedruckt oder mitgeteilt worden ist, um den Eindruck zu erwecken, das ist eben meinetwegen schon 1997 erschienen, das heißt: Wenn du jetzt 1998 zugreifst, sind die sechs Monate schon abgelaufen."

KOMMENTAR:

Hilflose Staatsanwälte, ahnungslose Politiker. Für die Pressegesetze sind die Bundesländer verantwortlich. Aber nicht nur Niedersachsen hat die Gesetzeslücke jahrelang verschlafen, die meisten Bundesländer ganz genauso.

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PETER JÜRGEN SCHNEIDER:

(Niedersächsische Staatskanzlei)

"Es ist eine neue Materie, aber auch ein diffiziles Thema. Das Presserecht ist ein hohes Gut, und da muß man nun sehr sorgfältig überlegen, wenn man zu Veränderungen kommt. Wir werden hier jedenfalls nach diesen Erfahrungen, die wir jetzt sammeln mußten im Bereich des rechtsextremen Propagandamaterials, sehr zügig handeln."

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GOTTFRIED TIMM:

(Innenminister Mecklenburg-Vorpommern)

"Gerade hier in diesem Bereich, wo es um verfassungswidrige Symbole oder auch Texte geht, werden wir auf jeden Fall daran arbeiten, daß wir das Strafrecht anwenden und nicht weiterhin das Presserecht anwenden."

KOMMENTAR:

Das kann noch Monate dauern. Bis dahin werden CD’s fleißig weiter produziert. Volksverhetzung - häufig ohne Strafe. Und die Staatsanwälte müssen zuschauen, hilflos und frustriert.

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NIKOLAUS BORCHERS:

(Staatsanwaltschaft Hannover)

"Man kann sie nicht verfolgen, obwohl sie noch in letzter Zeit verbreitet haben, weil die erste Verbreitung mehr als sechs Monate zurückliegt. Das ist natürlich, naja, soweit es einem Staatsanwalt erlaubt ist, persönliche Gefühle zu haben, frustrierend."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Frustrierend - und das steht im Klappentext einer solchen CD: "Tja, Bullenschweine und mein Lieblingsoberstaatsanwalt, mit dieser CD könnt Ihr mir gar nichts." Diese Nazis wissen also ganz genau, mit wem sie es zu tun haben.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.09.1999 | 21:00 Uhr