Millionen für Ehrenämter - Ärztefunktionäre kassieren ab

von Bericht: Eva Altmann und Ilka Brecht

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Daß unser Gesundheitssystem nach Reformen geradezu schreit, diese Erkenntnis hat sich inzwischen selbst bei hartnäckigsten Bestandsbewahrern durchgesetzt. Aber was immer sich unsere jeweiligen Bundesgesundheitsminister einfallen lassen, der Protest von einer Seite ist ihnen sicher: die Kassenärztlichen Vereinigungen - das sind die Interessenvertretungen der Ärzte - laufen Sturm gegen fast jede Sparmaßnahme. In Werbebroschüren, Fernsehspots und in großflächigen Zeitungsanzeigen haben die Ärztefunktionäre das Ende der medizinischen Grundversorgung schon häufig an die Wand gemalt. Die neueste Kampagne ist das sogenannte "Notprogramm". Die Kranken sollen schneller, vor allem billiger und oft schlechter behandelt werden, so die Drohung, weil der von oben verordnete Sparzwang ansonsten das Einkommen der Ärzte schmälern würde. Merkwürdig nur, daß die Funktionäre der Kassenärztlichen Vereinigungen von Sparmaßnahmen und Notprogrammen nicht betroffen sind. Sie lassen es sich weiterhin richtig gut gehen.

Ärztefunktionäre kassieren ab
Während Hausärzte um ihre Honorare kämpfen müssen, kassieren die Vorstände der KV für ihre Tätigkeit in Millionhöhe ab.

Von ärztlicher Skrupellosigkeit und politischer Einflußnahme berichten Eva Altmann und Ilka Brecht.

KOMMENTAR:

Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe. Selbstverwaltung aller Kassenärzte zwischen Münster und Dortmund. Jahresumsatz: 4,1 Mrd. Mark. Jeder Tastendruck ist bares Geld. Die Frauen hier rechnen die Leistungen der Ärzte gegenüber den Krankenkassen ab. Die Kassenärztliche Vereinigung bestimmt auch, was etwa ein Hausarzt oder Internist für seine Behandlung bekommt.

Jeder Kassenarzt muß an die KV zahlen - ein Pflichtbeitrag. Die Mitglieder wählen den Vorstand, beschließen Satzungen und legen fest, wieviel Geld ihre Chefs erhalten sollen. Vorsitzender einer KV zu sein, ist laut Satzung nur ein Ehrenamt, denn die Praxen laufen meist weiter, werfen auch Gewinne ab.

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JÜRGEN BAUSCH:

(Vorsitzender KV Hessen)

"Ich habe im Monat etwa ein verfügbares freies Einkommen, nach Abzug aller Kosten, von 6.000 Mark - aus ärztlicher Tätigkeit. Ich verdiene allerdings in meiner Funktion als Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und als Leiter einer Kassenärztlichen Vereinigung zusätzlich Geld."

KOMMENTAR:

Und das nicht zu knapp. Jürgen Bausch erhält pro Monat 15.583 Mark Aufwandsentschädigung für das angebliche Ehrenamt. Kein Einzelfall: In Deutschland gibt es 23 Kassenärztliche Vereinigungen. Alle haben einen 1. und einen 2. Vorsitzenden. Dazu kommen noch untergeordnete Bezirksstellen mit ebenfalls eigenen Vorständen. Alles angebliche Ehrenämter und alle hoch bezahlt.

Und das Schöne: Man kann mehrere Ehrenämter gleichzeitig haben, wie zum Beispiel Klaus Ottmann. Für sein Ehrenamt als 2. Vorsitzender der Kassenärzte in Bayern kassiert er monatlich 11.500 Mark. Dazu kommen 8.000 Mark, um einen Vertreter in seiner Praxis zu bezahlen, und dann noch einmal 10.000 Mark für sein Ehrenamt als Bezirksstellenchef in Unterfranken. Macht zusammen pro Monat 29.500 Mark für ehrenamtliche Tätigkeit. Klaus Ottmann findet das völlig angemessen, schließlich hat er schwer zu tragen an der Last seiner Ämter.

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KLAUS OTTMANN:

(2. Vorsitzender KV Bayern)

"Die Arbeit, die wir wirklich zu leisten haben, hat mit Ehrenamtlichkeit nichts mehr zu tun. Das ist eigentlich ein Full-Time-Job, und unsere Arztpraxen, aus denen wir ja herausgewählt worden sind, können nur noch in kleinem Teil überhaupt noch mitbetrieben werden. Das heißt, sie müssen eigentlich auch für einen Full-Time-Job dementsprechend eine Vergütung erhalten."

KOMMENTAR:

Jedes Ehrenamt ein Full-Time-Job - wie soll das gehen, wenn man zwei Ehrenämter innehat?

Das irritiert auch Wolfgang Hoppenthaller. Der Ausarzt aus Siegenburg wollte die verkrusteten Strukturen der KV reformieren. Er scheiterte am Widerstand der Fachärzte. Systematisch, so sein Vorwurf, würden sie die Hausärzte in Bayern benachteiligen. Der Verteilungskampf ums Honorar sei inzwischen unerträglich geworden.

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WOLFGANG HOPPENTHALLER:

(Hausarzt)

"Für die KV spielt seit Jahren ein sogenanntes geistiges Faustrecht die wesentliche Rolle. Das heißt: eine Majorität majorisiert ganz energisch die Minderheit, und die Minderheit sind im wesentlichen die Hausärzte. Es wird gegen die Hausärzte Strukturpolitik betrieben, es wird gegen die Interessen der Hausärzte Honorarpolitik betrieben."

KOMMENTAR:

Auch in der Hamburger Selbstverwaltung sind die Hausärzte in der Minderheit. Viele Praxen kämpfen ums Überleben. Die Lobby der Laborärzte ist hier übermächtig - auch in der Vorstandsetage der Kassenärztlichen Vereinigung. Nicht verwunderlich, schließlich ist der KV-Vorsitzende an einem Hamburger Großlabor beteiligt.

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INTERVIEWER:

"Sind Sie freiberuflich für Keser & Arndt tätig?"

MICHAEL SPÄTH:

(Vorsitzender KV Hamburg)

"Das ist richtig."

INTERVIEWER:

"Was verdienen Sie da?"

MICHAEL SPÄTH:

"Das ist meine Privatsache."

KOMMENTAR:

Genau dieses Großlabor erhielt vor einem Jahr überraschenden Besuch von der Polizei: Hausdurchsuchung. Der Verdacht: Das Labor Keser & Arndt begeht Abrechnungsbetrug im großen Stil.

Für Späth alles kein Problem. Beteiligung am Großlabor und KV-Vorsitz ergänzen sich für ihn ideal. 10.000 Mark gibt's für's Ehrenamt pro Monat, dazu rund 8.000 Mark für einen Praxisvertreter. Dabei hat Späth gar keine eigene Kassenarztpraxis. Aber die KV zahlt trotzdem, die Satzung läßt es zu. Späth braucht nur eine Adresse anzugeben, und die hat er hier, beim umstrittenen Großlabor Keser & Arndt.

Ein krasser Fall. Der ganz normale Entschädigungswahnsinn sieht so aus: Seit 1980 ist Ulrich Oesingmann Vorsitzender der KV Westfalen-Lippe und hat in dieser Zeit gut verdient. Nach seinem Ausscheiden stehen ihm dafür pro Jahr Ehrenamt noch einmal 105.000 Mark zu, macht für 20 Jahre stolze 2,1 Millionen Mark Übergangsgeld.

Ganz normal, meint die KV Westfalen-Lippe. In ihrem Parlament sitzt auch Hans-Jürgen Thomas. Er hat das Übergangsgeld für seinen Vorsitzenden Oesingmann mit beschlossen.

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HANS-JÜRGEN THOMAS:

(KV Westfalen-Lippe)

"Ich halte das für durchaus legitim, und das geht im Grunde genommen nur die Kassenärzte an, die aus ihren Honoraren heraus das bezahlen, keine Krankenkasse bezahlt das."

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BERNARD BRAUN:

(Gesundheitswissenschaftler)

"Das ist natürlich eine Spiegelfechterei, weil in den Honoraren ist natürlich auch einkalkuliert, also in den Verhandlungen zwischen Krankenkassen und den KV'en findet natürlich auch Einfluß die Bezahlung der Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen. Insofern zahlen das nicht die Ärzte, sondern es zahlen die Beitragszahler in den gesetzlichen Krankenversicherungen und deren Arbeitgeber über ihre Beiträge. Und das begründet auch das recht der Öffentlichkeit, sich wirklich in diese Diskussionen einzumischen, ob zu viel Geld bezahlt wird und ob mit dem Geld etwas Angemessenes und Richtiges gemacht wird."

KOMMENTAR:

Beginn einer steilen KV-Karriere. Vor Jahren wird Winfried Schorre Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Frau Schorre kann zufrieden sein, denn ihr Mann gehört jetzt zu den Spitzenverdienern. Pro Jahr erhält er an Entschädigungen 300.000 Mark. Das war dem Land Nordrhein-Westfalen als Aufsichtsbehörde zu viel.

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BIRGIT FISCHER:

(Gesundheitsministerin NRW)

"Also ich kenne wenig Gehälter, die 300.000 Mark im Jahr betragen, geschweige denn Ehrenämter, die mit 300.000 Mark dann dotiert werden."

KOMMENTAR:

Das Ministerium verlangte, die hohen Zahlungen für das Ehrenamt drastisch zu reduzieren. Die Kassenärztliche Vereinigung war damit nicht einverstanden. Das Landessozialgericht fällte ein Urteil, das an Eindeutigkeit kaum zu überbieten ist. Zitat:

"Die beanstandeten Entschädigungsregelungen verstoßen gegen den Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung. Sie kollidieren mit Satzungsrecht und sind rechtswidrig."

Die Bezüge seien nichts anderes als ein verkapptes Entgelt.

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BIRGIT FISCHER:

"Das Wesen einer ehrenamtlichen Tätigkeit ist in der Regel ohne Entlohnung. Dagegen stehen aber 300.000 Mark, wobei im Durchschnitt ein Arzt ca. 200.000 Mark vielleicht verdient. Daran sieht man also die Relation, die schon nicht stimmen kann. Es ist also nicht nur eine Aufwandsentschädigung, die es eigentlich sein sollte, sondern geht in der Höhe weit darüber hinaus."

KOMMENTAR:

Schorre aber hält an seinem Anspruch auf die Entschädigungen fest. Die KV Nordrhein ging in die Revision, und ihr Vorsitzender lieferte die Begründung:

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WINFRIED SCHORRE:

(Vorsitzender KV Nordrhein, Dez. 97)

"Man muß dabei eben sehen, daß wir in der Zeit, in der wir hier tätig sind für die Ärzteschaft und damit für die Versorgung, natürlich in der Praxis praktisch nicht mehr zur Verfügung stehen. Und das ist der Hintergrund."

KOMMENTAR:

Ein Vollzeit-Job kann die KV-Tätigkeit kaum sein. Vor Gericht gab Schorre zu, daß nach wie vor die Hälfte seiner Arbeitskraft in seiner Praxis steckt.

Schorre hat sogar Zeit für ein weiteres Ehrenamt. Vor fünf Jahren wählten ihn die KV-Vorstände zu ihrem Vorsitzenden, zum Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Übrigens: auch dafür wird er entschädigt. Zu seinen 300.000 Mark kommen noch einmal 170.000 Mark hinzu. So erhält er pro Jahr für seine Ehrenämter 470.000 Mark.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.08.1999 | 21:00 Uhr