Macht und Manipulation - Großkonzern nimmt seine Mieter aus

von Bericht: Ilka Brecht und Christoph Lütgert

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

400.000 Menschen leben in Wohnungen der Veba, dem größten privaten Immobilienbesitzer in Deutschland. Nicht wenige von ihnen haben vermutlich in den vergangenen zwanzig Jahren zu viel Miete und Nebenkosten bezahlt. Das Geld floß in schwarze Kassen der Veba. Und damit sollen die ganz privaten Luxusbedürfnisse von Spitzenmanagern und -politikern in der ganzen Republik finanziert worden sein. Der Besuch im Sex-Club, der Ausbau des Eigenheims - selbst Kanzleramtsminister Bodo Hombach ist in den Verdacht geraten, beim Bau seines Hauses begünstigt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und überprüft nun die Abrechnungen der Veba. Aber die Mieter werden derweil weiter ausgenommen.

Großkonzern nimmt seine Mieter aus
Ein Bericht von 1999 über den größten privaten Immobilienbesitzer VEBA: Mieter hatten über Jahre zu hohe Kosten gezahlt.

Ilka Brecht und Christoph Lütgert berichten.

KOMMENTAR:

Cetin Sakir und seine Tochter sind ratlos. Sie mußten in ihrer Veba-Wohnung für Schornsteinreinigung zahlen. Dabei hat das Haus schon lange keinen Schornstein mehr, sondern wird mit Fernwärme geheizt. Cetin war deswegen mit all seinen Unterlagen schon bei der Veba.

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TOCHTER:

"Da hat er gefragt, warum wir überhaupt so viel Geld bezahlen, obwohl wir keinen Schornstein mehr haben. Und da haben sie sich nicht gekümmert."

KOMMENTAR:

Heidi Morawski, eine andere Veba-Mieterin, nur ein paar hundert Meter weiter. Auch ihr Haus hat Fernwärme und deshalb keinen Schornstein mehr. Trotzdem hat ihr die Veba mit den Betriebsnebenkosten Geld für Schornsteinreinigung abgebucht, drei Jahre lang.

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HEIDE MORAWSKI:

(Veba-Mieterin)

"Bei der dritten Abrechnung habe ich den Sachbearbeiter wieder angerufen, und er meinte, ich sollte das als Sparvertrag ansehen. Aber ob wir das wirklich wiederbekommen haben, das können wir ja hier gar nicht nachvollziehen."

KOMMENTAR:

Es geht meist nur um kleinere Summen. Aber die Veba hat 130.000 Wohnungen. Da werden aus Kleckerbeträgen schnell Millionen.

Jeden Donnerstag Treffen im katholischen Gemeindehaus. In vielen Städten bilden sich jetzt Mieterinitiativen gegen die Veba, die aktivste in Gelsenkirchen-Hassel. Und immer ist der Raum gerammelt voll. Immer Ärger und Aufregung wegen der Kosten.

Schon viele Nebenkostenabrechnungen hat die Initiative genau durchforstet. Ihr Befund: keine einzige war korrekt. Das Wort vom systematischen Beschiß macht die Runde.

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SUSANNE BOYMANNS:

(Mieterinitiative Gelsenkirchen)

"Es werden Hauswarte abgerechnet, wo gar keine Hauswarte vorhanden sind. Zum Beispiel die Heizkosten sind nicht in Ordnung, die Müllabfuhr, die Liste könnte ich endlos fortsetzen. Und dies erfassen wir jetzt hier und haben einen ersten Überblick, daß es also keine zufälligen Einzelfälle sind, sondern daß da wirklich ein System hintersteckt."

KOMMENTAR:

Die Veba sieht sich als unschuldiges Opfer einer Kampagne. Seit einiger Zeit laufen Prozesse gegen Top-Manager des Konzerns. Die sollen Millionen veruntreut haben. Und diese Negativ-Schlagzeilen - so beklagt man in der Veba-Zentrale - machten die Mieter grundlos hysterisch.

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ERICH SCHRUFF:

(Veba-Immobilien)

"Es ist ein gewisses öffentliches Interesse natürlich geweckt worden durch Prozesse, die gegen Vorstandsmitglieder geführt werden. Und von daher nimmt jetzt jeder Mieter jede Kleinigkeit zum Anlaß, auch sich zu beschweren. Wir haben keinen Systembetrug begangen, und alle Belege sind ordnungsgemäß abgerechnet worden mit den Mietern."

KOMMENTAR:

Trotz Unschuldsbeteuerungen: Auch die Staatsanwaltschaft Bochum hat die Veba im Visier.

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BERND BIENIOSSEK:

(Staatsanwaltschaft Bochum)

"Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt gegen mehrere Mitarbeiter der Veba wegen des Verdachts des Betruges zum Nachteil von Mietern von Veba-Wohnungen. Es liegen Aussagen vor, die den Verdacht begründen, daß in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle falsche Abrechnungen gegenüber Mietern vorgenommen worden sind."

KOMMENTAR:

Ein Veba-Angestellter, der die Computer für die Abrechnungen bedient hatte, packte bei der Staatsanwaltschaft aus:

VERNEHMUNGSSZENE (nachgestellt):

"In einem Jahr fehlten der Veba 4,5 Millionen Mark. Die wollte man bei den Mietern holen. Da wurde für die Nebenkosten eine regelrechte Luftposition 156 erfunden. Die Mieter erhielten entsprechende Abrechnungen mit der Kostenart 156. Dahinter steckten keine Leistungen."

KOMMENTAR:

Und noch mehr wurde dem Staatsanwalt erzählt:

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BERND BIENIOSSEK:

(Staatsanwaltschaft Bochum)

"Es soll darüber hinaus auch zu falschen Abrechnungen im Zusammenhang mit Wartungskosten gekommen sein. Auch hier liegen Aussagen vor, wonach Wartungskosten für Anlagen abgerechnet worden sein sollen, während die Arbeiten gar nicht durchgeführt worden sind."

KOMMENTAR:

Zum Beispiel bei Veba-Mieterin Uta Najmann. Sie zeigt uns ihre Heizungsventile.

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UTA NAJMANN:

"Hier ist das Rad, was nicht mehr zu drehen ist."

KOMMENTAR:

Das Ventil klemmt, denn niemals hat hier jemand nachgeschaut. Trotzdem mußte Frau Najmann jahrelang zahlen für Wartung von Heizungsventilen. Eine von mehreren Merkwürdigkeiten, die sie markiert hat. Die zweite ist der Garten hinter ihrem Haus. Rund 2.000 Mark Gartenpflege zahlen die Mieter jedes Jahr. Aber sie können nicht sehen, wofür. Und die Veba hat sogar für Gartenpflege kassiert, wenn Mieter gar keinen Garten hatten, so der Veba-Angestellte vor der Staatsanwaltschaft.

VERNEHMUNGSSZENE (nachgestellt):

"Bei der Kostenart 'Gartenpflege' wurde manipuliert. Wenn sich Mieter beschwerten, sie hätten überhaupt keinen Garten, wurde der Begriff 'Gartenpflege' in 'Flächenpflege' umbenannt. So konnte man großzügig Kosten unter dieser neuen Position in die Abrechnung bringen."

KOMMENTAR:

Die Contega in Oberhausen - eine hundertprozentige Tochter der Veba. Diese und andere Veba-Töchter sollen vor allem eine Aufgabe gehabt haben: Rechnungen - etwa von Handwerkern - durch Aufschläge künstlich zu verteuern.

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RAINER STÜCKER:

(Mieterverein Dortmund)

"Leistungen durch diese Tochterfirma im eigentlichen Sinne sind gar nicht erbracht worden. Und im Betriebskostenbereich dürfen den Mietern gegenüber Verwaltungskosten nicht abgerechnet werden. Also sind dort Zusatzgewinne gemacht worden, die mietrechtlich unzulässig waren. Und Sinn und Zweck der Töchtergesellschaften war also, mehr bei den Mietern zu kassieren."

KOMMENTAR:

In einem offenen Brief hat die ertappte Veba das inzwischen zugegeben.

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ERICH SCHRUFF:

(Veba-Immobilien)

"Wir haben uns entschlossen, auch die Verwaltungskosten-Aufschläge der vergangenen Jahre zurückzuzahlen, ohne daß die Mieter hierauf einen Antrag stellen müßten, und insofern haben wir ein korrektes Verhältnis mit den Mietern dann auch für die Vergangenheit hergestellt."

KOMMENTAR:

Aber nicht für die Gegenwart. Peter Vorhölter zeigt uns im Keller die Gasthermen, die das kleine Mietshaus warmhalten.

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PETER VORHÖLTER:

"Das sind die drei Thermen, die für unser Haus sind, und die werden dreimal im Jahr gereinigt, und jede Reinigung von einer Therme dauert ungefähr eine halbe Stunde."

KOMMENTAR:

So eine Therme haben alle 500 Wohnungen in der Dortmunder Veba-Siedlung, und bei fast jedem Mieter kassiert die Veba jährlich 253 Mark für die Wartung. Ortsüblich wäre ein Preis von 100 bis 120 Mark. Aber die Veba rühmt sich, ihre Wartung sei etwas ganz Besonderes.

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ERICH SCHRUFF:

(Veba-Immobilien)

"Wir machen zum Beispiel eine Wartung für bestimmte Ventile, die einen Heißwasserschutz beinhalten, so daß wir sicher sind, daß keine Salmonellengefahr mehr besteht. Das ist in den normalen DIN-Vorschriften nicht enthalten."

KOMMEMTAR:

Dabei kommt das Heißwasser gar nicht aus den Gasthermen im Keller, die heizen nur. Für Warmwasser gibt es in jedem Badezimmer elektrische Durchlauferhitzer. Also wieder Geld für die Veba ohne entsprechende Leistungen. Das bleibt ein Hauptvorwurf.

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BERND BIENIOSSEK:

(Staatsanwaltschaft Bochum)

"Aufgrund unserer Ermittlungen besteht der Verdacht, daß derartige Manipulationen bereits in den siebziger Jahren vorgekommen sind und sich bis in die neueste Zeit hingezogen haben."

KOMMENTAR:

Und Tausende Veba-Mieter zahlen und zahlen, weil sie Rechnungen nicht verstehen oder Angst haben, zu widersprechen - auch Gisela Tugcu und ihre Nachbarn rundherum.

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GISELA TUGCU:

"Diese rundherum, die haben gesagt: Um Gottes Willen, nee, ich werd' doch da nicht was gegen die Veba machen, die schmeißen uns hinterher raus aus der Wohnung. Und wenn ich das dann alleine durchziehen sollte, das wäre mir ein bißchen gegenüber so einem riesigen Konzern doch ein bißchen waghalsig.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Zu waghalsig für den einzelnen, deshalb hat es ja auch so lange funktioniert - wie so häufig zu Lasten der Kleinverdiener.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 04.02.1999 | 21:00 Uhr