Wütende Patienten, hilflose Politik - Zahnärzte auf Beutezug

von Bericht: Thomas Berndt und Stephan Wels

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Vor einigen Tagen bekamen wir eine Meldung auf den Tisch, die uns etwas irritiert, dann aber auch amüsiert hat. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, hieß es da, habe einigen Fernsehproduktionsfirmen ein Angebot gemacht: Diese sollten endlich einmal freundliche, positive Berichte über Zahnärzte herstellen und diese Filme dann verschiedenen Sendern anbieten. Imagepflege, der ehrliche, freundliche Zahnarzt im Fernsehen also. Dafür wollte die Bundesvereinigung dann offenbar auch gut bezahlen. Mit Journalismus hätten solche gekauften Berichte natürlich nichts zu tun und mit der Wahrheit wohl auch nicht immer. In den vergangenen Wochen haben es mehrere Studien belegt: Mindestens jeder dritte der deutschen Zahn-Doctores nimmt es mit den Gesetzen offenbar nicht so genau und rechnet einfach zu viel ab - auf unsere Kosten. Und die Politiker, genauer: unser so reformfreudiger Bundesgesundheitsminister, weiß das, appelliert, hält still und doktert weiter an einer Reform herum, die er nicht durchsetzen kann.

Zahnärzte auf Beutezug
Ein Bericht von 1998 über zweifelhafte Abrechnungen von Zahnärzten, die zu Lasten der Patienten gehen.

Thomas Berndt und Stephan Wels über die notleidende Zunft der Zahnärzte.

KOMMENTAR:

Eine Routinebehandlung Mitte Januar. Die Patientin bekam eine Krone, eine Woche später die Rechnung ihres Arztes, und vor zwei Tagen erhielt Sibylle Fritz dann die Nachricht der Krankenkasse: Ihr Arzt habe sie offenbar ausgenommen, fast 300 Mark zu viel berechnet.

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SIBYLLE Fritz:

(Patientin)

"Also es ärgert mich schon ziemlich stark. Es ist keine feine Art, einfach auf die Gutgläubigkeit von Patienten zu vertrauen, ja, die wird es schon nicht merken, oder wie auch immer, die wird das schon bezahlen."

KOMMENTAR:

Richtig weh beim Zahnarzt tat es kürzlich auch einem Hamburger Patienten. Für eine Brücke verlangte auch sein Arzt zu viel: klammheimlich 300 Mark mehr, als die gesetzlichen Bestimmungen vorsehen.

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CLEMENS SOMMERFELD:

(Patient)

"Auf jeden Fall fühle ich mich hintergangen, weil es wird versucht, mir mein Geld aus der Tasche zu ziehen, und das kann ich natürlich nicht gut heißen."

KOMMENTAR:

Solche Fälle gibt es zu Tausenden. Das zeigen die Rechnungen, die hier bei der Barmer Ersatzkasse ausgewertet werden. Millionenprofite für die Zahnärzte, die die Patienten aus der eigenen Tasche bezahlen.

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MICHAEL FUCHS:

(Barmer Ersatzkasse, München)

"Ja, wir haben hier zum Beispiel 85 Mark, 225 Mark, 56, 409 Mark, 635 Mark, 30 Mark, 23 Mark, und hier sehe ich einen Spitzenreiter: 930 Mark."

KOMMENTAR:

Viele Zahnärzte sind auf Beutezug. Möglich macht es ein neues Gesetz. Beim Zahnersatz muß der Patient jetzt direkt mit dem Arzt verhandeln. Für Standardleistungen schreibt das Gesetz zwar immer noch Festpreise vor, viele Ärzte aber interpretieren das anders - zu ihren Gunsten.

Am Beginn jeder Behandlung etwa steht der Heil- und Kostenplan - ein kostenloser Service, sagt Minister Seehofer - 20 bis 80 Mark kassieren viele Zahnärzte.

Eine Brücke aus Metallkeramik über drei Zähne kostet nach Minister Seehofers Gesetzesverständnis rund 580 Mark. Nach Empfehlung der zahnärztlichen Standesvertretung kassieren viele Ärzte rund 790.

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CHRISTOPH KRANICH:

(Verbraucher-Zentrale Hamburg)

"Objektiv gesehen ist es Gesetzesbruch, weil das Gesetz relativ klare Vorgaben gibt, die die Zahnärzte zum großen Teil nicht einhalten. Und für die Patienten ist das natürlich katastrophal, es wird auf dem Rücken der Patienten die Bereicherung von einigen Zahnärzten, relativ vielen Zahnärzten betrieben."

KOMMENTAR:

Diesen Beutezug hat er über Monate toleriert. Bundesgesundheitsminister Seehofer, hier Gastredner auf einem Karieskongreß. Immer wieder bat er die Zahnärzte, sich doch, wenn es irgendwie geht, an seine Gesetzesauffassung zu halten - leider erfolglos. Aber der Herr Minister ist eben auch ein höflicher Mensch.

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HORST SEEHOFER:

(Bundesgesundheitsminister)

"Nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel beginnt man zunächst einmal mit einem Gespräch und nicht mit der Keule von Paragraphen und Anordnungen. Also, auch Sie als Bürger, wenn Sie eine Meinungsverschiedenheit mit einer Behörde haben, erwarten ja, daß die Behörde zunächst einmal mit Ihnen spricht und nicht sofort einen Bescheid oder Bußgeld oder Ordnungsmaßnahmen verfügt. Das ist doch der normale Weg, daß man miteinander spricht."

KOMMENTAR:

Daß man so freundlich mit ihnen spricht, das mögen die Zahnärzte. Ansonsten neigt diese Gruppierung von Besserverdienenden ein wenig zur Anarchie und ganz unverhohlen zu kaufmännischem Denken und Handeln.

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INTERVIEWER:

"Wie rechnen Sie bei Zahnersatz ab, so, wie es das Bundesgesundheitsministerium vorschlägt, oder so, wie es Ihre Standesvertretung vorschlägt?"

ZAHNARZT:

"So, wie ich das für richtig halte, und das ist die Position meiner Standesführung."

ZAHNÄRZTIN:

"Dieser Bundesminister hat keine Kompetenz, uns Zahnärzten vorzuschreiben, was wir tun uns lassen dürfen."

ZAHNARZT:

"Das ist keine Vorgabe, die das Ministerium zu machen hat, sondern das ist einfach eine Leistung, und Leistung ist Arbeit durch Zeit, und dieses muß honoriert werden."

INTERVIEWER:

"Das heißt, in dem Moment halten Sie sich einfach mal nicht ans Gesetz?"

ZAHNARZT:

"Sie haben es ganz klar ausgedrückt."

KOMMENTAR:

So geht das fröhliche Abkassieren ungehindert weiter. Der Minister droht und mahnt, statt durchzugreifen. Mitte April hat er seine Zahnärzte noch einmal inständig gebeten, sich ans Gesetz zu halten. Und was ist das Resultat? Für die letzte Aprilwoche hat die Barmer noch einmal alle Kostenpläne überprüft. Von 30.900 waren 10.200 überhöht. In 32 Prozent der Fälle wurden unrechtmäßig Heilpläne berechnet, in 60 Prozent gaben die Zahnärzte überhöhte Kostenfaktoren an.

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ECKART FIEDLER:

(Vorstand Barmer Ersatzkasse)

"Da geht's dabei um viel, viel Geld. Und das halte ich nach diesen heftigen Auseinandersetzungen, die geführt worden sind, und den klaren Stellungnahmen des Bundesgesundheitsministers schon für skandalös."

KOMMENTAR:

Der Minister aber wartet weiter geduldig ab, und der Chef der Kassenzahnärzte versteht das ganze Problem nicht.

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KARL HORST SCHIRBORT:

(Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung)

"Also hier wird eine Sache hochgejubelt, die es nach unserer Einschätzung gar nicht wert ist. Ich habe sowohl aus dem BMG als auch aus meinem Ministerium in Niedersachsen die klare Information bekommen, daß es aus den Praxen keine Probleme gibt, von meinen Kollegen habe ich auch nichts gehört. Also wo ist eigentlich das Problem?"

KOMMENTAR:

Wo das Problem ist, kann man hier erleben. Sprechstunde bei der Barmer Ersatzkasse in München. Robert Joachim erfährt, daß sein Zahnarzt ihm offenbar zu viel berechnet hat. Von den politischen Querelen hat Joachim nie gehört, seine Rechnung auch nicht verstanden. 690 Mark, so wird ihm vorgerechnet, hat er zu viel bezahlt. Seine einzige Chance, das Geld wiederzusehen, wäre eine Privatklage, aber das will er nicht.

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ROBERT JOACHIM:

(Patient)

"Ich sag' mal so, ich möchte mit meinem Zahnarzt keinen Ärger haben, weil ich bei dem Zahnarzt schon zehn Jahre oder immer schon bin praktisch, seit 15 Jahren oder so, da möchte ich jetzt nicht so einen Riesenzinnober machen. Sicherlich ist es ärgerlich, daß man 700 Mark zu viel bezahlt hat, aber daß ich jetzt anklage, das werde ich nicht machen."

KOMMENTAR:

So wie Robert Joachim verzichten fast alle Geprellten auf eine Klage. Das Geld ist weg, aber den Streit mit dem Zahnarzt meidet der Patient.

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ECKART FIEDLER:

(Vorstand Barmer Ersatzkasse)

"Da tut er sich schwer, weil er natürlich in dem Behandler eine Vertrauensperson sieht, von der er sich Hilfe erwartet, und mit dem streitet man nicht gerne, und auch wenn nachher festgestellt wird, man hat zu viel gezahlt - man muß ihn vielleicht wieder in Anspruch nehmen. Also man geht nicht hin und klagt jetzt. Von da ist diese Haltung nur zu verständlich und zeigt, welche Schwächen in diesem neuen Abrechnungssystem liegen."

KOMMENTAR:

Den mündigen Patienten will das Gesetz heranziehen, ratlos sitzt das Ehepaar Gallenberger vor seiner Zahnarztrechnung. Auch sie haben zu viel bezahlt, ein bißchen mehr Hilfe, das wäre schon gut gewesen.

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HANS GALLENBERGER:

(Patient)

"Ich kritisiere am Gesetzgeber, daß er im Prinzip den Patienten hängen läßt. Wenn er ein Gesetz rausbringt, so muß er sich auch kümmern, daß es entsprechend durchgeführt wird."

KOMMENTAR:

Auf rasche Hilfe von der Politik werden die Patienten wohl noch lange warten müssen. Derweil wird in vielen Praxen weiter munter abkassiert.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Krankenkassen wollen sich die Falschabrechnungen der Zahnärzte nun nicht mehr länger bieten lassen. Die Barmer Ersatzkasse hat uns mitgeteilt, daß sie eine Liste der korrekt abrechnenden Zahnärzte herausgeben will. Daran können sich die Patienten in Zukunft orientieren, und so wird auch bekannt und öffentlich, welche Zahnärzte eben nicht redlich abrechnen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.04.1998 | 21:00 Uhr