Killer am Lenkrad - Milde Strafen für betrunkene Autofahrer

von Bericht: John Goetz und Volker Steinhoff

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

SPD und Grüne, unsere neuen Regierungsparteien, haben sich so einiges vorgenommen, unter anderem eine echte 0,5 Promillegrenze. Das heißt: der Führerschein ist weg, wenn man mit mehr Alkohol im Blut erwischt wird. Bereits Anfang des Jahres wollten Abgeordnete der CDU und SPD das durchsetzen. Es scheiterte an der sonst so straffreudigen CSU, die beim Thema Alkohol offensichtlich erstaunlich tolerant ist. Im Mai dieses Jahres wurde dann ein Kompromiß beschlossen: 0,5 Promille gilt, aber den Führerschein kann man behalten. Schon mit dieser halbherzigen Regelung sind weniger Menschen durch betrunkene Fahrer zu Tode gekommen, das belegen Statistiken der Innenminister. Es könnten aber noch weniger sein. Der Bericht von John Goetz und Volker Steinhoff zeigt: Wer betrunken fährt, einen Unfall verursacht und jemanden tötet, kann in Deutschland immer noch mit unangemessen viel Milde rechnen.

Killer am Lenkrad: Milde Strafen für betrunkene Autofahrer
Autofahrer mit Alkohol am Steuer können in Deutschland mit unangemessener Milde rechnen, Panorama berichtet 1998.

KOMMENTAR:

Jeden Abend das gleiche Problem: Ein Bier allein löscht keinen Durst, doch draußen steht das Auto. Alkohol am Steuer - für Deutsche nichts allzu Schreckliches.

0-Ton

MANN:

"Da kann nichts passieren. Immer schön langsam fahren, und wenn Sie angehalten werden von der Polizei, Luft anhalten, durch die Nase atmen."

INTERVIEWER:

"Also rechnet man mit einer Gefängnisstrafe, wenn man betrunken nach Hause fährt?"

MANN:

"Ich denke nicht, nein."

MANN:

"Ja, man könnte auch jemanden überfahren oder sowas ähnliches. Das ist ja auch nicht so schön. Naja."

0-Ton

CHRISTIAN SCHOENFELDER:

(Vater)

"Ja, hier ist Lenas Zimmer."

KOMMENTAR:

Das Zimmer von Lena Schoenfelder, getötet von einem betrunkenen Autofahrer. Lena war 21 Jahre alt. Ihr Raum bei den Eltern in Berlin sieht noch aus wie damals.

0-Ton

CHRISTIAN SCHOENFELDER:

"Das war Lena. Ich denke nur, ich möchte sie wiederhaben."

KOMMENTAR:

Es war an einem Januarabend. Lena wollte mit dem Auto zu Freunden. Hier passierte es. Von hinten raste der Betrunkene heran, 150 Stundenkilometer schnell. Der BMW hatte nur einen Frontschaden, zerquetschte das Auto von Lena völlig. Der Todesfahrer kaum verletzt. Lena hatte in ihrem VW Polo keine Chance.

Nach der Trauer dann die Wut. Roman J. muß nicht ins Gefängnis. Der Grund: Er war volltrunken, über zweieinhalb Promille. Nur Fahrverbot, Geldbuße und eine Bewährungsstrafe. Lenas Großvater, ein Schauspieler, kann das Urteil heute noch nicht fassen.

0-Ton

FRIEDRICH SCHOENFELDER:

(Großvater)

"Man kapiert es nicht, daß ein Mensch nahezu straffrei ausgehen kann nach einem - das ist doch ein Verbrechen, was der Mann begangen hat, der hat im Vollrausch einen jungen Menschen zu Tode gebracht. Ja, wenn das nicht eine harte Strafe erfordert, dann weiß ich es nicht."

0-Ton

CHRISTIAN SCHOENFELDER:

"Und die Tatsache, daß er weggekommen ist, die Tatsache, daß unsere Justiz ihres dazu beigetragen hat, daß er so weggekommen ist, daß er jetzt hier draußen spazieren gehen kann, sich mit seinen Kindern vergnügen kann - bringt einen in den bösesten Momenten auf Gedanken von Selbstjustiz."

KOMMENTAR:

In Großbritannien gibt es andere Urteile. Wer hier trinkt und dann fährt, gilt als besonders schuldig, wer dabei jemand tötet, muß ins Gefängnis. Beispiel: Joseph McKeeman, er fuhr betrunken einen Fußgänger tot und bekam dafür vier Jahre Knast.

0-Ton

JOSEPH McKEEMAN: (Übersetzung)

(verurteilter Trunkenheisfahrer)

"Ich kann einfach nicht verstehen, wieso die deutschen Gesetze so anders sind als unsere. Wenn man jemandem das Leben nimmt durch betrunkenes Autofahren, dann muß man auch eine gerechte Strafe akzeptieren, dann muß du ins Gefängnis."

0-Ton

STEVE SARGENT: (Übersetzung)

(Polizei Hampshire)

"Wenn Sie betrunken jemanden hier totfahren, bekommen Sie bis zu zehn Jahren Gefängnis. Ohne Alkohol wäre die Strafe niedriger."

KOMMENTAR:

Anders in Deutschland. Viele betrunkene Totschläger am Steuer müssen nicht einen Tag ins Gefängnis. Der Grund: Alkohol am Steuer wirkt für den Unfallverursacher nicht strafverschärfend, sondern bei einem Vollrausch manchmal sogar strafmindernd.

0-Ton

LORE MARIA PESCHEL-GUTZEIT:

(Justizsenatorin Hamburg, SPD)

"Wenn ich mich mit der Rechtsordnung beschäftige, dann kann der Eindruck entstehen und damit das Signal: Du mußt nur ordentlich was trinken, dann kommst du billiger davon. Das ist sicherlich ein falsches Signal."

KOMMENTAR:

Absurd: Ein nüchterner Fahrer, der aus Versehen einen Unfall macht, kann härter bestraft werden als ein Besoffener, der vorsätzlich trinkt und fährt.

0-Ton

CHRISTIAN SCHOENFELDER:

(Vater)

"Für mich ist derjenige schuld, der sich betrunken in sein Auto setzt."

KOMMENTAR:

Alkohol am Steuer - in Großbritannien kein Kavaliersdelikt. Jeder kennt die harten Strafen, deshalb ist die Zahl der Verkehrstoten durch Betrunkene drastisch gesunken.

0-Ton

STEVE SARGENT: (Übersetzung)

(Polizei Hampshire)

"Die Sicherheit auf unseren Straßen hat sich deutlich verbessert, seit wir höhere Strafen haben. Die Zahl der alkoholbedingten Unfallopfer hat dramatisch abgenommen."

KOMMENTAR:

Konkret: Weniger als ein Verkehrstoter kommt hier auf 100.000 Einwohner. Anders in Deutschland: 1,8 Tote, fast doppelt so viele. Besonders schlimm die Brandenburger Zahl: 4,5 Tote durch besoffene Autofahrer, fünfmal mehr als in Großbritannien. Härtere Strafen, weniger Tote, das wirkt. So sehen das auch Rechtsexperten der Volksparteien.

0-Ton

LORE MARIA PESCHEL-GUTZEIT:

(Justizsenatorin Hamburg, SPD)

"Wir fordern eine Erhöhung der Strafen, die zur Zeit sehr begrenzt sind. Bei Vollrausch, also einer Volltrunkenheit, gibt es nach geltendem Recht nur eine Höchststrafe von fünf Jahren. Und wir meinen, das kann nicht in Ordnung sein bei schweren und schwersten Taten.

0-Ton

HORST EYLMANN:

(Vors. Rechtsausschuß Bundestag, CDU)

"Wir brauchen fühlbare Strafen, und aus diesem Grunde muß wohl auch kritisch hinterfragt werden, ob die Strafzumessung gerade bei Alkohol im Verkehr noch richtig ist."

KOMMENTAR:

Dennoch: das Gesetz wird nicht verschärft, denn es gibt Widerstand, und der kommt aus der Hochburg der deutschen Bierkultur.

0-Ton

LORE MARIA PESCHEL-GUTZEIT:

(Wir erleben den Widerstand insbesondere aus Bayern, Bayern, also CSU. Das wiederum hat aber eben auch Gründe, daß in Bayern viel Bier getrunken wird."

0-Ton

HORST EYLMANN:

"Wir haben bei der Diskussion Absenkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 erlebt, daß die CSU, daß der Freistaat Bayern diese Absenkung nur akzeptieren wollte, wenn bei 0,5 noch kein Fahrverbot verhängt wird. Man sieht also daran, daß es dort, im Süden der Republik, schon Widerstände gibt."

INTERVIEWER:

"Von Herrn Beckstein?"

HORST EYLMANN:

"Dieser Vorschlag, bei 0,5 noch kein Fahrverbot zu verhängen, ist von Herrn Beckstein gekommen."

KOMMENTAR:

Minister Beckstein wollte sich zu unserem Thema nicht äußern. Er sei nicht zuständig für’s Strafrecht, ließ er erklären. Als es um die Verhinderung einer strengeren Promillegrenze ging, war das anders - bayerischer Artenschutz für betrunkene Autofahrer.

Dabei würden viele Betrunkene nicht Auto fahren, wenn die Strafen höher wären, und einige der jährlich fast 1.500 Verkehrstoten könnten noch leben - vielleicht auch Lena.

0-Ton

FRIEDRICH SCHOENFELDER:

(Großvater)

"Das werde ich nie kapieren. Das finde ich so grauenhaft falsch. Ich finde, wenn ein Mensch sich sinnlos betrinkt, dann muß er dafür bestraft werden. Und wenn er dann eine Straftat begeht, muß er noch härter bestraft werden."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 08.10.1998 | 21:00 Uhr