Computerchaos bei der Polizei - Verbrecherjagd im Datennetz

von Bericht: Gita Ekberg und Thomas Berndt

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es ist Wahlkampf, und eines der wichtigsten Themen ist die Verbrechensbekämpfung. Kompromißlos und schnell sollen Täter gefaßt werden. Aber haben Sie schon mal bei der Polizei eine Anzeige aufgegeben? Da tippt so manches Mal ein Beamter alle Daten in eine altersschwache Schreibmaschine, Durchschläge mit Kohlepapier. Wenn das auch noch fehlen sollte, wird durch Spenden und Nachbarschaftshilfe für neues Büromaterial gesorgt. Ich übertreibe nur leicht. Während Verbrecher mit Handys, Laptops und Internet bestens versorgt sind, steht unsere Polizei erst am Anfang der Computermoderne. Viele Beamte kennen solche Geräte nur aus den Zimmern ihrer Kinder oder aus dem Fernsehen. Einige Bundesländer mühen sich seit Jahren redlich um den Anschluß an das Zeitalter der Datenvernetzung. Leider sind auch diese Prachtstücke der Polizeitechnik nur wenig leistungsfähig.

Computerchaos bei der Polizei
Die Polizei steht erst am Anfang des Computerzeitalters. Ein Bericht über die Polizei und Technik.

Das haben Gita Ekberg und Thomas Berndt bei einer Rundreise durch deutsche Polizeistationen herausgefunden.

KOMMENTAR:

Mensch gegen Computer - Originalbilder einer Überwachungskamera. Neue Computersysteme haben zuweilen einen hohen Preis. Kaum einer weiß das besser als die Hauptstadt-Polizei in Berlin. 170 Millionen soll das neue Supersystem "Poliks" kosten. Der kühne Plan: Datenaustausch zwischen den Berliner Polizeirevieren, die Vernetzung. Leider gibt es da noch ein paar kleine Probleme mit der Software.

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KLAUS KARAU: (Polizeidirektor)

"Ja, der größte Knackpunkt war eigentlich, daß Eintragungen, die gemacht wurden, dann letztlich verschwunden sind, sie sind einfach abgefallen, weggefallen. Und man muß einfach verstehen, wenn ein Beamter einen kriminalpolizeilichen Vordruck über zwei Seiten fertigt und das sehr gut formuliert hat, und anschließend versucht er, das auszudrucken, und das ist verschwunden - dann ist das natürlich deprimierend, so daß in Einzelfällen dann wieder auf die altbewährte Schreibmaschine zurückgegriffen werden muß bzw. auf das Notizbuch."

KOMMENTAR:

Seit fünf Jahren brütet man über der Software, Vernetzung aber bislang Fehlanzeige. Mehr als die Verkabelung mit der Steckdose ist leider noch nicht drin.

Der Höhepunkt des Fortschritts: Laptops auf den Streifenwagen. Damit könnten kleinere Verbrechen gleich vor Ort eingespeist werden, wenn, ja wenn da nicht ein kleiner Haken wäre.

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BEAMTER:

"Ja, es kann sein, daß man auf einem Rechner schreibt, wie jetzt hier im Funkwagen-Einsatzdienst, man schreibt auf dem Laptop, man geht rein, will es auf dem großen Computer ausdrucken, und dann sucht man und sucht man und findet seine abgespeicherten Vorgänge nicht mehr, da diese Disketten darauf programmiert sind, sich nach einiger Zeit also selbst zu löschen."

INTERVIEWERIN:

"Warum?"

BEAMTER:

"Ja, warum, das weiß ich auch nicht, warum sie das so gemacht haben."

KOMMENTAR:

Das Problem ist wie die Software: hausgemacht von einem Berliner Polizisten und Hobbyprogrammierer. Kollegen über ihr Superhirn.

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KLAUS KARAU:

"Ich will mal so sagen, nach meiner Einschätzung hat sich da offensichtlich jemand übernommen."

KOMMENTAR:

Ihren Chaos-Computermann nennen sie hier nur noch den "Bill Gates der Berliner Polizei". Und mittlerweile hat der auf der Direktion 5 sogar Hausverbot.

Auch in Hamburg bastelt man an der Computermoderne, schon seit über zehn Jahren. Hier heißt der Geniestreich "Comvor". Das Ergebnis bis jetzt: Nichts geht mehr, Entwicklungsfehler. Bislang gibt’s nur das schöne Logo. Kosten: 100 Millionen aus Steuergeldern. Und die Polizei hat ein Problem.

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DIETER SCHÖNECK: (Gewerkschaft der Polizei)

"Das muß man sich vorstellen, wenn man so Beispiele nennt aus der Vergangenheit: Sechs Jahre lang Mißbrauch oder sogar Tötung, Kinder, usw. usw., da sind die Kriminalisten drauf angewiesen auf solche Recherchen, daß ein Täterprofil gezeichnet werden kann. Und wenn ich da Nachfragen nicht tätigen kann, nicht recherchieren kann, dann geht mir der unter Umständen durch die Lappen."

KOMMENTAR:

Das Desaster hat einen Namen. Politisch verantwortlich: der stets gut gelaunte Innensenator Wrocklage. Der hat schon mal Polizisten weggespart, wollte so den Superrechner finanzieren. Chaos und Verschwendung - vor der Kamera dazu kein Kommentar.

Boomtown Frankfurt. Auch hier kämpfen die Beamten tapfer mit den Datensätzen. Computervernetzung ist gar kein Thema. Der Alltag ist schon hart genug. Wenn jemand eine Anzeige macht, tippt der Beamte sie brav in den Computer, wie zum Beispiel hier im Polizeipräsidium. Kaum ist der Kunde weg, beginnt die Prozedur von neuem, nur in ein anderes System, die gleiche Eingabe.

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LOTHAR HERRMANN: (Bund Deutscher Kriminalbeamter)

"Einmal schreiben, mehrmals nutzen ist ein altbekannter Basissatz in der EDV. Bei uns ist es allerdings so, daß bei der Vielzahl der Formulare die zwangsläufig auszufüllen sind, ich zum Beispiel die Personalien, also feste Daten, zehn-, fünfzehnmal schreiben muß, weil sie nicht erneut zu verwenden sind."

KOMMENTAR:

Doch damit nicht genug. Erst beim Ausdrucken entfaltet die hessische Polizei hier ihre volle Einsatzkraft. Zehn Versuche sind da gar nichts.

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LOTHAR HERRMANN:

"Da dieses Prinzip, What you see is what you get, nicht funktioniert, sehe ich auf dem Bildschirm etwas, was auf dem Drucker nachher so nicht erscheinen wird. Ich werde eine Vielzahl von Versuchen machen müssen, um nachher als Druckqualität das zu bekommen, was ich auf dem Bildschirm ursprünglich eigentlich für richtig empfunden habe. Der Papierverbrauch ist enorm gestiegen."

KOMMENTAR:

Die geglückten Versuche werden später allerdings sorgfältig verwahrt, für die Recherche nach Altväter Art. Verzettelt in die Zukunft.

Sachsen-Anhalt. Es geht auch anders. Polizisten pauken am PC. Kein teurer Selbstversuch, sondern erprobte Technik von Schweizer Kollegen, entwickelt von Experten, gekauft von einer Softwarefirma. Dazu ist das Programm ein paar Millionen Mark billiger als eine eigene Version.

Die Vernetzung von Wache zu Wache läuft. Sind die Daten einmal im Programm, lassen sich Tat und Täter problemlos recherchieren, landesweit.

Sachsen-Anhalt bislang ein Einzelfall. Auch andere Bundesländer hätten sich so viel Geld und Ärger sparen können. Kooperation - bislang aber die Ausnahme.

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WILFRIED ALBISHAUSEN: (Bund Deutscher Kriminalbeamter)

"Für mich ist das eine ganz klare Sache von völlig überzogenen Eitelkeiten. Jeder möchte wahrscheinlich besser sein als der andere. Der eine hat dies Modell, der andere das, der andere hat die besseren Fachleute. Also ich muß auch sagen, das ist ein absoluter Hemmschuh in der Bundesrepublik, wobei das natürlich auch mit dem Föderalismus zusammenhängt. Jedes Land ist für seine Kriminalpolizei, Polizei eigenverantwortlich. Aber ich meine auch, da müßte man an einem Strang ziehen."

KOMMENTAR:

EDV-Experten schütteln ohnehin nur noch den Kopf. Verschwendung von Steuergeldern in Millionenhöhe.

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JÖRG KATTEIN: ("Rola Software")

"Das, was ich bislang mitbekommen habe von gescheiterten Projekten, dann kann man das sicherlich in die Größenordnung 300 Millionen setzen, wahrscheinlich vorsichtig geschätzt."

KOMMENTAR:

In Nordrhein-Westfalen hätte man uns am liebsten nur dieses Polizeirevier gezeigt: Pilotprojekt Recklinghausen. Vier lange Jahre wurde hier entwickelt, Kostenpunkt: mehr als sieben Millionen. Jetzt ist alles vernetzt, solange die Telekom es will. Übrigens: Rot bedeutet Error, keine Leitung. Die Planung für das nächste Jahr: das System soll flächendeckend das ganze Land vernetzen. Doch dort kämpft man noch gegen ganz andere Widrigkeiten.

Beispiel Kleve. Die Überprüfung von Fingerabdrücken - ein Tagewerk. Sie müssen zur nächsten Polizeihauptstelle, nur dort gibt es die Telebildsender, mit Leitung zum BKA. Über hundert Kilometer durchs Ruhrgebiet, eine stundenlange Reise. In Essen dann die zwei Jahrzehnte alte Technik, reif fürs Kriminalmuseum. Mit viel Glück klappt die erste Übertragung in rasanten zwanzig Minuten. Eine Antwort vom BKA: In vier bis acht Stunden.

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SIEGFRIED POTRECK: (Kriminalhauptkommissar)

"Sie sehen die Technik, und allzusehr beanspruchen darf man sie nicht, denn wenn sie mal defekt ist, dann gibt es nur eine Firma im Lande, die ein solches Gerät reparieren kann. Ersatzteile werden auch nicht mehr hergestellt, es muß also gebastelt werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, hin und wieder muß ein Tropfen Öl an dieses Gestänge hier oben, an die Spindel, damit es nicht quietscht. Ansonsten bedarf es keiner Wartung."

KOMMENTAR:

Essen, nur ein Stockwerk tiefer. Hier werden alle Anzeigen und Vorgänge in den Computer eingegeben. Ein mühsames Geschäft, besonders heute.

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INTERVIEWER:

"Was gibt es denn heute für Probleme am System?"

POLIZISTEN:

"Ja, das System ist abgestürzt. Alle Eingaben, die wir gemacht haben gestern, die sind alle weg. Die Daten sind alle weg, und die müssen alle wieder neu eingegeben werden."

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WILFRIED ALBISHAUSEN: (Bund Deutscher Kriminalbeamter)

"Ich vergleiche das mal bildhaft. Die Täter - und das beobachten wir seit Jahren - die Täter schwimmen auf einer Welle von moderner Technik, setzen sehr viel Geld ein, setzen teilweise ihre Gewinn aus den Straftaten für Informations- und Kommunikationstechnik ein. Und wir schwimmen in der Welle und versuchen, nach Luft zu schnappen, und schon mal mit dem Kopf unter Wasser, weil wer weiß, wie das ausgeht.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Verantwortlich für diesen Mißstand - und das muß man deutlich sagen - ist die Politik, nicht die Polizei. Den Ordnungshütern hat man zum Teil konzeptlos Hard- und Software in die Büros gebracht - Fachpersonal und ein bundesweites Konzept fehlen. Verbrechensbekämpfung klingt nur in den Wahlslogans ganz einfach.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.07.1998 | 21:15 Uhr