Töten um zu lernen - Tierversuche an deutschen Universitäten

von Bericht: Katrin Caspar

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Frosch im Gartenteich © picture-alliance/CHROMORANGE Foto: Bildagentur Waldhäusl

Frösche sind hierzulande nicht zu beneiden, sie werden nicht wie im Märchen geküßt oder an die Wand geworfen, sondern vielfach geköpft und buchstäblich ihrer Nerven und Organe beraubt. Alles für die Wissenschaft, damit Erstsemester der Medizin, Biologie und Pharmakologie in die Grundlagen der Nervenerregung eingeweiht werden. Wer niemals im Gewebe wühlte, weiß nicht, wie Frösche funktionieren, und kann ergo auch nicht operieren, begründet die etablierte Forschung die animalischen Versuche. Der Weg zum Examen geht über Kadaver, denn die Freiheit der Forschung und Lehre ist im Grundgesetz verankert - der Tierschutz nicht. Und das empfinden viele als Affenschande.

Von Menschen und Mäusen - und Fröschen, Katrin Caspar.

KOMMENTAR:

Blutiger Alltag an deutschen Universitäten. Ein Frosch wird getötet, damit Studenten etwas lernen.

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ANYA FEDDERSEN:

(Biologiestudentin)

"Ich bin vor allem erstmal in einen Gewissenskonflikt geraten, weil ich als Lehrerin Achtung und Ehrfurcht vor dem Leben vermitteln soll und den Schülern beibringen soll, Tiere artgerecht zu behandeln."

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PROF. NORBERT ELSNER:

(Dekan Biologie, Uni Göttingen)

"Ich denke nicht, daß wir darauf verzichten können, denn es geht nicht in erster Linie darum, theoretisches Wissen zu vermitteln, sondern praktische Fähigkeiten, damit die Studenten lernen, wie wissenschaftliche Ergebnisse überhaupt zustande kommen."

KOMMENTAR:

Vermittlung von praktischen Fähigkeiten an getöteten Tieren in den Fächern Biologie, Veterinärmedizin und Humanmedizin. Zu den extra getöteten Wirbeltieren zählen neben den Fröschen: Kaninchen, Schafe, Pferde, Ziegen, Mäuse, Hamster, Meerschweinchen und Ratten. Jährlich werden nach einer von Studenten durchgeführten Untersuchung bundesweit 78.856 Tiere benötigt. 4.023 davon gehen lebend in die Versuche, werden unter Narkose aufgeschnitten. Viele überleben diesen Versuch nicht. 14.557 sind bereits tot, wenn sie zu Lehrzwecken untersucht werden, und 60.276 werden extra für die Versuche getötet.

Der Konflikt schwelt seit Jahren, eine Lösung ist aber nicht in Sicht. Immer mehr Studenten können Tiertötungen auch in Pflichtpraktika nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren, sie klagen gegen die Universitäten. Bereits dreißig Gerichte hatten in den letzten Jahren das leidige Thema auf dem Tisch. Bundesweit haben die Studenten erst zwei Prozesse gewonnen.

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BIRGIT VÖLLM:

(Medizinstudentin)

"Ich hab' damals gegen die Universität Frankfurt geklagt und dann nach vier Jahren auch Recht bekommen. Und das Paradoxe daran ist, daß jetzt wieder ein Student gegen genau das gleiche Praktikum wieder klagen muß."

KOMMENTAR:

Ein Treffen des Bundesverbandes Studenten gegen Tierversuche, Biologen und Mediziner, die gegen die Universitäten klagen. Es sind zermürbende Prozesse, oft vergehen Jahre bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung. Dabei gibt es Alternativen, wenn auch nur wenige.

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JÖRG OSTENDORF:

(Biologiestudent)

"An der Ruhr-Universität Bochum werden halt auch Versuche an Fröschen und Ratten durchgeführt, die extra für diesen Zweck getötet werden. Wir haben dagegen geklagt, um daran nicht teilnehmen zu müssen. Die Klage lief dann über anderthalb Jahre, was uns einfach zu lange war. Wir haben uns umgehorcht und haben festgestellt, daß es in Osnabrück ohne Tierversuche geht, und sind dann dahin gewechselt."

KOMMENTAR:

Fachbereich Biologie in Osnabrück, Hildesheim, Lüneburg und Weingarten - vier tierversuchsfreie Uni's - Einzelfälle unter bundesdeutschen Lehrfabriken. Der Alltag ist anders, nämlich so wie hier in Göttingen: der Galvani-Froschversuch ein Versuch unter vielen. Der Frosch wird gehäutet. Die Studenten bekommen präparierte Froschteile für das Experiment, denn auch ohne Kopf und Körper schlägt ein Froschherz noch zwei Stunden weiter. Das macht ihn zum biologischen Material, an dem Reflexe veranschaulicht werden können. Kern der Erkenntnis: Herz und Muskeln zucken bei Reizung, die Nerven reagieren. Die Auswertung erfolgt in Kurven.

Der Galvani-Froschversuch ist schon 200 Jahre alt, er geht zurück auf den Italiener Luigi Galvani. Seit seiner Entdeckung gibt es keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Dennoch bestehen Professoren darauf, diesen 200 Jahre alten Klassiker immer wieder zu praktizieren.

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PROF. NORBERT ELSNER:

"Genauso wie sich ein Maler zum Beispiel ins Museum setzt - das werden Sie auch oft sehen - und einfach, um alte Maltechniken kennenzulernen, Bilder kopiert - da kann man auch sagen: Was soll das denn, das hängt ja da schon. Genau das wäre ein vergleichbares Beispiel."

KOMMENTAR:

Alte Techniken können heute allerdings mit modernster Computersimulation kopiert werden. Hier der Froschversuch von der Tötung bis hin zum Experiment. Die Vorteile: Der Versuch ist ständig wiederholbar, dadurch erhöhter Lerneffekt, und nur ein Tier muß sterben. Im virtuellen Labor kann man genauso mit elektrischen Reizungen experimentieren wie im realen Labor. Gleiche Ergebnisse, unterschiedliche Methoden.

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INTERVIEWERIN:

"Haben Sie auch Alternativmethoden, die Sie ersetzend anbieten?"

PROF. NORBERT ELSNER:

(Dekan Biologie, Uni Göttingen)

"Nein, das haben wir hier nicht, aus dem Grunde, daß wir eben der Meinung sind, daß die wirkliche Arbeit an einem solchen echten Tier oder Präparat einfach unverzichtbar ist und daß alle Simulationen nur eine Ergänzung sein können."

KOMMENTAR:

Ergänzung für die einen, Ersatz für die anderen. Hier in Berlin die erste Einrichtung zur Minimierung von Tierversuchen. Sie entwickelt und prüft Alternativmethoden. Dazu gehören Lehrfilme und Reflexmeßgeräte ebenso wie der Computerversuch.

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PROF. HORST SPIELMANN:

(Bundesinstitut für gesundheitl. Verbraucherschutz)

"Die Computersimulation ist nicht nur eine Ergänzung zu den bisherigen Tierversuchen, sondern sie kann, wie Untersuchungen gezeigt haben, den Tierversuch vollständig ersetzen. Und das gilt nicht nur für diesen Galvani-Froschversuch, sondern für praktisch alle Tierversuche, die bei Ärzten und Tierärzten im Bereich der Lehre durchzuführen sind."

KOMMENTAR:

Die Realität sieht anders aus: Lehrmethoden aus dem Zeitalter Friedrichs des Großen. Zeitstillstand an deutschen Universitäten?

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DR. EISENHART VON LOEPER:

(Bundesverband "Juristen für Tierrechte")

"Wissenschaft ist eigentlich ein ständiger Prozeß der Erneuerung, der Öffnung für neue Methoden, und es ist eine unbegreifliche Borniertheit von Hochschulprofessoren, wenn sie so an dem alten kleben, noch dazu dann, wenn es ja von den Studierenden her gar kein Wunsch ist, sondern sie möchten ja neuen Methoden geöffnet werden und daran lernen, weil das viel ergiebiger für sie selbst ist."

KOMMENTAR:

Bornierte Professoren, fehlende Flexibilität - der Zoff geht weiter und damit auch das Töten von Tieren. Endstation Mülltüte - Tiere als Abfall.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Solcherart gut ausgebildete Mediziner dürften uns ja in jeder Hinsicht gut behandeln, denke ich.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.04.1997 | 21:00 Uhr