Abzocken fürs Wegwerfen - Das miese Geschäft der Reifenmafia

von Bericht: Matthias Latzel und Thomas Görlitzer

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Wenn Sie Ihrem Auto jetzt neue Winterreifen aufziehen lassen, zahlen Sie bis zu 5 Mark pro Stück für die Entsorgung der alten. Dafür werden die dann umweltfreundlich vernichtet bzw. recycelt, so die Idee. Die Altreifenentsorger zeigen aber oftmals wenig Profil, wenn es um die Umwelt geht, und die Behörden sehen hilflos zu. Statt grüner Punkt eine schwarze Hinterlassenschaft, mit dem diese Geschäftemacher richtig Geld scheffeln und für die wir am Ende noch einmal zahlen.

Das miese Geschäft der Reifenmafia
Jährlich fallen in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 60 Millionen Altreifen an, die entsorgt werden müssen.

Matthias Latzel und Thomas Görlitzer haben sich mit den Gummischiebern befaßt.

KOMMENTAR:

Alte Autoreifen - bergeweise. Mehr als 300 solcher illegalen Deponien gibt es in Deutschland. Behörden und Grundstückseigentümer sind von den dubiosen Entsorgern überrollt worden. Sie nutzen Unwissen und Gutgläubigkeit skrupellos aus.

Zum Beispiel in Thüringen, Utzberg bei Weimar. Eine Firma namens "Team die 2" hat fast eine halbe Million Reifen hierher gebracht. Die Firma ist pleite, die Reifen sind geblieben.

Beispiel Sachsen. Bei Leipzig das gleiche Bild, die gleiche Masche. Der Entsorger gibt vor, pleite zu sein. Seine Berge soll jetzt jemand anderes wegschaffen, wann, das weiß niemand.

Oder: Vellahn in Mecklenburg-Vorpommern. 20.000 Tonnen Altreifen und Industriegummi.

Drei Beispiele aus der schwarzen Branche mit dem schlechten Ruf.

60 Millionen Reifen müssen jährlich in Deutschland weg. Um sie ordnungsgemäß entsorgen zu lassen, zahlt der Autofahrer bis zu 5 Mark pro Stück. Die Reifen, die man nicht mehr runderneuern oder exportieren kann, werden vernichtet. Die derzeit sauberste Methode: Verbrennen. Und das muß dann der Entsorger zahlen. Zementfabriken brauchen für ihre Öfen hohe Temperaturen und nutzen dafür den guten Brennwert der Reifen. Die Werke sparen teure Steinkohle, verdienen mit dem Verbrennen sogar noch etwas: im Durchschnitt 1 Mark pro Reifen. Aber dieses Geld stecken die meisten Entsorger lieber selbst ein und werfen die Reifen einfach auf die grüne Wiese. So wie der Betreiber dieser Deponie. Sein Name: Michael Kujaht. Als er Anfing, versprach er Arbeitsplätze, doch er brachte nur altes Gummi und nichts als Ärger ins Dorf. Vellahns Ex-Bürgermeister fädelte den Deal 1991 ein, heute ist er Kujahts Partner und will uns an den Dreharbeiten an der illegalen Deponie hindern. Damit Kujahts Berge nicht noch weiter wachsen, haben ihm die Behörden verboten, neues Gummi anzunehmen. Und Kujaht gibt sich folgsam.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Bürger im Dorf behaupten, Sie würden sich nicht drum scheren, Sie würden unter anderem weiter anliefern, stimmt das?"

MICHAEL KUJAHT:

(Deponiebetreiber)

"Das ist absolut falsch, wer sowas behauptet, ist schlicht und einfach gelogen."

INTERVIEWER:

"Sie liefern also kein neues Material an?"

MICHAEL KUJAHT:

"Nein."

KOMMENTAR:

Das stimmt nicht. Vor unseren Augen kommt ein neuer Laster in Vellahn an. Der Fahrer bemerkt uns, und er verschwindet schnell wieder, ohne abzuladen. Wir verfolgen den LKW einige Kilometer bis zu einer Bauschuttdeponie. Der Zugang dorthin wird uns demonstrativ versperrt. Hinter hohen Bauschuttbergen werden die beiden Container versteckt. Der Inhalt wie vermutet: geschreddertes Gummi. Hinterher ergeben die Frachtpapiere: Die Ladung soll später ganz woanders verbrannt worden sein.

Gleich nebenan ist bis vor kurzem in Banzin ein neuer Berg von Entsorger Kujaht angewachsen. Auch hier hätte eigentlich nichts mehr hinzukommen dürfen.

Von seinem Heimatort in Schleswig-Holstein aus steuert Kujaht seine Geschäfte, und die funktionieren denkbar einfach: Haufen aufwerfen, Firma geht pleite, wo das Geld geblieben ist, das er für die Reifen erhielt, weiß keiner. Die Behörden versuchen mit unzähligen Haftandrohungen, Mahnungen und Bescheiden, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Doch offiziell ist bei Kujaht nichts mehr zu holen. Und damit ist er kein Einzelfall, die meisten Entsorger arbeiten so.

0-Ton

HANS-DIETER GOETZE:

(Entsorger)

"Es ist ja bekannt, daß in Müll sehr viel Geld verdient wird und daß auch viele skrupellose Betriebe dabei sind, wo Namen haben, wo auch bekannt ist, daß sie skrupellos sind. Es traut sich kaum einer, den Mund aufzumachen. Das ist mal ganz klar anzuprangern, daß es so nicht mehr weitergeht, daß wir, die Seriösen, ständig von der Behörde gepiesackt werden, und die schwarzen Schafe laufen rum und machen weiter ihren Betrieb, verdienen richtig Geld. Das kann ja wohl irgendwo nicht sein."

KOMMENTAR:

Das schwarze Schaf Kujaht verdiente sein Geld auch in Mannheim. Maximal 1.000 Tonnen Altreifen hätte er auf diesem Platz kurzfristig lagern dürfen. Doch Kujaht brachte bis zu 10.000 Tonnen hierher und nicht nur die erlaubten Reifen. Die Behörden hier wußten nichts von Kujahts Aktivitäten andernorts und sind hilflos.

0-Ton

JOSEF KRAH:

(Umweltamt Mannheim)

"Ich meine fast auch, daß ein Land hier überfordert ist. Das muß an uns für sich auf eine andere Ebene hoch. Die Umweltminister müßten sich fast drum kümmern, damit hier diese Tausende von Tonnen, die jährlich in Deutschland hier anfallen, einen entsprechenden Verwertungsweg finden. Die gibt es ja."

KOMMENTAR:

Derweil bleiben die Mannheimer Berge unberührt, doch dafür gut bewacht.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Wir machen Bilder hier von diesem Müllberg."

MANN:

"Für wen?"

INTERVIEWER:

"Für den Norddeutschen Rundfunk."

MANN:

"Das ist wohl ein Witz. Wenn Sie hier noch mal reinfahren, ist der Teufel los hier."

INTERVIEWER:

"Was haben Sie hier zu tun auf dem Gelände, gehören Sie zum Gelände?"

MANN:

"Der gehört uns, der Platz."

INTERVIEWER:

"Und wer sind Sie?"

MANN:

".... mein Name."

INTERVIEWER:

"Und welche Firma ist das?"

MANN:

"HOCHTIEF. Ist untervermietet."

INTERVIEWER:

"An wen?"

MANN:

"An die Firma GRAS."

INTERVIEWER:

"Gibt es die Firma noch?"

MANN:

"Noch gibt es sie."

INTERVIEWER:

"Und wo ist sie, wo sitzt die?"

MANN:

"Hier sind sie nicht."

KOMMENTAR:

Hier nicht und auch anderswo nicht. Kujahts Mannheimer Firma namens GRAS ist bankrott, ihr Anschluß stillgelegt.

So hat nun neben der Stadt Mannheim der Eigentümer des Geländes, die Firma HOCHTIEF, ein Problem. Der Platz muß geräumt werden, doch wer soll das bezahlen? Um solche Zustände zu verhindern, entwickelte der Bundesverband Reifenhandel ein Zertifikat für saubere Entsorger - viel Papier für die weiße Weste.

0-Ton

PAUL RÖSLER:

(Bundesverband Reifenhandel)

"Die Zertifizierung grundsätzlich wurde als freiwillige Initiative gestartet. Das heißt ganz einfach, daß ein Unternehmen nicht verpflichtet war, sich zertifizieren zu lassen, sondern das vielmehr als Werbeartikel nach außen hin darstellen wollte und gleichzeitig sich einer Kontrolle unterziehen wollte, die durch neutrale Organe wie den TÜV oder andere Stellen nachher durchgeführt wird."

0-Ton

HANS-DIETER GOETZE:

(Entsorger)

"Aber wenn jemand kriminell ist, nützt das Gütesiegel gar nichts. Er weiß ganz genau, wie er es umgehen kann, und er zahlt - sagen wir mal, was kostet das Gütesiegel? - 10.000 Mark, hat er 10.000 Mark investiert, kann als seriöser Entsorger auftreten und mehr nicht."

KOMMENTAR:

Nur jeder zehnte der 400 deutschen Entsorger hat so ein Zertifikat. Kujaht selbst scheiterte im Prüfverfahren. Kein Wunder: seine Vellahner Deponie liegt mitten im Naturpark. Trotz allem gibt Kujaht vor, ein Geschäftsmann zu sein, der sauber arbeitet.

O-Ton

MICHAEL KUJAHT:

"Es ist natürlich eine schnelle Mark zu verdienen, nur, wenn ich sowas vorgehabt hätte, würde ich mich nicht mit voluminösen Reifen beschäftigen, da gibt's andere Stoffe, die wesentlich kleiner sind und die wesentlich mehr Geld bringen. Das ist absoluter Quatsch."

KOMMENTAR:

Nach Aussagen von Mitarbeitern hat er aber genau das getan.

0-Ton

GÜNTHER SCHWANETHAL:

(Ex-Mitarbeiter)

"Das war ein ganz feines Pulver, und es hat verschiedene Farben gehabt. Um Gottes Willen, ich hab's nicht angefaßt. Gut ging es uns danach allen nicht. Wir haben ein Kratzen im Hals gehabt, dann war mal wieder ein paar Tage Ruhe, und dann kam wieder eine Ladung."

KOMMENTAR:

Die Reifenberge sind brandgefährlich, im wahrsten Sinne des Wortes. Hier Bilder einer Deponie in Hessen. Bei Kujaht hat es schon zweimal gebrannt. Seine Mecklenburger Brandschutzmaßnahmen sind zynisch: ein alter Feuerlöscher für eine ganze Deponie. Umweltgefahr auch für's Wasser. Dieser Bach in der Nähe seiner Deponie ist belastet. So sagt ein neues Umweltgutachten:

0-Ton

HANSJÜRGEN ENGEL:

(Umweltamt)

"...., daß eben durch diese Anlage, durch die Gummiablagerungen, eine Belastung des Grundwassers nachgewiesen worden ist."

KOMMENTAR:

Und aus dem speist sich das Vellahner Waldschwimmbad. Derartige Umweltsauereien sind seit Jahren bundesweit in den Schlagzeilen, doch die Politiker zögern immer noch.

0-Ton

DR. ULRICH MANN:

(Staatssekretär Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern)

"Ich könnte mir vorstellen, es gibt ja diese Form der Zusammenarbeit in der Umweltministerkonferenz und ihr vorgeschaltet in der Konferenz der Staatssekretäre, mal die Frage dort aufzuwerfen, ob dort auch das Phänomen gesehen wird eines Mülltourismus oder eines Frevels gegen Umwelttatbestände im Umherziehen. Wenn das in einer genügenden Häufigkeit beobachtet wird, dann könnte man auch mal darüber reden, welche Abwehrmöglichkeiten man im Verbund aller Länder in diesem Punkte hätte."

KOMMENTAR:

Sorglose Politiker und schlecht informierte Behörden tragen auch dazu bei, daß die Berge weiter wachsen - jedes Jahr um weitere 20 Millionen Reifen. Und die skrupellosen Entsorger machen sich darüber noch lustig.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Können Sie verstehen, daß die Menschen Sie gerne los haben wollen, Sie und Ihren Müll?

MICHAEL KUJAHT:

"Ja, woran mag das liegen, das weiß ich nicht. Vielleicht bin ich einigen Leuten mal auf den Schlips getreten, da möchte ich mich auch so weiter nicht zu äußern. Die Leute wissen, wie ich über sie denke, und da habe ich einen schlicht und einfachen Spruch immer: Was stört's eine norddeutsche Eiche, wenn sich da mal 'ne Wildsau an scheuert."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

In der Branche gibt es einen Spruch: Dreimal bankrott und viermal abgebrannt - wenn du dann noch nicht Millionär bist, hast du was falsch gemacht. Nach dem Motto arbeitet dieser feine Herr wohl, und solange da Chaos in den Behörden herrscht, ist dem auch nicht beizukommen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.10.1997 | 21:00 Uhr