Tod einer Polizistin - Wie Berliner Ganoven internationale Politik machen

von Bericht: John Goetz

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Ein Kreuz auf einem Friedhof © dpa-Bildfunk Foto: Maurizio Gambarini

Dem aktiven Weltterroristen Muammar el-Gaddafi ist jede politische und gewaltsame Tat zuzutrauen, darüber sind sich Politiker, Weltpresse und eigentlich wir alle uns einig. Beispiel:

Tod einer Polizistin vor der lybischen Botschaft
Ein Bericht von 1997 über die Polizistin Yvonne Fletcher, die vor der lybischen Botschaft in London erschossen wurde.

Vor der libyschen Botschaft in London wird eine junge Polizistin erschossen. Die Schüsse können nur aus dem libyschen Volksbüro kommen, so nennt sich die Botschaft. Die Empörung war groß damals, vor 13 Jahren, weil der vermeintliche Mörder der Polizistin Immunität besaß, man ihn nicht bestrafen konnte. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Libyen sind seither abgebrochen. Heute abend erfahren wir: Es war alles ganz anders. Die Spuren sollen nach Deutschland führen, zu Kriminellen der Berliner Unterwelt. In einer Stunde wird diese Nachricht, eine längere Dokumentation, aus der Sie gleich einen Teil sehen werden, auch in Großbritannien ausgestrahlt.

John Goetz hat zusammen mit einem Team vom britischen Channel 4 Dispatches monatelang nach der Wahrheit gesucht. Zusammen mit Stephan Wels berichtet er uns, wie die Berliner Unterwelt Weltpolitik machte.

KOMMENTAR:

Ihren inneren Frieden hat sie bis heute nicht gefunden: die 62jährige Queeny Fletcher. 13 Jahre ist es her, daß ihre Tochter Yvonne starb. Der englische Staat hat ihr ein Denkmal errichtet. Erinnerung an ein spektakuläres Verbrechen, das bis heute viele Rätsel aufgibt.

Der 17. April 1984. Ein Grüppchen Gaddafi-Gegner demonstriert vor der libyschen Botschaft in London. Die Polizistin Yvonne Fletcher und ihre Kollegen sperren das Gelände ab. Ein Routineeinsatz, der urplötzlich zum Alptraum wird. Es fallen Schüsse, offenbar aus der libyschen Botschaft, eine Maschinengewehrsalve. Yvonne Fletcher sinkt zu Boden. Stunden später stirbt sie im Krankenhaus. Sie ist das einzige Todesopfer, zehn Demonstranten werden schwer verletzt. Die Folge: Die diplomatischen Beziehungen werden abgebrochen. Englische Polizei umstellt die Botschaft, aber schließlich müssen die Engländer den mutmaßlichen Mördern freien Abzug gewähren.

Zwei Jahre danach späte Rache für Yvonne Fletcher: Die englische Regierung ließ damals amerikanische Bomber von ihren Flughäfen starten, um Libyen zu bombardieren. Über fünfzig Tote zähle man nach dem Angriff.

Staatsakt für die 25jährige Yvonne Fletcher. Bis heute macht Scotland Yard Gaddafi für den Tod der Polizistin verantwortlich, einer von vielen Morden eines Terrorregimes. Aber war tatsächlich alles so, wie es damals schien?

Nichts sei so gewesen, wie es damals schien, sagt er, Manfred Meyer aus Berlin, mehrfach vorbestraft. Nicht Gaddafi sei der Mörder, sondern Gaddafis Gegner, denen hätten er und seine Komplizen die Mordwaffe geliefert.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Und Sie sind der Meinung, daß die Mordwaffe hier aus Berlin geliefert worden ist?"

MANFRED MEYER:

"Wir haben ganz offen darüber gesprochen, daß es unsere Waffe war. Das ist unser Ding, so haben wir gesprochen damals. Wir haben da nicht so gesessen, haben da so drum herum. Unsere Waffe, und hat geklappt, gut."

INTERVIEWER:

"Das ist sehr wichtig, was Sie sagen. Sie können das mit Sicherheit sagen?"

MANFRED MEYER:

"Das kann ich mit Sicherheit sagen, ja."

KOMMENTAR:

Manfred Meyer muß es eigentlich wissen. Er war nachweislich Mitte der achtziger Jahre Helfershelfer einer exillibyschen Terrororganisation namens El-Burkhan, der Vulkan. Deren Ziel war Gaddafis Sturz. Unterstützer Meyer trainierte in dieser Lagerhalle damals Schießen.

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MANFRED MEYER:

"Also hier am Ende unten, da ist ein Keller, also ein richtiger großer, massiver Industriekeller, also ein wahnsinnig gewaltiges Ding, auch ganz dicke Mauern. Und unten drunter, es geht so ungefähr acht, zehn Meter runter, da haben wir dann geschossen. Also ich hab' da geschossen."

KOMMENTAR:

Was sich skurril anhört, ist blutiger Ernst. Neben Meyer waren bei El-Burkhan mit von der Partie: der Ingenieur Helmut Nägler in der Bildmitte sowie rechts Meyers Chef, ein Berliner Bauunternehmer - keine Überzeugungstäter, vielmehr gegen Geld versorgten sie die Exillibyer mit Waffen. Auf das Konto von El-Burkhan gingen etliche Morde, vor allem an Gaddafis Diplomaten. Hier eines der Opfer in Rom, es zog noch seinen Revolver, um sich zu wehren. Die Waffen für etliche Morde, so ermittelte das Bundeskriminalamt, hatte die Berliner Truppe besorgt. Akribisch listete die Polizei die mutmaßlichen Taten auf. Unter anderem für die Waffenlieferungen wurden die drei 1987 verurteilt. Aber mit dem Tod Yvonne Fletchers wurden sie nie in Verbindung gebracht - zu Unrecht. Meyers ehemaliger Kompagnon Helmut Nägler schildert dem britischen Fernsehen, wie die mutmaßliche Mordwaffe nach London kam.

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HELMUT NÄGLER:

"Die Waffen waren in dem Auto, das ich nach London fuhr. Ich fuhr das Auto."

KOMMENTAR:

Drei Waffen, Pistolen, so erzählt Helmut Nägler, hat er am 28. Februar 1984 in einem Mercedes von Berlin nach England geschmuggelt. In London schließlich, im Hotel Lancaster, habe er die Waffen an den libyschen El-Burkhan-Funktionär Rageb Zatout übergeben. Was mit den Waffen geplant war, habe er nicht gewußt, beteuert Nägler. Meyer hingegen wußte schon Wochen vor dem Tod von Yvonne Fletcher, was für eine Art Aktion geplant war.

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MANFRED MEYER:

"Es war geplant, deswegen auch die Waffe, daß jemand damit erschossen wird. Die Aktion sollte so aussehen, daß das quasi die Handschrift von Gaddafi getragen hätte."

KOMMENTAR:

Dies gelang. Durch die Londoner Schüsse war Gaddafi als Mörder gebrandmarkt, und jegliche Bestrafung eines Mörders erschien fortan nur gerecht. In Berlin jedenfalls wurde der Tod von Yvonne Fletcher förmlich gefeiert. Als die Nachricht im Radio gemeldet wird, rennt Meyer zum Chef der Gruppe, den Bauunternehmer.

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MANFRED MEYER:

"Ich bin dann eh gleich rüber, Treppe hoch zu ihm und hab' ihm dann die Nachricht erzählt. Und er war hellauf begeistert, hat Freudentänze gemacht."

KOMMENTAR:

Was Meyer heute öffentlich sagt, hat er schon einmal zu Protokoll gegeben, vor zwölf Jahren beim Bundeskriminalamt, nur wollte es damals wohl keiner hören. Meyer sagte aus, der Bauunternehmer habe ihm den Mord regelrecht erklärt: In England sei auf die Polizistin geschossen worden, um die diplomatischen Beziehungen zwischen Libyen und Großbritannien zum Abbruch zu bringen.

Von Meyers Aussage wurde, so zeigen Dokumente, auch Scotland Yard informiert. Aber die Spur wurde offenbar nie weiter verfolgt, sie war wohl politisch zu unbequem. Bis heute sagt Scotland Yard, Gaddafis Diplomaten haben Yvonne Fletcher umgebracht. Dabei müßten sie es besser wissen, diese Tatversion strotzt vor Ungereimtheiten.

Erwiesen ist: Aus der libyschen Botschaft ist tatsächlich geschossen worden. Im ersten Stock fand man Pulverspuren. In einem Winkel von ca. 15 Grad wurden die Demonstranten getroffen. Aber haben diese Kugeln Yvonne Fletcher getötet? Sie wurde laut Obduktionsbericht in einem sehr viel steileren Winkel beschossen, nicht aus der libyschen Botschaft, sagt etwa ein ehemaliger Arzt der Britischen Armee.

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HUGH THOMAS: (Übersetzung)

(Gerichtsmediziner)

"Die Kugel ging in ihren Oberkörper, in die Leber, in einem 60- bis 70-Grad-Winkel. Das heißt, es ist von jemandem geschossen worden, der im 6., 7. oder 8. Stock eines großen Gebäudes stand."

KOMMENTAR:

In England wurde nie gegen El-Burkhan ermittelt. Fast scheint es, als habe jemand seine schützende Hand über die Organisation gehalten.

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MANFRED MEYER:

"Angst in der Beziehung hatte ich nicht, weil ich von ...... gehört habe, daß eben die Amerikaner uns da absichern, egal, was passiert."

KOMMENTAR:

Auch er genoß guten Schutz, Rageb Zatout, der libysche Verbindungsmann der Berliner. Er lebt heute bequem in Amerika. Der Berliner Staatsanwalt, der ihn Mitte der achtziger Jahre wegen Waffenhandels verfolgte, konnte ihn nie verhören.

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INTERVIEWER:

"Man spekuliert, daß Herr Zatout von den Amerikanern geschützt wurde, kann das sein?"

CLEMENS-MARIA BÖHM:

(Oberstaatsanwalt)

"Weiß ich nicht. Ich weiß nur, er ist nicht nach Deutschland gekommen, ich weiß nur, daß ich keine Antwort auf mein Rechtshilfeersuchen bekommen habe."

KOMMENTAR:

Nie beantwortet wird wohl auch die Frage, wer genau damals gefeuert hat. Aber Mitverantwortung übernimmt einer heute schon öffentlich.

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INTERVIEWER:

"Was würden Sie heute zur Mutter von Fletcher sagen?"

MANFRED MEYER:

"Daß es mir leid tut."

INTERVIEWER:

"Wofür?"

MANFRED MEYER:

"Naja, daß ihre Tochter quasi durch uns oder durch unsere Mithilfe ums Leben kam."

KOMMENTAR:

Ein Trost für sie, Queenie Fletcher, ist das nicht. Sie will von ihrer Regierung jetzt die ganze Wahrheit wissen.

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QUEENIE FLETCHER: (Übersetzung)

"Ja, es ist schmerzlich, aber bis der ganze Fall aufgeklärt ist, ist es nicht nur schmerzlich für uns, sondern für alle Polizisten, die damals dabei waren. Schmerzlich ist es, nicht zu wissen, was eigentlich passierte."

KOMMENTAR:

Letzte Wahrheiten wird es in diesem Fall nie geben, wohl aber einen schlimmen Verdacht: daß der Tod einer Polizistin nur ein Bauernopfer im Kampf gegen Gaddafi war.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Wir wollten von Scotland Yard noch mehr erfahren, aber unser Interview-Wunsch wurde abgelehnt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.06.1997 | 21:00 Uhr