Mordfall Weimar - Reaktionen im Dorf Philippsthal

von Bericht: Thomas Berndt, Beate Greindl

Anmoderation:

CHRISTOPH LÜTGERT:

Eine Philippsthalerin nimmt Stellung zum Freispruch von Monika Böttcher © ARD/Panorama Foto: Screenshot

Philippsthal-Röhringshof, eine kleine Gemeinde im Osthessischen, ein Ort, der seine traurige Berühmtheit bis heute daraus zieht, daß dort die Weimar-Mädchen ermordet worden waren. Reinhard Weimar, der Ex-Mann von Monika Böttcher, wohnt noch immer im Nachbardorf. Er ist ein seelischer Krüppel. Heute beim Freispruch im Gießener Gericht, Beifall und Jubel. So launisch ist Volkes Meinung. Denn als Monika Weimar vor neun Jahren zu Lebenslänglich verurteilt worden war, gab es auch Beifall. Da juchzte die Philippsthaler Volksseele. Ihre Vorurteile gegen die als Amihure geschmähte Frau waren schließlich rechtskräftig geworden. Und heute in Philippsthal nach dem Urteil?

Mordfall Weimar - Reaktionen im Dorf Philippsthal
Panorama zeigt 1997 Reaktionen aus dem Dorf Philippsthal, in dem die freigesprochene Monika Böttcher lebte.

Thomas Berndt und Beate Greindl haben nachgesehen und nachgefragt.

KOMMENTAR:

Philippsthal, eine 5000 -Seelen-Gemeinde zwischen Kali-Bergen und dem Autobahndreieck Kirchheim. Heute morgen um halb zehn die Eilmeldung im Radio:

0-Ton

"Das mit großer Spannung erwartete Urteil im Mordfall Weimar ist soeben verkündet worden. Monika Böttcher ist freigesprochen worden."

KOMMENTAR:

Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer, denn hier in Philippsthal wurden Karola und Melanie Weimar ermordet. Hier in der Ausbacherstraße wohnte die Familie, und hier lebt auch die Zeugin, die Monika Böttcher damals schwer belastet hat: die Nachbarin Elisabeth Nordheim. Heute kein Kommentar zum Freispruch. Vor fast zehn Jahren, als Monika Böttcher zu Lebenslang verurteilt wurde, war sie weniger kamerascheu.

O-Ton

ELISABETH NORDHEIM:

"Lieber Herrgott, ich dank' dir."

0--Ton

RADIOBERICHT:

"Das Gericht verurteilte die 29jährige wegen der Tötung ihrer beiden fünf und sieben Jahre alten Töchter zu lebenslanger Haft."

0-Ton

ELISABETH NORDHEIM:

"Gott sei Dank! Ich hab' euch gesagt, sie hat die Kinder umgebracht, ich hab's euch immer gesagt."

KOMMENTAR:

Lediglich ihre Schwägerin, Sylvia Nordheim, kommentiert widerwillig das heutige Urteil.

O-Ton

SYLVIA NORDHEIM:

"Wenn ich mit so viel Geld ..... den Tod mit den Kindern .... und werde noch freigesprochen, ganz ehrlich ist 'ne Sauerei."

INTERVIEWER:

"Was ist das?"

SYLVIA NORDHEIM:

"Eine Sauerei, find' ich nicht gut. Kann ich auch einfach hingehen, kann meine Kinder umbringen, und mach 'ne Million mit, oder was. Und jetzt hören Sie auf, Schwiegereltern möchten nicht."

KOMMENTAR:

Der Freispruch verunsichert aber auch einige im Dorf, denn sie hatten fest an die Schuld der Mutter geglaubt. Nun ist eine alte Frage wieder aktuell: Hat vielleicht doch nicht sie, sondern der Vater Reinhard Weimar, die Kinder getötet?

Der lebt zurückgezogen bei seiner Mutter im Nachbardorf. Weder seine Schwägerin, noch er will zum heutigen Urteil etwas sagen.

0--Ton

INTERVIEWERIN:

"Können Sie nicht kurz mal sagen, wie Sie das finden?

Herr Weimar, können Sie mal kurz eine Stellungnahme geben?"

KOMMENTAR:

Kurze Zeit später: Reinhard Weimar wird von seiner Familie versteckt. Auf Anraten seines Anwalts soll er sich auf keinen Fall den Fragen der Presse stellen. Schon seit längerem gilt Weimar als psychisch krank.

Die Kali-Grube, wo Reinhard Weimar früher gearbeitet hat. Für einige Kumpels hier ist der Freispruch wie ein Schock. Viele wollen davon gar nichts wissen.

O-Ton

INTERVIEWERIN:

"Monika Böttcher ist heute freigesprochen worden, was halten Sie davon?"

KUMPEL:

"Wir sagen dazu nichts. Kein Kommentar."

INTERVIEWERIN:

"Monika Böttcher ist heute freigesprochen worden, was halten Sie davon?"

KUMPEL:

"Keine Ahnung."

KOMMENTAR:

Und wenn hier jemand irgendwas sagt, dann steht er meistens hinter dem alten Kumpel Weimar.

O-Ton

KUMPEL:

"Er, der konnte keiner Fliege was zu leid tun."

INTERVIEWERIN:

"Woher wissen Sie das?"

KUMPEL:

"Das weiß ich, weil das mein Arbeitskollege war, daher weiß ich das."

KOMMENTAR:

Die Philippsthaler verzeihen Monika Böttcher zum Teil immer noch nicht, daß sie ihren Mann damals betrogen hat - mit einen US-Soldaten.

O-Töne

FRAUEN:

"Wir waren gestern in der Frauenhilfe zusammen hier, und da ist darüber geschwätzt worden. Die haben alle gesagt: Dem Luder gehört nichts."

"Die durfte nicht freikommen, die muß hinter Schloß und Riegel bleiben, aber nicht freikommen."

INTERVIEWERIN:

"Warum?"

FRAU:

"Weil die es gewesen ist, oder sie hatte noch einen dabei, der es gemacht hat, das olle Flittchen."

MANN:

"Die hat doch gelogen, von vornherein bis hinten hin. Wenn sie es nicht war, weiß sie es mindestens, wer es gewesen ist."

KOMMENTAR:

Doch nicht alle denken so in Philippsthal, ab und zu hört man auch selbstkritische Töne.

0-Ton

INTERVIEWERIN:

"Hat man ihr vielleicht doch Unrecht getan?"

MANN:

"Das ist eine schöne Frage. Wie soll ich es beurteilen? Sie ist freigesprochen worden, also hat man ihr wahrscheinlich Unrecht getan. Ob es so ist, weiß ja keiner.

Abmoderation:

CHRISTOPH LÜTGERT:

Viel selbstgewisse Volksjustiz, für die nicht das Rechtsprinzip gilt: Im Zweifel für die Angeklagte.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.04.1997 | 21:15 Uhr