Opferrente für Kriegsverbrecher - Heftige Reaktionen auf Panorama-Enthüllung

von Bericht: John Goetz und Volker Steinhoff

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Streß herrscht zur Zeit im Bundessozialministerium und bei Versorgungsämtern, und schuld daran sind wir. Heute vor drei Wochen haben wir in PANORAMA aufgedeckt, daß Kriegsverbrecher und ehemalige SS-Angehörige sogenannte "Opferrenten" von unserem Steuergeld erhalten.

Opferrente für Kriegsverbrecher
Panorama berichtet 1997 über Nazi-Kriegsverbrecher, die seit Jahren Versorgungsbezüge vom deutschen Staat erhalten.

Die Reaktionen waren vielfältig: Während Medien in der ganzen Welt sich daraufhin mit dieser Auszahlungspraxis made in Germany beschäftigten, Abscheu und Empörung äußerten, haben holländische und dänische SS-Veteranen andere Sorgen: Viele sehen sich um die bundesdeutsche Opferrente betrogen. Sie haben erst durch unsere Sendung und das Echo darauf von ihrem Rentenanspruch erfahren. Und jetzt wollen sie in aller Schamlosigkeit für ihre SS-Zugehörigkeit, für ihre Verbrechen auch noch Geld sehen.

Viel zu tun für die Versorgungsämter, die diese Rente auszahlen. Und daß die SS-Veteranen vielleicht noch zu ihrem Recht kommen, verdanken sie PANORAMA - eine groteske Folge unseres Berichts. Scham und Schande empfindet man nun im Blüm-Ministerium angesichts jahrelanger Finanzierung von SS-Angehörigen. Darüber hätten wir gern mit unserem sonst so meinungsfreudigen Norbert Blüm gesprochen, aber unser Sozialminister hat in nunmehr vier Wochen "keine Zeit gefunden", so ließ er uns mitteilen, um öffentlich, vielleicht sogar vor der Kamera dazu etwas zu sagen.

Bei uns, hier in der PANORAMA-Redaktion, haben sich viele KZ-Opfer gemeldet, die bis heute keinen Pfennig Rente bekommen haben. Dafür genießen, wie John Goetz und Volker Steinhoff inzwischen noch herausfanden, die Täter von damals bis heute nicht nur ihr Geld, sondern auch noch eine ganz besondere Fürsorge des deutschen Staates.

KOMMENTAR:

Dänische Freiwillige der Waffen-SS. Damals mit Deutschland verbunden durch Hitler, heute durch die sogenannte Opferrente. Die Zusatzrente bekommt jeder, der eine Verletzung von damals vorweisen kann. Zuständig für Dänemark ist das Versorgungsamt Schleswig. Hier hat man, wie auch in anderen Versorgungsämtern, eine besondere Fürsorge für die SS-Veteranen entwickelt.

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INTERVIEWER:

"Wie werden die Opferrenten an die dänischen SS-Freiwilligen ausgezahlt, offen oder verdeckt?"

DIETRICH HENSEL: (Versorgungsamt Schleswig)

"Verdeckt, und zwar über das Deutsche Rote Kreuz erfolgt die Zahlung dann an den Bund der Nordschleswiger. Die zuständige Stelle ist das deutsche Generalsekretariat in Apenrade."

INTERVIEWER:

"Warum verdeckt?"

DIETRICH HENSEL:

"Grund für die Verdeckung der Zahlung ist, daß man diesen Personenkreis schützen wollte vor Repressalien, das kann man so ganz allgemein sagen, vor Repressalien in Dänemark."

KOMMENTAR:

Welch gewissenhafte Betreuung.

Apenrade, Dänemark. Das Geld des deutschen Versorgungsamtes für ganz Dänemark fließt hierher, an den Bund Deutscher Nordschleswiger. Von diesem Büro aus werden die deutschen Steuergelder an die SS-Veteranen verteilt.

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PETER IVER JOHANNSEN: (Bund Deutscher Nordschleswiger)

"Das machen wir nicht ehrenamtlich, und wir bekommen vom Versorgungsamt in Schleswig eine Verwaltungskostenpauschale für die Leistungen, die wir durchführen."

KOMMENTAR:

Die verdeckten Zahlungen werden also auch noch entlohnt - zur Freude der Kameradschaft der SS-Veteranen, hier Privatfotos. Denn bis vor einiger Zeit durften sie sogar selbst bestimmen, wer die verdeckten Gelder verteilt.

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ANDREAS FLEISCHER: (ehem. Waffen-SS, Kameradschaft Nordschleswig)

"Wir haben unseren Mann da gehabt, und dieser Mann, der hat auch das übernommen für das Versorgungsamt Schleswig, die Anträge gestellt, die Bearbeitung gemacht."

KOMMENTAR:

Die heutigen Opferrentner hatten sich damals freiwillig zur SS gemeldet. Durch das Verdecken der Zahlungen bis heute sollten die Dänen auch vor ihrer eigenen Justiz geschützt werden.

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INTERVIEWER:

"Als es eingeführt wurde, und das ist ja sozusagen der Grund, weswegen es heute existiert, spielte doch die Möglichkeit des Landesverrates eine große Rolle?"

DIETRICH HENSEL: (Versorgungsamt Schleswig)

"Das ist richtig, ja. Die Interessenlage ist total unterschiedlich. Ich sehe auch nicht den Auftrag Deutschlands, nun nach dem Kriege diese Menschen sozusagen ans Messer zu liefern."

INTERVIEWER:

"Ist Dänemark das einzige Land, in das jemals solche verdeckten Zahlungen geflossen sind, oder gab es zumindest früher auch andere Länder?"

DIETRICH HENSEL:

"Meines Wissens ist das in allen Ländern - in Holland, den Benelux-Staaten - zum Beispiel, auch so gewesen. Aber in den Belelux-Staaten ist es schon vor einiger Zeit geändert worden."

INTERVIEWER:

"Gibt es für diese Praxis eine Grundlage in einem deutschen Gesetz?"

DIETRICH HENSEL:

"Es gibt kein Gesetz oder keine Verordnung, die das nun bestimmt. Aber es gibt auf der anderen Seite auch kein Verbot dagegen, diesen Zahlweg so zu betreiben."

INTERVIEWER:

"Warum stoppen Sie nicht die verdeckten Zahlungen und zahlen offen?"

DIETRICH HENSEL:

"Zur Zeit noch weil die Versorgungsberechtigten, die davon betroffen sind, das wünschen. Die wünschen also diesen Zahlweg."

KOMMENTAR:

Um das herauszufinden, hat das Versorgungsamt bei den dänischen SS-Zusatzrentnern sogar extra eine Umfrage durchgeführt. Deutschlands grenzenlose Fürsorge für die Täter von einst. Jetzt wird man in Schleswig nachdenklich.

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DIETRICH HENSEL:

"Und ich gehe mal davon aus, wenn diese Sendung gelaufen ist und das in Dänemark vielleicht noch weitläufig bekannt wird, daß dann wahrscheinlich die offene Zahlung auch aufgenommen werden kann."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.02.1997 | 21:00 Uhr