Mordfall Weimar - Der Freispruch

von Bericht: Wolfram Bortfeldt, Tilmann Büntz

Anmoderation:

CHRISTOPH LÜTGERT:

Monika Böttcher, vormals Weimar. © dpa - Fotoreport Foto: Katja Lenz

Freispruch im Mordfall Weimar - heute der Schwerpunkt in Panorama. Deshalb eine etwas andere Ausgabe als gewohnt. Guten Abend.

Mordfall Weimar - Der Freispruch
Monika Böttcher, geschiedene Weimar, wurde von der Anklage des Mordes an ihren beiden Töchtern freigesprochen.

Kaum ein anderer Prozeß in Deutschland hat Volksseele, Stammtische, Juristen und Medien so fasziniert und polarisiert. War sie's oder war sie's nicht? War Monika Weimar - heute heißt sie Böttcher - die gewissenlose Lügnerin, die ihren Mann betrog und wegen eines amerikanischen Geliebten vor elf Jahren ihre kleinen Töchter ermordete? Oder war Monika Weimar die liebende und hilflose Mutter, die jahrelang unschuldig im Gefängnis saß? Dazwischen - so scheint es - gibt es nichts.

Vor neun Jahren Lebenslänglich und heute vom Landgericht Gießen Freispruch. Justizirrtum damals und Gerechtigkeit jetzt? Oder umgekehrt?

Wolfram Bortfeldt und Tilmann Büntz waren heute in Gießen dabei, als das Urteil verkündet wurde.

Mordfall Weimar

KOMMENTAR:

Landgericht Gießen - heute mittag. Blumen und Beifall für Monika Böttcher. Um 11.50 Uhr verläßt sie als freie Frau den Berichtssaal. Freispruch oder Lebenslänglich - dazwischen gab es nichts. Nach zehn Monaten Verhandlungsdauer endlich das lang erwartete Urteil: Freispruch. Vor neun Jahren lautete das Urteil Lebenslänglich. Medienspaktakel zum Prozeßende. Doch was im Saal vorgeht, bleibt für die Kameras tabu.

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DR. BERND SCHNEIDER:

(Anwalt des Nebenklägers)

"Der Urteilstenor ist verkündet worden mit dem Inhalt: Freispruch, aber keine Entschädigung für die erlittene Haft, noch kein Wort der Begründung ist gefallen, weil Frau Böttcher zusammengebrochen ist. Und jetzt ist eine Pause gemacht worden, weil sowohl Frau Böttcher als auch die beiden Schöffinnen deutliche emotionale Reaktionen zeigten."

KOMMENTAR:

Nach 15 Minuten geht es weiter, der Richter verliest die Urteilsbegründung. Wenig später erste Reaktionen von Monika Böttcher.

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MONIKA BÖTTCHER:

"Es sind so viele Gefühle in mir, also das erste war natürlich der Gedanke an Melanie und Karola, und, ja, ich fühle mich glücklich, jetzt endlich von dieser Anspannung und Ungewißheit befreit zu sein."

KOMMENTAR:

Währenddessen Diskussionen unter den Zuschauern draußen. Die ersten haben sich nachts um zwei angestellt.

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FRAU:

"Ich hab' nur gesagt, in der Haut des Richters möchte ich halt nicht stecken, weil ich denke mir, es ist unheimlich schwierig, zu urteilen. Es ist halt auch erschreckend, wie leicht die Leute hier teilweise urteilen über die Schuld, ob die Frau jetzt schuldig ist oder er."

FRAU:

"Eine gewisse Mitschuld, diese Verschleierung, die sie auch gemacht hat, trägt sie eine gewisse Mitschuld mit. Was sie da mitgemacht hat, das konnte ja keiner sagen oder beweisen. Aber ich denke mir, in diesen neun Jahren hat sie das wirklich abgesühnt."

KOMMENTAR:

Die Stimmung ist gekippt und ganz anders als bei dem ersten Prozeß vor neun Jahren in Fulda, damals Lebenslänglich.

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MONIKA BÖTTCHER:

"Also es waren nur Männer gewesen, die das Urteil in Fulda gesprochen haben, und hier in Gießen war es von Anfang an, daß die Zuschauer auf mich zukamen, teils auf mich zukamen, teils neutral waren, und auch die Kammer gemischt war, also das zwei Frauen dabei waren, wobei ich denke, Frauen können sich da immer noch besser reinversetzen in die Gefühle einer anderen Frau als Männer.

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DR. BERND SCHNEIDER:

(Anwalt des Nebenklägers)

"Ich habe den Eindruck, aber das ist ein Eindruck durch die emotionale Reaktion der Schöffinnen, daß insbesondere Nichtberufsrichter dem medialen Druck einer Vorfreisprechung, die ähnlich schlimm ist wie eine Vorverurteilung, dem medialen einer Vorfreisprechung nicht gewachsen waren. Und die Kürze und, ich finde auch, ein wenig die Dürftigkeit des Urteils war für mich aus der Sicht der Berufsrichter nicht überzeugend."

KOMMENTAR:

Also Freispruch zweiter Klasse - mangels Beweisen - für die Angeklagte.

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ERNST BAUER:

(Staatsanwalt)

"Es reichen ja schon geringe vernünftige Zweifel, um zu einem Freispruch zu führen. Das ist halt das Prinzip des Strafprozesses. Insofern kann man schon sagen, daß es insofern überzeugend ist, braucht man sich nicht mit allen Beweismitteln hier auseinanderzusetzen. Man muß nur die Zweifel darlegen, die dem Gericht geblieben sind und die dann zu diesem Freispruch geführt haben.

KOMMENTAR:

Was Monika Böttcher entlastet, belastet ihren geschiedenen Mann. Sollte Reinhard Weimar auf die Anklagebank? Monika Böttcher ist sich sicher.

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MONIKA BÖTTCHER:

"Daß er, ja, eigentlich schon angeklagt werden müßte. Aber da er verhandlungsunfähig ist, ob da mal irgendwann was kommen wird - keine Ahnung. Ich meine, man hat es auch in den vergangenen Jahren gesehen, daß er immer wieder Geständnisse gemacht hat und daß es überhaupt nicht gewertet wurde. Also ich denke mir auch, er kann noch und noch Geständnisse machen, und er wird einfach nicht für voll genommen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.04.1997 | 21:00 Uhr