Bimbo, Affe, Kanake - Wie ausländische Kinder Deutschland erleben

von Bericht: Gesine Enwaldt

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Eine Prostituierte sei sie, sie nehme Drogen und ruiniere die Karriere ihres Mannes, und sie solle doch bitte wieder in den Busch zurückgehen. Das bekam Boris Beckers Frau auf der Straße zu hören oder per Post zugeschickt. Es ging um ihre dunkle Hautfarbe, sie sieht anders aus, und das reichte, um sie so zu diffamieren. Nun hat nicht jedes Paar die Möglichkeit, Deutschland einfach zu verlassen, weil man offene Ausländerfeindlichkeit nicht mehr aushält. Die, die sie am stärksten trifft, sind nicht die, die vermeintlich Jobs wegnehmen oder angeblich das Geld von unserer Regierung hinterhergeworfen bekommen. Es sind die Schwächsten, es sind Kinder, die da am meisten aushalten müssen.

Bimbo, Affe, Kanake: Wie ausländische Kinder Deutschland erleben
Bericht über Alltagsrassismus in Deutschland, mit dem Migrantinnen und Migranten immer wieder konfrontiert werden.

Sie sehen jetzt gleich Momentaufnahmen aus einer Gemeinde in Brandenburg. Gesine Enwaldt hat sich dort umgesehen. Die Menschen, die sie getroffen hat, waren nur unter einer Bedingung bereit, überhaupt vor die Kamera zu gehen: der Name der Gemeinde darf nicht genannt werden. Angst vor Rache, Angst vor Schlägen und Beschimpfungen.

KOMMENTAR:

Wer hier aufwächst, kennt es nicht anders. Dicke Gitterstäbe trennen die Kinder von der Außenwelt. Der Wachschutz immer im Dienst, rund um die Uhr. Ein Asylbewerberheim in einer Kleinstadt irgendwo in Brandenburg. Dieser Hof ist ihr Zuhause. Draußen, das bedeutet Gefahr, sagen die Erwachsenen, sagt auch die Heimleiterin, auf dem Arm die angolanische Elisabeth. Neulich standen sie gemeinsam an der Straße und verabschiedeten einen Bus mit Kindern.

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HEIMLEITERIN:

"Und unmittelbar hinter dem Bus kam ein Pkw angefahren, und der Fahrer macht die Scheibe runter und brüllt mir zu: Schmeiß das Gör weg. Ich war darüber so entsetzt, ich war richtig starr und wußte überhaupt nicht zu reagieren."

KOMMENTAR:

Wir wollten einen Afrikaner interviewen. Der Termin scheiterte: Skinheads schlugen ihn zwei Tage zuvor zusammen. Es ist Elisabeths Vater. Er lag im Krankenhaus. Beim Zeitungsaustragen erwischten sie ihn, morgens um fünf. Ein rechtsradikaler Übergriff, einer von etlichen in Brandenburg. Es passiert fast jeden Tag, fast überall. Jede Zeile ein Vorfall.

Zum Beispiel 22. Januar, Frankfurt/Oder. Zwei Männer reißen einen fünfzehnjährigen Polen zu Boden und verabreichen ihm Faustschläge und Tritte. Dem jungen Polen wird zweimal heißer Kaffee ins Gesicht geschüttet.

Hier wird die Liste erstellt, der Schrecken protokolliert. Bedrohung, Pöbeleien, Schlägereien, registriert von Mitarbeitern des Innenministers. Zwei Tote, über sechzig Verletzte im ersten Halbjahr in Brandenburg. Kürzlich ging hier ein Brief ein. Ein deutscher Unternehmer, allerdings schwarzer Hautfarbe, wollte wissen, ob er in Brandenburg Aufträge annehmen könne, ob er dort Urlaub machen könne oder ob das zu gefährlich sei. Die Antwort: Im Prinzip könne er kommen.

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ALMUTH BERGER:

(Ausländerbeauftragte Brandenburg)

"Aber es ist schon noch einmal eine besondere Schwierigkeit, als jemand hierher zu kommen, der auffällig anders aussieht oder deutlich zeigt, daß er Ausländer ist. Und das macht sich nicht nur an der Hautfarbe fest, unter Umständen reicht ja die Tatsache, daß man englisch spricht oder ein englisches Buch liest, um angegriffen zu werden. Das haben wir leider auch erlebt."

KOMMENTAR:

Vieles hat sie versucht, mit zahlreichen Helfern gegen den Rassismus, ohne Erfolg.

Diese jugendlichen Flüchtlinge in dieser Stadt bleiben unter sich. Ihre Freizeitgestaltung dreht sich um eine Tischtennisplatte, für manche schon seit Jahren. Die Straße verspricht nichts Gutes.

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BEWINDA:

"Zum Beispiel Mutter und Kind gehen spazieren, und die Kinder sagen: Guck mal, die Schwarzen da. Und die Mama sagt: Ja, das ist schwarz. Aber die ist nicht Mensch. Man muß normal sagen: Ja, die ist schwarz, die ist Mensch, die ist gekommen aus Afrika. Man muß seinen Kindern normal erklären. Aber die sagen zu den Kindern so dumme Sachen."

KOMMENTAR:

Sie sagen, sie sehe aus wie ein Affe, sie sagen, sie sei im Feuer verbrannt. Ausländer und Deutsche besuchen dieselben Schulen, privat haben sie selten Kontakt. Die wenigen jungen Deutschen brauchen Mut, heißt es hier, um zu ihren Freundschaften mit Ausländern zu stehen. Oft kommen sie selbst in Gefahr.

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INTERVIEWERIN:

"Wie ist es denn, wenn ihr mit Ausländern, mit Freunden auf die Straße geht abends oder nachmittags?"

DEUTSCHE:

"Nee, du bist sofort Deutschlandverräterin, du bist Verräterin von unserem Land, und du bist eine Ausländerschlampe, und wir hauen dir ein paar auf die Schnauze, wenn wir dich sehen. Und so ist das. Das kannst du gar nicht machen. Deswegen sind wir meist nur hier, oder wir gehen hinten durch den Wald spazieren mit den Jungs, aber auf der Straße kannst du dich überhaupt nicht blicken lassen. Es ist traurig, was ist los ist."

KOMMENTAR:

Auch sie wurde zusammengeschlagen, weil ihr Freund Ausländer ist.

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DEUTSCHE:

"Rippenbrüche, ein geschwollenes Auge, sowas. Naja."

KOMMENTAR:

In der Nacht zum 22. Februar, Ludwigslust. Zwei afrikanische Asylbewerber werden aus einem vorbeifahrenden Auto mit einer Schreckschußpistole beschossen.

Ein Abenteuerspielplatz in dieser Gegend. Die ausländischen Kinder eine Provokation.

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SKIN:

"Keiner will hier was mit Ausländern zu tun haben."

INTERVIEWERIN:

"Und warum nicht?"

SKINS:

"Weiß ich doch nicht, ist nun mal so, wa?"

"Willst du was mit Ausländern zu tun haben?"

"Die sind jahrelang nicht hier gewesen, also brauchen sie nicht herkommen."

"Wir gehen ja auch nicht dahinten hin."

"Die kriegen alles in den Arsch geschoben, gehen hier arbeiten, fahren einen dicken Mercedes, wo gibt's denn sowas."

"Haben neue Klamotten an, kriegen die dicke Kohle in den Arsch gesteckt."

KOMMENTAR:

Feindseligkeit, aber sie halten sich zurück. Wären wir nicht hier, hätte das Schaukeln schnell ein Ende. Vertrieben werden, das gehört zum Alltag der Kinder.

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AUSLÄNDERINNEN:

"Also wenn ich draußen gehe, dann sagen alle: Neger und so, dann schäme ich mich auch ein bißchen, und dann gehe ich lieber rein."

"Manchmal kommen Nazis zu uns, gehen die vorüber mit Fahrrädern und zeigen den Stinkefinger und sagen manchmal noch Ausdrücke dazu."

INTERVIEWERIN:

"Und wie findest du das?"

AUSLÄNDERIN:

"Ich finde das schlecht. Ich will größer werden und die was mal sagen, aber ich kriege es nicht hin, weil sie dann hinterherlaufen und uns verprügeln dann. Das finde ich nicht gut."

KOMMENTAR:

Vor einigen Wochen hat man sie von hier verjagt, man hat sie beschimpft, ihren Ball zerstochen. Seitdem waren sie nicht mehr hier.

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INTERVIEWERIN:

"Was sagt dein Vater?"

SKIN:

"Der sagt: Richtig ruff uff die Schnauze bei den Ausländern, die brauchen das. Das sind doch Schweine."

INTERVIEWERIN:

"Also, wenn du jetzt einen Ausländer verprügeln würdest, würdest du da Ärger kriegen zu Hause?"

SKIN:

"Gefallen würde es denen bestimmt nicht, aber Ärger kriegen direkt auch nicht."

KOMMENTAR:

Die Nachbarin beobachtet oft die gewaltbereiten Deutschen, die hier den Platz beherrschen und entscheiden, wer bleiben darf. Sie bedauert, daß die ausländischen Kinder nicht mehr kommen können. Aber gegen ihre Vertreibung traut sie sich nicht zu protestieren."

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NACHBARIN:

"Wir müssen vorsichtig sein, wir dürfen nichts sagen. Dann kommen sie rüber und randalieren oder schmeißen uns womöglich noch ...."

INTERVIEWERIN:

"Das heißt, Sie dürfen auch nichts sagen?"

NACHBARIN:

"Nein, nein."

INTERVIEWERIN:

"Warum nicht?"

NACHBARIN:

"Ja, warum wohl? Sie wissen ja, der Tag ist hell, und nachts ist es dunkel."

KOMMENTAR:

18. März, Fürstenwalde. Vier Männer verfolgen eine libanesische Familie und greifen sie an. Der Mann erleidet Prellungen und muß ambulant behandelt werden.

Radikal national sozial, faschistische Propaganda, mitten in einem Wohnviertel. Niemand kommt hier auf die Idee, das abzunehmen. Es gibt Gegenden am Stadtrand, die sollten Ausländer nicht betreten.

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INTERVIEWERIN:

"Was man so hört, sollte man hier als Schwarzer nicht so unbedingt langgehen alleine abends, stimmt das?"

JUGENDLICHER:

"Na, ratsam wäre das nicht."

INTERVIEWERIN:

"Warum nicht?"

JUGENDLICHER:

"Weil du keine Chance hast, wenn du hier langläufst. Ich meine, ich wohne hier nicht mehr, aber ich hab' hier gewohnt, und ich weiß, wie es hier ist. Und da hast du einfach keine Chance. Und deswegen."

INTERVIEWERIN:

"Wie ist es denn hier?"

JUGENDLICHER:

"Na, das ist zu radikal."

KOMMENTAR:

Zu radikal gegen Fremde bei nur einem Prozent Ausländeranteil in diesem Landkreis. Auch die Kleinen wissen, wer dieses Viertel kontrolliert. Sie lernen früh, daß es gefährlich ist, anders zu sein. Die Rechten allgegenwärtig. Ihr Rassismus findet immer mehr heimliche Unterstützer.

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RAY KOKOSCHKO:

(Soziologe)

"Wir haben natürlich einen Schulterschluß zwischen Alt und Jung. Wir haben also nicht nur marginalisierte Jugendliche, wie man immer so schön annimmt, also sozial verarmte, wo die Altern arbeitslos sind, sondern das zieht sich halt durch alle sozialen Schichten auch durch und relativ erfolgreich. Also der Erklärungsansatz, Arbeitslosigkeit führt zu rechtsextremem Gedankengut, ist natürlich Schwachsinn."

KOMMENTAR:

Im Netz der Faschisten die Vision: Ideologen rufen zur Schaffung von befreiten Zonen auf, befreit von Ausländern. Die Brandenburger rechte Szene, sagen die Kenner, sei auf dem besten Weg dahin, solche Zonen zu schaffen, Zonen nur für Deutsche.

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SKIN:

"Ich will dazu eigentlich gar nichts sagen."

INTERVIEWERIN:

"Wie ist denn dein Verhältnis zu Ausländern?"

SKIN:

"Schlecht."

INTERVIEWERIN:

"Warum?"

SKIN:

"Ist ja egal, warum."

INTERVIEWERIN:

"Gibt es denn eine Begründung?"

SKIN:

"Ja."

INTERVIEWERIN:

"Und welche ist das?"

SKIN:

"Muß nicht jeder wissen, die kann sich eigentlich jeder normale Mensch denken."

INTERVIEWERIN:

"Mit welchem Argument schlagen denn Ihre Freunde die Ausländer zusammen?"

SKIN:

"Du alter Neger, du hast hier nichts in Deutschland zu suchen, geh' in dein Land, und so."

INTERVIEWERIN:

"Wie oft passiert hier was?"

SKIN:

"Naja, jeden dritten Tag, in der Woche einmal bestimmt."

KOMMENTAR:

1. Mai, Henningsdorf. Ein 34jähriger Portugiese wird von zwei Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt.

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HEIMLEITERIN:

"Ich mache mir Sorgen um Elisabeths Zukunft in Deutschland und um die Zukunft all der Kinder, die zum großen Teil hier geboren sind und überhaupt kein anderes Land kennen als Deutschland und kein anderes Leben kennen als so eine Gemeinschaftsunterkunft."

KOMMENTAR:

Die Gewaltbilanz für Juni '97: Elf zum Teil schwer Verletzte in Brandenburg. Die Opfer kommen aus Palästina, Pakistan oder England, aus Polen, Angola oder aus dem Libanon, aus Kenia und Italien.

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HEIMLEITERIN:

"Ja, du denkst, das muß so sein, du denkst, das muß so sein."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Das muß so sein, denkt die kleine Elisabeth, weil sie es nicht anders kennt. Nein, das Fremde muß keine unerträgliche Zumutung für die vermeintliche deutsche Idylle sein.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.08.1997 | 21:00 Uhr