Schlechte Chancen für Asylbewerber

von Bericht: Volker Steinhoff

JOACHIM WAGNER:

Asylbewerberinnen halten ein Plakat mit der Aufschrift "Flüchtlinge" in der Hand. © dpa - Bildfunk Foto: Stefan Puchner

Im Mai 1993 wurde das Asylrecht verschärft. Seitdem sinkt die Zahl der Asylbewerber kontinuierlich. Eine Folge: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge muß fast die Hälfte seines Personals abbauen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt ihr Präsident Dusch seine Mitarbeiter offenbar massiv unter Druck. Viele sehen sich wenigstens genötigt, Asylverfahren nur noch im Schnellgang abzuwickeln, ohne Rücksicht auf die Qualität. Unter diesem Beschleunigungsstreß haben vor allem Folteropfer zu leiden, wie Volker Steinhoff herausgefunden hat.

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PASTOR:

"Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst du zurück."

KOMMENTAR:

Landshut im Mai - Beerdigung eines Selbstmörders aus Togo. Apedo Lossou-Gavo hatte Asyl beantragt - abgelehnt. Er sollte abgeschoben werden. Und das, obwohl er gefoltert worden war, wie ein medizinischer Gutachter bestätigt:

O-Ton

DR. PETER WIGGER: (Gutachter)

"Er ist, soweit an den Narben nachweisbar und mit seinen Angaben übereinstimmend, an Kopf, Armen und Füßen geschlagen worden, mit sicher schweren Gegenständen, weil offene Wunden entstanden sind."

KOMMENTAR:

Landsberg-Lech, bei der Anhörung hatte Apedo von der Folter berichtet. Vielleicht wäre er heute noch am Leben, wenn man ihn sorgfältiger angehört hätte. Folter allein ist zwar kein Asylgrund, dafür aber ein Abschiebehindernis. Dieses hatte die Behörde nicht anerkannt.

Vor seinem Selbstmord fragte er immer wieder: "Warum habt Ihr mir nicht geglaubt?"

Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin, eines von mehreren in Deutschland. Der Ruf und die Kompetenz der Ärzte und Psychologen sind unbestritten. Jetzt haben sie entdeckt, daß die Folterspuren in vielen Fällen nicht ernsthaft untersucht wurden. In einer Studie haben sie die Anhörungen von 40 Folteropfern analysiert.

O-Ton

DR . SEPP GRAESSNER: (Behandlungszentrum für Folteropfer)

"Mehr als die Hälfte der von uns als Folterüberlebenden bewerteten Patienten ist nicht anerkannt worden, das heißt: man hat einerseits weder in dem Entscheid einen Bezug zu der genannten Folter hergestellt, noch hat man ein Abschiebehindernis bei diesen Menschen in dem Folgeerlebnir gesehen."

KOMMENTAR:

Mangelnde Sorgfalt und Sachkunde der Anhörer führen dazu, daß Folteropfer mit der Abschiebung rechnen müssen. Die Folge: In der Heimat droht ihnen neue Folter, und aus Angst davor haben schon viele Selbstmord begangen.

Gewicht, Größe, Fingerabdrücke - alles wird vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge genau registriert. Folter hingegen klären die Anhörer häufig nicht angemessen auf, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Hintergrundwissen fehlt.

O-Ton

DR. SEPP GRAESSNER: (Behandlungszentrum für Folteropfer)

"Folteropfer haben so sehr die Beziehung zu sich und zu anderen Menschen verloren zu dem, was Gewißheit für sie darstellte, daß sie in einer formalisierten Umgebung, die oftmals auch Elemente von Verhörcharakter aufnimmt, nicht in der Lage sind, dazu schlüssig zu berichten, zu diesen Erfahrungen."

KOMMENTAR:

Vor der Kamera dürfen die Anhörer hierzu nicht Stellung nehmen - Verbot vom Bundesamt. Eine Anhörerin tut es dennoch - anonym.

O-Ton

ANHÖRERIN:

"Wir haben gar keine - jedenfalls sind mir keine Bekannt - Fortbildungsangebote, was Vernehmungspsychologie oder überhaupt Psychologie oder auch Umgang mit Folteropfern oder woran man Folter erkennt oder sowas - das haben wir überhaupt nicht, gar keine Angebote."

KOMMENTAR:

Ein Fall aus Zaire. Folter und Mißhandlungen sind hier an der Tagesordnung. Dies war eine Universität, inzwischen ist sie geschlossen. Einer der damaligen Studenten ist jetzt in München, im Behandlungszentrum Refugio.

O-Ton

DR. PETER WIGGER: (Gutachter)

"Das sind mit ganz großer Wahrscheinlichkeit Narben nach Elektroschock, und zwar nach einem einpoligen, das heißt: sie haben ihr Pigment, ihre Farbkomponente verloren, weil sie so tiefgreifend waren, daß diese nicht wieder hergestellt worden ist. Das ist eine typische Narbe nach Zigarrenverbrennung. Durch erhebliche Traumatisierung, d. h. Schläge mit offenen Wunden und nachfolgender Entzündung, ist es zu einem Hodenverlust rechts gekommen, der im Zusammenhang mit seinen Angaben mit der Narbenbildung nicht anders und sehr glaubwürdig einzuordnen ist."

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FOLTEROPFER: (Übersetzung)

"Ich habe dem Anhörer alles gezeigt. Ich war nackt."

KOMMENTAR:

All das half nichts beim Bundesamt. Zitat aus dem Ablehnungsbescheid: "Soweit der Antragssteller vorträgt, er ... sei ...gefoltert worden, hat er dies nicht glaubhaft vortragen können."

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FOLTEROPFER: (Übersetzung)

"Der Anhörer hat mir eine Frage gestellt: Folter, ja oder nein? Wenn ich etwas ausführen wollte, sagte er: Das interessiert nicht. Nächste Frage."

0-Ton

ANHÖRERIN:

"Das liegt mit Sicherheit auch an der Amtsleitung. Wer viel entscheidet, genießt hohes Ansehen. Wir werden unter Druck gesetzt mit Sicherheit des Arbeitsplatzes."

KOMMENTAR:

Die Zentrale in Nürnberg, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Wochenlang wurde ein Interview in Aussicht gestellt. Als PANORAMA die Liste der von Abschiebung bedrohten Folteropfer vorlegte, sagte man plötzlich ab. Statt dessen ein Brief: Die Vorwürfe der Studie seien "unrichtig".

Der Kosovo im Süden von Jugoslawien, Anfang der 90er Jahre. Die albanische Bevölkerung wird ständig von der serbischen Polizei mißhandelt. Besonders gefährdet: Lehrer, die trotz Verbots Unterricht geben. Ein Opfer: der Lehrer Krasniqi, der heute im Münchner Behandlungszentrum Refugio betreut wird.

O-Ton

KRASNIQI: (Übersetzung)

"Ich würde sagen, all diese Prügel von der Polizei in der Polizeiwache, das war so schlimm, das kann ich nicht beschreiben."

KOMMENTAR:

Diese Folterungen werden im Ablehnungsbescheid als "vorübergehende polizeiliche Überprüfungsmaßnahmen" bagatellisiert.

O-Ton

DR. WALTRAUD WIRTGEN: (Refugio)

"Es ist keine vorübergehende polizeiliche Überprüfungsmaßnahme, sondern es ist eine schwere Mißhandlung dieses Menschen gewesen, so daß er jetzt körperlich und überwiegend seelisch schwer gestört ist. Auch daß er so wenig spricht, ist eigentlich typisch dafür, für eine Vermeidungssituation, die für das posttraumatische Belastungssyndrom spricht, daß er ganz wenig sagt, um gar nicht wieder dranzukommen an die Gefühle, sonst würde er zusammenbrechen."

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FOLTEROPFER: (Übersetzung)

"Wenn ich etwas erklären wollte, hat der Anhörer mich unterbrochen: Kurze Antworten. Er hatte offensichtlich wenig Zeit und wirkte sehr müde."

KOMMENTAR:

Wenig Zeit bei den Anhörungen, eine der wichtigsten Ursachen für die Fehler.

O-Ton

ANHÖRERIN:

"Es geht meiner Meinung nach der Amtsleitung nicht unbedingt um die sachgerechte, sondern um die schnelle Bearbeitung von Fällen, um jeden Preis."

KOMMENTAR:

Die Anhörung von Frau Krasniqi dauerte ganze 15 Minuten. Auch sie wurde von den Serben mißhandelt.

O-Ton

FRAU KRASNIQI: (Übersetzung)

"Ich war im sechsten Monat schwanger, das haben die serbischen Polizisten auch gesehen. Einer hat auf albanisch gesagt: Sie werden nie ein albanisches Kind bekommen. Und er hat auf mich eingeschlagen, soviel er konnte."

KOMMENTAR:

Das Kind starb im Bauch der Mutter. Für das Bundesamt eine "bloße Behauptung in dürren Sätzen".

O-Ton

DR. SEPP GRAESSNER:

(Behandlungszentrum für Folteropfer)

"Ein Folterüberlebender wird eher brüchig, stockend, inkonsistent erzählen als ein Mensch, der nur vorgibt, gefoltert worden zu sein."

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ANHÖRERIN:

"Was die Verletzungen oder die Folterungen selber angeht, denke ich, hat derjenige, der viel Phantasie hat, größere Chancen durchzukommen als eventuell derjenige, der es tatsächlich erlebt hat."

KOMMENTAR:

Herr Krasniqi und seine Frau sollen abgeschoben werden - Folter spielt keine Rolle.

O-Ton

DR. WALTRAUD WIRTGEN:

(Refugio)

"Also ich glaube, so, wie er jetzt hier mehrmals versucht hat, sich das Leben zu nehmen, daß er dann nicht wieder hingehen würde. Er würde sich umbringen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.08.1996 | 21:00 Uhr