Kindesmissbrauch in Meppen

von Bericht: Jochen Graebert

JOACHIM WAGNER:

Montage: Bedrohlicher Schatten vor Kirchenbänken. © Bänke: picture-alliance / Design Pics, Schatten: sasha_Fotolia.com_2112135 Foto: Bänke: picture-alliance / Design Pics, Schatten: sasha_Fotolia.com_2112135

Seit dem belgischen Kinderschänder-Skandal stehen sexuelle Mißhandlung von Kindern und Kinderpornographie auch in Deutschland im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Dabei zeigt sich, daß diese widerlichen Taten nicht nur von einigen, sexuell verwirrten Kranken, sondern massenhaft begangen werden. Nur eine Minderheit dieser Übergriffe wird bekannt, weil Opfer oder Eltern, Lehrer oder Freunde oft jahrelang schweigen. Im Schutz einer solchen Schweigespirale hat ein katholischer Pfarrer im niedersächsischen Dorf Erika über Jahre Meßdiener und Erstkommunikanten sexuell mißbraucht.

Am letzten Wochenende haben die Dorfbewohner, die fast alle Bescheid wußten, zum ersten Mal geredet - mit dem PANORAMA-Redakteur Jochen Graebert.

KOMMENTAR:

Amtsgericht Meppen: Vor drei Wochen gesteht der katholische Pfarrer Alois Bruns, 14 Kinder aus dem niedersächsischen Dorf Haren-Erika sexuell mißbraucht zu haben. Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung.

Der Tatort: Dieses Pfarrhaus. Die Rolläden, sagen Nachbarn, waren stets unten, wenn kleine Buben zum Pfarrer kamen. Jahrelang wurde im Dorf darüber gemunkelt. Heute steht fest: Über 200 Mal hat der Geistliche Dorfjungen sexuell bedrängt.

Am vergangenen Sonntag, beim neuen Pfarrer, ist die Kirche wie immer voll. Die Menschen im niedersächsischen Emsland sind fromme Katholiken. Über das, was der alte Pfarrer ihren Kindern angetan hat, haben sie lange geschwiegen. Darüber spricht man eben nicht im Emsland, wo die Kirche noch immer die höchste Autorität ist.

Nach dem Gottesdienst zieht es die Kirchgänger zum Pfarrfest. Und plötzlich bricht das aus ihnen heraus, was sie jahrelang nicht auszusprechen wagten:

O-Ton

MUTTER:

"Mein Sohn ist jeden Tag zur Kirche hier gegangen. Er stand morgens um 7.00 Uhr auf, wenn um 9.00 Uhr die Messe war und ging dahin. Es wurde immer gemunkelt, ich habe es auch verboten, daß er überhaupt zur Kirche geht. Und es hat alles nichts geholfen, weil der Pastor eben so'n Druck auf die Kinder wohl ausgeübt hat, psychisch, daß er es nie gelassen hat."

O-Ton

MANN:

"Wenn einer meinen Jung angepackt hätte, sprich Pastor, oder mag der Deubel wissen watt, den würde ich privat verklagen. ..."

O-Ton

MUTTER:

"Ja, Du mußt es aber beweisen können. Mein Sohn sagt aber nichts."

O-Ton

MANN:

"Er sagt aber nichts ..." O-Ton

MUTTER:

"Er sagt immer nur, ihr wollt es nur wissen. Er sagt nichts. Wir zu zwei verschiedenen Therapeuten gegangen. Der Pastor hat ihn psychisch so unter Druck gesetzt, daß da gar nichts mehr läuft. Und er macht nur Schwierigkeiten. Das Kind ist ein ganz armes Schwein."

KOMMENTAR:

Seinen Opfern hat der Pfarrer Furchtbares angetan. Sie werden von Mitschülern gehänselt. Sprüche wie: "Du schwule Sau", sind keine Seltenheit. Ihre Schulleistungen sind schlecht, die Spätfolgen unabsehbar.

Am Ende flog der Pfarrer auf, als eine Mutter Pornohefte bei ihrem kleinen Jungen fand. Sie stellte ihn zur Rede, erzählt uns ein Erikaner.

O-Ton

MANN:

"Und da hätte der Jung gesagt: "Das hab ich bei der Bank, die Bank fotokopiert das, kostenlos." Und da war die Mutter ganz ungläubig, wieso die Bank, äh, das will ich genauer wissen. Da will, da muß ich sowieso gleich hin, da frag ich mal. Und da wär der Junge angefangen zu weinen und hätte es dann zugegeben, daß er das vom Pastor hätte, von dem Pfarrer Bruns."

KOMMENTAR:

Mit Hilfe des Kinderschutzbundes fand die Mutter den Mut, den Pfarrer endlich anzuzeigen. Als die Kripo Kinder aus dem Dorf befragte, wurde das ganze Ausmaß offenbar: Die Beamten stießen auf immer neue Opfer des Pfarrers. Eltern, die schon länger etwas ahnten, waren offenbar überfordert, mit ihren Kindern darüber zu sprechen.

Schmuddelsex beim Pfarrer, das paßt eben nicht ins Weltbild des adretten, sauberen 1000-Seelen-Dorfes, wo die Höfe stets gefegt, Bäume und Rasen akkurat geschnitten sind. Wer hier aus der Reihe tanzt, macht sich Feinde. Und die Kirche ist ohnehin unantastbar:

O-Ton

MANN:

"Es wurde versucht, äh, die Sache ruhig zu halten, d.h. die Eltern waren so halberlei zum Stillschweigen verpflichtet. Es sollte nicht mehr darüber geredet werden."

O-Ton

MUTTER:

"Es hat doch letztendlich jeder auch darum geschwiegen, um den Pastor zu halten."

KOMMENTAR:

Den hatten die Dorfbewohner schon lange unter Verdacht. Bereits 1987 wandten sich Eltern an den Kirchenvorstand, weil der Pfarrer ihr Kind an den Genitalien gestreichelt habe. Jetzt haben die Eltern ausgesagt, sie seien von Kirchenvorständlern unter Druck gesetzt worden, keine Anzeige zu erstatten.

O-Ton

WILHELM HERMES

Rechtsanwalt:

"Es ergibt sich auch aus der Ermittlungsakte, daß also hier von seiten des Kirchenvorstandes aus, in einem speziellen Falle, auf die Eltern eingeredet worden ist, hier doch von einer Anzeige abzusehen. Äh. Man argumentierte, äh, daß man doch auch weiterhin im Dorf, äh, friedlich und gut zusammenleben wolle. Und aus diesem Grunde solle man doch ernsthaft überlegen, ob man nicht von einer Anzeige absehen soll."

KOMMENTAR:

Der Hof des Bauern Josef Bonnarens. Ein wichtiger Mann im Dorf, bis vor wenigen Tagen auch Vorsitzender im Kirchenvorstand. Der fromme Dorfhonoratior soll den Eltern regelrecht gedroht haben, ja keine Anzeige zu erstatten.

O-Ton

JOSEF BONNARENS Ex-Kirchenvorstand:

"Ich war es nicht alleine, der es gewußt hat. Die halbe Gemeinde hat es gewußt. Aber einen den wollen sie abschießen und das bin ich. Vom Kirchenvorstand kann ich sagen, daß auch mehrere gewußt haben."

KOMMENTAR:

Es wird ungemütlich für die Herren Kirchenvorständler in Haren-Erika. Vor allem Bonnarens fühlt sich an den Pranger gestellt als der Mann, der den Schmuddelpfarrer deckte, der den Ruf der Kirche über das Wohl der Kinder stellte.

O-Ton

JOSEF BONNARENS

Ex-Kirchenvorstand:

"Der Pastor ist so wenig bestraft worden. Und ich bin bestraft. Ich werd..., Drohungen krieg ich. Pro Tag. Ich hab die Polizei angerufen, nachts, daß wir Anrufe kriegen. Das geht auf keine Kuhhaut - geht das. Ich bin ... Kinder leben gefährlich ... als wenn ich das gemacht habe. Das ist traurig - ist das. Das kann ich Ihnen sagen."

KOMMENTAR:

Das Dort dreht sich im Kreis auf der Suche nach Erklärungen dafür, daß es seine Kinder jahrelang einem pädophilen Pfarrer ausgeliefert hat. Einem Pfarrer, von dem jeder wußte, daß er alkoholkrank war. Von dem jeder wußte, daß er schon in seiner vorigen Gemeinde unter Verdacht stand, sich an Kindern zu vergreifen. Deshalb wurde er 1978 strafversetzt, nach Haren-Erika. Die Katastrophe war vorgezeichnet. Das nehmen viele Erikaner ihrer Kirche sehr übel.

O-Ton

MUTTER:

"Das ist ein grundloser Beschiß. Die Kirche kümmert sich um nichts. Sie sagt nichts und sie vertuscht es nur. Nur wir können es wiederum nicht beweisen."

KOMMENTAR:

Immerhin: Das Bistum in Osnabrück räumt, wenn auch vorsichtig, erstmals eigene Fehler ein:

O-Ton

HERMANN HAARMANN Pressesprecher Bistum Osnabrück:

"Es ist natürlich verständlich, daß aus bestimmten Erfahrungen heraus die Leute große Vorbehalte haben. Äh. Auch im Zusammenhang jetzt mit dem Fall Bruns. Und der Kirche sicher nicht oder der - den Verantwortlichen der Kirche nicht die Glaubwürdigkeit schenken, die wir uns eigentlich wünschen."

KOMMENTAR:

Kein Kirchenoberer, kein Bischof hat sich bisher in Erika sehen lassen. Weil die Stimmung so aufgeheizt sei, heißt es im Bistum. Also schweigt man weiter, ganz oben in der katholischen Kirche.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.09.1996 | 21:00 Uhr