Stand: 15.04.16 15:09 Uhr

Bundestag: Weiter Diskussion um Anwendungsbeobachtungen

von Christian Baars & Ben Bolz
Der Bundestag in Berlin. © dpa Foto: Rainer Jensen

Der Bundestag hat nach jahrelangem Ringen das Antikorruptionsgesetz im Gesundheitswesen verabschiedet.

Der Bundestag hat nach jahrelangem Tauziehen das "Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen" verabschiedet. Demnach machen sich künftig Angehörige von Heilberufen strafbar, wenn sie bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln für sich oder Dritte einen Vorteil als Gegenleistung verlangen. Und nicht nur korrupte Ärzte oder Apotheker sind von einer solchen Strafe bedroht, sondern auch die Bestechenden - also etwa Pharmaindustrie oder medizinische Hilfsmittelhersteller.

Ob das Gesetz auch das Problem der sogenannten Anwendungsbeobachtungen löst, ist weiterhin umstritten. Anwendungsbeobachtungen sind Studien, die Pharmaunternehmen gemeinsam mit Ärzten nach Markteinführung eines Medikaments durchführen. Die forschenden Arzneimittelhersteller wollen damit nach eigenem Bekunden die Wirkung von Medikamenten in der Praxis überprüfen.

Reine Marketinginstrumente?

Kritiker sehen Anwendungsbeobachtungen als reine Marketinginstrumente. Die Ärzte erhalten in der Regel für jeden Patienten, den sie einbringen, ein Honorar. Recherchen von Panorama in Kooperation mit correctiv.org, WDR und SZ im März hatten gezeigt, dass allein im Jahr 2014 knapp 17.000 Ärzte in Deutschland an Anwendungsbeobachtungen teilgenommen hatten und dass die Pharmaindustrie jährlich etwa 100 Millionen Euro Honorare für diese Studie zahlt, oft auch für solche, bei denen Experten keinen wissenschaftlichen Sinn sehen.

Anwendungsbeobachtungen sind nach dem neuen Gesetz auch weiterhin ausdrücklich erlaubt. Allerdings müssen Aufwand und Honorar des Arztes in einem nachvollziehbarem Verhältnis stehen. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (SPD), geht davon aus, dass das Antikorruptionsgesetz die Auswüchse bei den Anwendungsbeobachtungen korrigiere. Der Ball liege jetzt bei den Gerichten, so Franke. Erste Urteile gegen korrupte Ärzte könnten aus seiner Sicht einen Abschreckungseffekt haben.

Da es sich bei dem neuen Straftatbestand um ein Offizialdelikt handelt, können Staatsanwaltschaften auch von Amts wegen ermitteln. Es muss keine Anzeige vorliegen. Allerdings kritisieren Opposition, Krankenkassen und einige Verbände, dass die Anwendungsbeobachtungen weiterhin nicht ausreichend geregelt sind. So sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, Patienten müssen weiter fürchten, korruptem Verhalten ausgeliefert zu sein. Die umstrittenen Anwendungsbeobachtungen blieben grundsätzlich erlaubt. Weiterhin würden 1,7 Millionen Patienten jährlich mit fragwürdigen Studien überzogen.

Regierung sieht keinen weiteren Handlungsbedarf

Die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler kritisierte in der Debatte, dass der Entwurf in den Ausschüssen in einigen Punkten aufgeweicht worden sei. Zugleich benannte sie weiteren Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Korruption. Unter anderem müssten die umstrittenen Anwendungsbeobachtungen auf die Tagesordnung, sagte auch sie. Diese Art der Studien dient ihrer Ansicht nach dazu, "das Verbot von offener Ärzteschmierung durch Pharmakonzerne zu umgehen."

Die Linke hatte nach den Recherchen von Panorama, correctiv.org, WDR und SZ eine Anfrage an die Bundesregierung zu den Anwendungsbeobachtungen gestellt. In ihrer Antwort legt die Regierung dar, dass sie derzeit keinen weiteren Handlungsbedarf sieht. Durch verschiedene gesetzliche Regelungen in den letzten Jahren seien die Voraussetzung „für die Verhinderung eines Missbrauchs zu Marketingzwecken geschaffen worden“. Linke und Grüne fordern dagegen weitere Maßnahmen. Kordula Schulz-Asche, arzneimittelpolitische Sprecherin der Grünen, kritisiert, dass man es beim Antikorruptionsgesetz versäumt habe, die Anwendungsbeobachtungen klar zu regeln. Sie will sich nun dafür einsetzen, die Scheinstudien im Arzneimittelgesetz zu kontrollieren, das demnächst neu verhandelt wird. Schulz-Asche: "Da muss was passieren."

Sinnvolle Studien oder beinahe Bestechung?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.03.2016 | 21:45 Uhr