Stand: 13.02.14 15:00 Uhr

Unseriöse Produkttests: Hysterie statt Fakten

von R. Bongen, J. Edelhoff, S. Hua & J. Jolmes

Es war eine Nachricht, die Polizei, Feuerwehren und Rettungsdienste aufgeschreckt hat: Elektrofahrräder, so genannte E-Bikes oder Pedelecs, können den Behördenfunk stören - ein Ergebnis eines gemeinsamen Tests von Stiftung Warentest und ADAC Mitte letzten Jahres. Die elektromagnetische Strahlung der Fahrräder sei schuld, sie überschreite bei einigen Modellen die Grenzwerte. Elektrofahrräder als Störsender - das war eine Botschaft, die ADAC und Stiftung Warentest auch medienwirksam verkauft haben. Und die nicht nur Polizei und Feuerwehr alarmierte. "Unsere Kunden waren massiv verunsichert. Viele haben uns angerufen und hatten plötzlich Angst, E-Bike zu fahren. Patienten mit Herzschrittmachern etwa waren in Sorge um ihre Gesundheit", berichtet Arne Sudhoff vom Fahrradhersteller Derby Cycle. "Das lag vor allem an der drastischen Interpretation der Testergebnisse, die nur zu einer Panikmache geführt hat."

Elektromagnetische Strahlung überinterpretiert

In der Tat hatten die Warentester zwar eine erhöhte elektromagnetische Strahlung bei einigen Modellen gemessen - diese aber überinterpretiert. Denn in der Realität hat die Überschreitung so gut wie keine Auswirkung. So betont die Bundesnetzagentur, dass Störungen des Behördenfunks "eher unwahrscheinlich" seien und sie dieses elektromagnetische Phänomen nicht nachvollziehen könne. Nach Protesten der Hersteller mussten Stiftung Warentest und ADAC zurückrudern und die Interpretation ihrer Testergebnisse korrigieren: "Die überschritten zwar die gesetzlichen Grenzwerte für funkstörende Beeinflussungen, eine Störung der Funkdienste von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen erscheine allerdings unwahrscheinlich", hieß es bei Stiftung Warentest. Der ADAC spricht nur noch davon, dass "grundsätzlich von einer Störung ausgegangen werden kann". Doch die Botschaft der "strahlenden E-Bikes" war in der Welt - und kaum zurückzuholen.

Verunsicherung statt Aufklärung

Professor Ortwin Renn

Der Risikoforscher Professor Ortwin Renn sieht den Verbraucher durch die Zunahme von Superlativen verunsichert statt aufgeklärt.

Es ist ein Beispiel dafür, wie im Dienst für die vermeintlich gute Sache übertrieben, skandalisiert und dramatisiert wird - offenbar nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und die Medien saugen jede Art von Mini-Skandal förmlich auf und transportieren ihn weiter. Ergebnis: Der Verbraucher wird nicht aufgeklärt, sondern oft verunsichert. Professor Ortwin Renn, Risikoforscher an der Universität Stuttgart, hat festgestellt, dass es in der letzten Zeit zu einer Inflation von Begriffen gekommen ist, die alles noch schlimmer aussehen lassen als es ist. "Jede Gruppe, die einmal etwas besonders negativ bewertet hat, muss dann noch einmal eine Erhöhung finden. Von daher erleben wir eine Zunahme von Superlativen aller Art, das Schlimmste, das Furchtbarste, das Kritischste und danach geht es nicht mehr weiter."

Spiel mit der Angst der Verbraucher

Besonders Umweltschutzorganisationen spielen mit der Angst der Verbraucher. Im Oktober 2013 warnte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in einem drastischen Video vor der Gefahr von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln. "Pestizide töten", lautete die Botschaft - die Wissenschaftler wie Dr. Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikowertung entsetzte: "So ein Video führt zu großer Verbraucher-Verunsicherung. Menschen bekommen den Eindruck, als wenn man krank davon würde, wenn man ganz normales Obst und Gemüse aus dem Supermarkt oder vom Wochenmarkt isst. Das ist aber nicht so. Gerade in Deutschland und in Europa sind diese Pflanzenschutzmittel außerordentlich gut kontrolliert und es besteht eben keine Gesundheitsgefahr. Sobald es jemals zu einer Grenzwertüberschreitung kommt, werden solche Waren vom Markt genommen. Deswegen muss man sich keine Sorgen machen." Der BUND hat das Video mittlerweile zurückgezogen und räumt im Panorama-Interview ein, dass die vereinfachte Aussage falsch gewesen sei. Dennoch führt eine solche Kampagne dazu, dass der Verbraucher eine Gefahr fühlt, die mit der realen Bedrohung nichts mehr zu tun hat.

Dramatisierung kleiner Risiken

So ist es auch bei einer Handy-App des BUND - Name: "ToxFox" -, die auf den ersten Blick eine gute Idee ist: Man scannt mit dem Smartphone Kosmetikartikel und erfährt, welche hormonell wirksamen Stoffe im Produkt enthalten sind. Um welche Mengen, welche Konzentration es geht, erfährt man nicht. Doch das ist entscheidend. "Es sind typischerweise sehr kleine Mengen enthalten. Man bräuchte beispielsweise von einer Body-Lotion pro Tag zwei Liter, die man sich auf den Körper streicht, um überhaupt eine hormonähnliche Wirkung zu erzeugen", erklärt Dr. Gaby-Fleur Böl. "Es wird den Menschen nicht klar gemacht, dass die Konzentrationen der Chemikalien in diesen Produkten sehr gering sind, ihren Sinn haben als Konservierungsmittel, und man dementsprechend riesige Mengen zu sich nehmen oder auftragen müsste, um überhaupt eine mögliche gesundheitliche Gefährdung zu haben." Insofern führe die App, die mittlerweile fast eine Million Menschen nutzen, nur zu einer Verbraucherverunsicherung.

Die wirklichen Probleme, betont die Expertin vom Bundesinstitut für Risikobewertung, würden durch derartige Kampagnen unter den Tisch fallen: "Es ist leider so, dass die Kluft zwischen dem, was wir als Naturwissenschaftler als wirkliches Risiko ausmachen, und dem, was die Menschen als ein Risiko empfinden, riesig ist." Die reale Gefahr von Pestiziden in Lebensmitteln oder hormonell wirksamen Stoffen in Kosmetika sei eher gering. Viel wichtiger sei der Bereich der Küchenhygiene, die Gefahr von Erregern, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, Salmonellen, anderen Bakterien oder Viren. Darüber spreche aber kaum jemand. Stattdessen werden kleine Risiken dramatisiert. Das gibt Hubert Weiger, der Vorsitzende des BUND, sogar zu: "Ohne Zuspitzung, in der Tat und das sage ich ganz deutlich, gibt es kaum Möglichkeiten, überhaupt gehört zu werden."

Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Panorama | 13.02.2014 | 21:45 Uhr