Stand: 28.01.15 18:24 Uhr

Rostock-Lichtenhagen: eine Chronologie

Die drei Tage und Nächte im August 1992 zählen bis heute zu den schlimmsten fremdenfeindlichen Übergriffen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. In Rostock-Lichtenhagen herrschten pogromartige Zustände: Ein brandschatzender Mob, applaudierende Zuschauer, Asylbewerber in Todesangst und eine überforderte Polizei.

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen
Vor 30 Jahren tobte in Rostock-Lichtenhagen tagelang ein rassistischer Mob. Zum

Chronologie der Ereignisse

Rostock-Lichtenhagen im August 1992

Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Vor der Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Mecklenburg-Vorpommern versammelt sich ein wütender Mob.

Am Abend des 22. August 1992 versammeln sich zwischen 2.000 und 3.000 Menschen vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, wettern gegen Ausländer. Denn hier ist die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Mecklenburg-Vorpommern (ZAst) untergebracht.

Etwa 200 Menschen beginnen, Steine auf das elfstöckige Gebäude zu werfen. Die ersten Fensterscheiben gehen zu Bruch. Dann fliegen Brandsätze - die entfesselte Meute lässt ihrem Hass freien Lauf. Und die versammelten Schaulustigen halten den Mob nicht auf - im Gegenteil: Sie applaudieren den Tätern, feuern sie an, sind sich keiner Schuld bewusst: "Warum soll es den besser gehen? Ne, ich möchte auch was davon haben. Wir sind ja schon Fremde im eigenen Staat - oder nicht." Sie verurteilen die Asylbewerber: "Das sind in meinen Augen Schmarotzer, die sich auf unsere Kosten, der arbeitenden Menschen, die sich hier fett machen wollen."

"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!"

Schon am nächsten Tag rotten sich wieder hunderte, auch rechtsextreme Gewalttäter zusammen, werfen erneut Steine und Molotowcocktails gegen die Aufnahmestelle. Die johlende Menge applaudiert und skandiert: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!"

Rostock-Lichtenhagen, August 1992

Das Sonnenblumenhaus brennt. Doch statt zu Hilfe zu eilen, behindert die Menschenmenge die Feuerwehr.

Erst am dritten Tag der Ausschreitungen, am 24. August 1992, werden die Asylbewerber aus der Aufnahmestelle evakuiert. Die vietnamesischen Bewohner aber, die einst als "Vertragsarbeiter" in die DDR gekommen waren, bleiben im angrenzenden Wohnheim. Am Abend gerät die Situation vollständig außer Kontrolle: Der Mob liefert sich eine Straßenschlacht mit der Polizei, die sich daraufhin zurückzieht - und die Vietnamesen damit der Meute schutzlos ausliefert. Kurz darauf brennt das Sonnenblumenhaus, die etwa 120 Hausinsassen sind in Todesgefahr. Die Feuerwehr ist vor Ort, wird aber von der Menschenmenge bei den Rettungsarbeiten behindert.

Nazis auf Stimmenfang
Nach den rassistischen Pogromen 1992 in Rostock-Lichtenhagen gehen Nazis dort gerne auf Stimmenfang. Wir sprechen dort mit dem Mann, der damals zum Symbolbild des "hässlichen Deutschen" wurde.

Dass niemand stirbt, scheint schieres Glück - und das Verdienst der Hausbewohner, die die Notausgänge aufbrechen und aufs Dach flüchten. Noch mehr als einen Tag dauern die pogromartigen Ausschreitungen an.

370 Menschen werden festgenommen, 257 Strafverfahren eröffnet - die meisten davon aber wieder eingestellt. 40 Angreifer werden wegen Landfriedensbruchs und Brandstiftung meist zu Bewährungsstrafen verurteilt. Lediglich drei Täter erhalten Haftstrafen, die höchste beträgt drei Jahre. Die anonyme Menschenmenge, die die Täter anfeuerte, den Gewaltexzess während der drei Tage im August 1992 anheizte, Rettungsarbeiten behinderte und den bedrohten Menschen im Gebäude keine Hilfe leistete, geht straffrei aus.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.12.2014 | 22:00 Uhr